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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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auch nicht ein Wörtchen einzuwenden. Die belgische Revolution
endigt zuletzt. Rußland erkennt seine Unabhängigkeit, erkennt seinen
König an, es sanctionirt das Werk der Revolution; aber das ist auch
das um" Plug ritt-i" seiner Concessionen; weiter wird der Kaiser nie
gehen: Belgien wird nie einen russischen Gesandten sehen! Armes
Belgien! wie grausam bist du bestraft! Und doch scheint es seit vier¬
zehn Jahren nicht im Entferntesten daran zu denken, wie viel Schmerz¬
liches, wie viel Demüthigendes für dasselbe darin liegt, und die kleine
Nation von vier Millionen Seelen vergilt dem Beherrscher von mehr
als fünfzig Millionen Unterthanen Gleiches mit Gleichem; Rußland
eristirt für sie nur in der Geographie, den Kaiser Nikolaus kennt
sie zwar dein Namen nach, aber sie begrüßt ihn nicht. Der Kaiser
sucht seine Proscribirten in allen Königreichen, aber an der belgischen
Grenze stehen seine Boten still; da haben sie Nichts zu fordern, Nichts
zu hoffen, da kennt man ihren Herrn nicht. Der Kaiser Nikolaus
will nicht, daß Belgier nach Rußland kommen; seine Agenten haben
Befehl. Jedermann, der auch nur verdächtig ist, ein Belgier zu sein,
die Pässe zu versagen; aber Belgien öffnet seine Grenzpforten weit
allen Unterthanen des Kaisers von Rußland; den russischen Inge¬
nieuren zeigt es seine Eisenbahnen, seine Maschinen, seine Hütten¬
werke, seine Ateliers, und der russische Kaiser, der keine Belgier bei
sich wollte, fand sich am Ende sehr glücklich, Belgien Arbeiter ent¬
lehnen zu können, damit sie seine Russen arbeiten lehren.

Wer hat bei dieser Angelegenheit das bessere Theil ergriffen?
Gewiß nicht der russische Hof; denn all sein Schmollen läuft auf
Nichts hinaus, und er muß nur zusehen, wie der Hauch seines Zor¬
nes kein vernichtender Sturm ist und wie das kleine Königreich von
vier Millionen Einwohnern trotz dieses Zornes im besten Gedei¬
hen ist.

Sollte Deutschland hiervon Nichts zu lernen haben?


I. Kuranda.


auch nicht ein Wörtchen einzuwenden. Die belgische Revolution
endigt zuletzt. Rußland erkennt seine Unabhängigkeit, erkennt seinen
König an, es sanctionirt das Werk der Revolution; aber das ist auch
das um» Plug ritt-i» seiner Concessionen; weiter wird der Kaiser nie
gehen: Belgien wird nie einen russischen Gesandten sehen! Armes
Belgien! wie grausam bist du bestraft! Und doch scheint es seit vier¬
zehn Jahren nicht im Entferntesten daran zu denken, wie viel Schmerz¬
liches, wie viel Demüthigendes für dasselbe darin liegt, und die kleine
Nation von vier Millionen Seelen vergilt dem Beherrscher von mehr
als fünfzig Millionen Unterthanen Gleiches mit Gleichem; Rußland
eristirt für sie nur in der Geographie, den Kaiser Nikolaus kennt
sie zwar dein Namen nach, aber sie begrüßt ihn nicht. Der Kaiser
sucht seine Proscribirten in allen Königreichen, aber an der belgischen
Grenze stehen seine Boten still; da haben sie Nichts zu fordern, Nichts
zu hoffen, da kennt man ihren Herrn nicht. Der Kaiser Nikolaus
will nicht, daß Belgier nach Rußland kommen; seine Agenten haben
Befehl. Jedermann, der auch nur verdächtig ist, ein Belgier zu sein,
die Pässe zu versagen; aber Belgien öffnet seine Grenzpforten weit
allen Unterthanen des Kaisers von Rußland; den russischen Inge¬
nieuren zeigt es seine Eisenbahnen, seine Maschinen, seine Hütten¬
werke, seine Ateliers, und der russische Kaiser, der keine Belgier bei
sich wollte, fand sich am Ende sehr glücklich, Belgien Arbeiter ent¬
lehnen zu können, damit sie seine Russen arbeiten lehren.

Wer hat bei dieser Angelegenheit das bessere Theil ergriffen?
Gewiß nicht der russische Hof; denn all sein Schmollen läuft auf
Nichts hinaus, und er muß nur zusehen, wie der Hauch seines Zor¬
nes kein vernichtender Sturm ist und wie das kleine Königreich von
vier Millionen Einwohnern trotz dieses Zornes im besten Gedei¬
hen ist.

Sollte Deutschland hiervon Nichts zu lernen haben?


I. Kuranda.


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[0022] auch nicht ein Wörtchen einzuwenden. Die belgische Revolution endigt zuletzt. Rußland erkennt seine Unabhängigkeit, erkennt seinen König an, es sanctionirt das Werk der Revolution; aber das ist auch das um» Plug ritt-i» seiner Concessionen; weiter wird der Kaiser nie gehen: Belgien wird nie einen russischen Gesandten sehen! Armes Belgien! wie grausam bist du bestraft! Und doch scheint es seit vier¬ zehn Jahren nicht im Entferntesten daran zu denken, wie viel Schmerz¬ liches, wie viel Demüthigendes für dasselbe darin liegt, und die kleine Nation von vier Millionen Seelen vergilt dem Beherrscher von mehr als fünfzig Millionen Unterthanen Gleiches mit Gleichem; Rußland eristirt für sie nur in der Geographie, den Kaiser Nikolaus kennt sie zwar dein Namen nach, aber sie begrüßt ihn nicht. Der Kaiser sucht seine Proscribirten in allen Königreichen, aber an der belgischen Grenze stehen seine Boten still; da haben sie Nichts zu fordern, Nichts zu hoffen, da kennt man ihren Herrn nicht. Der Kaiser Nikolaus will nicht, daß Belgier nach Rußland kommen; seine Agenten haben Befehl. Jedermann, der auch nur verdächtig ist, ein Belgier zu sein, die Pässe zu versagen; aber Belgien öffnet seine Grenzpforten weit allen Unterthanen des Kaisers von Rußland; den russischen Inge¬ nieuren zeigt es seine Eisenbahnen, seine Maschinen, seine Hütten¬ werke, seine Ateliers, und der russische Kaiser, der keine Belgier bei sich wollte, fand sich am Ende sehr glücklich, Belgien Arbeiter ent¬ lehnen zu können, damit sie seine Russen arbeiten lehren. Wer hat bei dieser Angelegenheit das bessere Theil ergriffen? Gewiß nicht der russische Hof; denn all sein Schmollen läuft auf Nichts hinaus, und er muß nur zusehen, wie der Hauch seines Zor¬ nes kein vernichtender Sturm ist und wie das kleine Königreich von vier Millionen Einwohnern trotz dieses Zornes im besten Gedei¬ hen ist. Sollte Deutschland hiervon Nichts zu lernen haben? I. Kuranda.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/22>, abgerufen am 22.07.2024.