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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gessen sein werden, den Namen der Stadt München und den des
Geschtchtsschreibers Hofraths Mönch in eine oder die andere Verbin¬
dung bringt? Unsere gelehrten Forscher haben sich schon in viel ge¬
nialere Hypothesen verloren, und ich glaube, einer der scharfsinnigsten
derselben hat einmal in einem Folivbande nachgewiesen, daß der
kleine Küchengarten bei Leipzig eigentlich jenes Paradies gewesen ist,
in welchem das erste Menschenpaar um seine Unschuld kam. Da¬
mals wuchsen freilich die Kuchen noch auf den Bäumen! Der glück¬
liche Adam! Er spielte selbst mit der schönen Eva einen Roman, der
öfter als irgend ein anderer nachgeahmt worden ist, er brauchte keine
dreibändige Romane zu schreiben noch weniger zu lesen, er brauchte
keine Münchner Skizzen unter Sturm und Drang zu fertigen, er
brauchte keinen feurigen Grog als Medicin gegen allerlei andere
hypochondrische Zufälle zu sich zu nehmen wie seine Nachkommen im
kleinen Küchengarten bei Leipzig -- aber schauerliches Geschick! aus
dem Eden, später Kohl-, zuletzt Küchengarten, vertrieben, begab er
sich näher an der Pleiße reizende Ufer und begründete hier für sich
und seine Nachkommen das erste Journal, um im Schweiße seines
Angesichts sich den Kuchen, der ihm früher zuwuchs, zu erfchreiben,
jenes älteste Journal, welches Moses bei der Abfassung seines ersten
Buches zu Grunde legte. Kam und Abel lieferten den Stoff zu der
ersten Tragödie, wie Adam und Eva ihn zur ersten Novelle geliefert
hatten. Seitdem ist der Fluch des Literatenthums nicht müde ge¬
worden, über der Menschheit zu walten; die großen und kleinen
Propheten und Moses und David waren in ihrer Art ebenfalls Li-
teraten, wie wir; auch unter ihnen grassirten der Weltschmerz und
die Zerrissenheit, wenn schon in großartigern Symptomen und mit
feierlicheren Schwung, als unter uns. So war es damals und so
ist es noch heut. Der echte Literctt war stets nur der laute Aufschrei
des Schmerzes, eines allgemeinen oder besonderen, und wenn man
nicht wußte, was mit ihm anfangen, so sperrte man ihn wie den
Daniel in die Löwengrube. Bei uns z. B. verlängert man ihm die
Aufenthaltsorte nicht, ein sehr geräuschloses, mildes Entfernungsmittel,
wobei die Polizei natürlich immer besser wegkommt, als, bei allem
noch so eiligen Wegkommen, der Autor, der ohnehin gegen die Po¬
lizei immer im Unrecht bleibt. Uebrigens muß ich mich dagegen
verwahren, daß ich mit obiger Definition der Poesie etwa die heutige


gessen sein werden, den Namen der Stadt München und den des
Geschtchtsschreibers Hofