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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Ursprung der Münchner Kunst läßt sich bis auf die Römer zurück¬
führen, da man im botanischen Garten römische Münzen ausgrub,
in der Ludwigsstraße römische Aschenkrüge und anderswo einen römi¬
schen Grabstein mit griechischer Inschrift entdeckte. 1164 führte hier
der Baumeister Ortloff mehrere Gebäude auf, von denen Nichts mehr
zu sehen ist, weil sie nicht mehr vorhanden sind. Unter dem Kaiser
Ludwig durste man die Häuser in München wohl noch mit Schin¬
deln, aber nicht mehr mit "Schanden" decken. Die Thore und Mau¬
ern wurden damals auch mit den baierischen Rauten in den reichö-
kaiserlichen Farben, schwarz und gelb, bemalt, wovon man noch heut¬
zutage Spuren wahrnehmen kann. 1825 machte Ludwig Schwan-
thaler Entwürfe zu einem Aufsatze für die königliche Tafel." -- Doch
nein! der Sprung von Ludwig dem Kaiser bis auf Ludwig Schwan-
thaler, den Bildhauer, sieht einem Salto mortale doch gar zu ähn¬
lich. Es liegt so Vieles dazwischen, was ich jetzt wie ein gesetzter
Mensch ruhig und gemüthlich nachholen will.

Ein Hauptvorwurf, den man dem Münchner Kunsttrciben macht,
ist der, daß die hiesige Kunst, von aller Geschichte und der Nation los¬
gerissen, gleichsam in der Luft stehe, ohne geschichtliche Vordersätze sei
und daher den Charakter des Gemachtem und Aufgedrungenen an sich
trage. Dieser Vorwurf hat schon deshalb etwas Bedenkliches, weil
er meist von Norddeutschen herrührt, welche München entweder gar
nicht oder nur im Durchflüge gesehen haben. Der deutsche Norden
ist an kunstgeschichtlichen Erinnerungen freilich arm; der gute biedere
Lukas Cranach muß die Malerkunst Norddeutschlands wohl oder übel
für Jahrhunderte repräsentiren, und es wäre daher unbillig und un¬
gerecht, wenn man einem Norddeutschen, selbst wenn er eine Brille
trägt und Gellerts Denkmal auf dem Leipziger Schneckenbcrg bewun¬
dert hat, vorwerfen wollte, er habe kein künstlerisches Auge. Nichts
erfordert langjährigere Anschauung und fortgesetztere Uebung als der
Sinn für die Kunst; oder woran läge eS denn, daß der ungebildetste
Italiener oft mehr Geschmack und Feuer in der Beurtheilung einzel¬
ner Kunstwerke entwickelt, als mancher hochgebildete und kenntni߬
reiche Docent, der an einer deutschen Universität Vorträge über Kunst¬
theorie und Aesthetik hält? München stand mit Regensburg, Nürn¬
berg, Ulm und besonders mit dem nahgelegenen Augsburg stets im
lebhaften Verkehr, also mit Städten, welche sich, wie besonders Rum--


Ursprung der Münchner Kunst läßt sich bis auf die Römer zurück¬
führen, da man im botanischen Garten römische Münzen ausgrub,
in der Ludwigsstraße römische Aschenkrüge und anderswo einen römi¬
schen Grabstein mit griechischer Inschrift entdeckte. 1164 führte hier
der Baumeister Ortloff mehrere Gebäude auf, von denen Nichts mehr
zu sehen ist, weil sie nicht mehr vorhanden sind. Unter dem Kaiser
Ludwig durste man die Häuser in München wohl noch mit Schin¬
deln, aber nicht mehr mit „Schanden" decken. Die Thore und Mau¬
ern wurden damals auch mit den baierischen Rauten in den reichö-
kaiserlichen Farben, schwarz und gelb, bemalt, wovon man noch heut¬
zutage Spuren wahrnehmen kann. 1825 machte Ludwig Schwan-
thaler Entwürfe zu einem Aufsatze für die königliche Tafel." — Doch
nein! der Sprung von Ludwig dem Kaiser bis auf Ludwig Schwan-
thaler, den Bildhauer, sieht einem Salto mortale doch gar zu ähn¬
lich. Es liegt so Vieles dazwischen, was ich jetzt wie ein gesetzter
Mensch ruhig und gemüthlich nachholen will.

Ein Hauptvorwurf, den man dem Münchner Kunsttrciben macht,
ist der, daß die hiesige Kunst, von aller Geschichte und der Nation los¬
gerissen, gleichsam in der Luft stehe, ohne geschichtliche Vordersätze sei
und daher den Charakter des Gemachtem und Aufgedrungenen an sich
trage. Dieser Vorwurf hat schon deshalb etwas Bedenkliches, weil
er meist von Norddeutschen herrührt, welche München entweder gar
nicht oder nur im Durchflüge gesehen haben. Der deutsche Norden
ist an kunstgeschichtlichen Erinnerungen freilich arm; der gute biedere
Lukas Cranach muß die Malerkunst Norddeutschlands wohl oder übel
für Jahrhunderte repräsentiren, und es wäre daher unbillig und un¬
gerecht, wenn man einem Norddeutschen, selbst wenn er eine Brille
trägt und Gellerts Denkmal auf dem Leipziger Schneckenbcrg bewun¬
dert hat, vorwerfen wollte, er habe kein künstlerisches Auge. Nichts
erfordert langjährigere Anschauung und fortgesetztere Uebung als der
Sinn für die Kunst; oder woran läge eS denn, daß der ungebildetste
Italiener oft mehr Geschmack und Feuer in der Beurtheilung einzel¬
ner Kunstwerke entwickelt, als mancher hochgebildete und kenntni߬
reiche Docent, der an einer deutschen Universität Vorträge über Kunst¬
theorie und Aesthetik hält? München stand mit Regensburg, Nürn¬
berg, Ulm und besonders mit dem nahgelegenen Augsburg stets im
lebhaften Verkehr, also mit Städten, welche sich, wie besonders Rum--


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[0206] Ursprung der Münchner Kunst läßt sich bis auf die Römer zurück¬ führen, da man im botanischen Garten römische Münzen ausgrub, in der Ludwigsstraße römische Aschenkrüge und anderswo einen römi¬ schen Grabstein mit griechischer Inschrift entdeckte. 1164 führte hier der Baumeister Ortloff mehrere Gebäude auf, von denen Nichts mehr zu sehen ist, weil sie nicht mehr vorhanden sind. Unter dem Kaiser Ludwig durste man die Häuser in München wohl noch mit Schin¬ deln, aber nicht mehr mit „Schanden" decken. Die Thore und Mau¬ ern wurden damals auch mit den baierischen Rauten in den reichö- kaiserlichen Farben, schwarz und gelb, bemalt, wovon man noch heut¬ zutage Spuren wahrnehmen kann. 1825 machte Ludwig Schwan- thaler Entwürfe zu einem Aufsatze für die königliche Tafel." — Doch nein! der Sprung von Ludwig dem Kaiser bis auf Ludwig Schwan- thaler, den Bildhauer, sieht einem Salto mortale doch gar zu ähn¬ lich. Es liegt so Vieles dazwischen, was ich jetzt wie ein gesetzter Mensch ruhig und gemüthlich nachholen will. Ein Hauptvorwurf, den man dem Münchner Kunsttrciben macht, ist der, daß die hiesige Kunst, von aller Geschichte und der Nation los¬ gerissen, gleichsam in der Luft stehe, ohne geschichtliche Vordersätze sei und daher den Charakter des Gemachtem und Aufgedrungenen an sich trage. Dieser Vorwurf hat schon deshalb etwas Bedenkliches, weil er meist von Norddeutschen herrührt, welche München entweder gar nicht oder nur im Durchflüge gesehen haben. Der deutsche Norden ist an kunstgeschichtlichen Erinnerungen freilich arm; der gute biedere Lukas Cranach muß die Malerkunst Norddeutschlands wohl oder übel für Jahrhunderte repräsentiren, und es wäre daher unbillig und un¬ gerecht, wenn man einem Norddeutschen, selbst wenn er eine Brille trägt und Gellerts Denkmal auf dem Leipziger Schneckenbcrg bewun¬ dert hat, vorwerfen wollte, er habe kein künstlerisches Auge. Nichts erfordert langjährigere Anschauung und fortgesetztere Uebung als der Sinn für die Kunst; oder woran läge eS denn, daß der ungebildetste Italiener oft mehr Geschmack und Feuer in der Beurtheilung einzel¬ ner Kunstwerke entwickelt, als mancher hochgebildete und kenntni߬ reiche Docent, der an einer deutschen Universität Vorträge über Kunst¬ theorie und Aesthetik hält? München stand mit Regensburg, Nürn¬ berg, Ulm und besonders mit dem nahgelegenen Augsburg stets im lebhaften Verkehr, also mit Städten, welche sich, wie besonders Rum--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/206>, abgerufen am 23.07.2024.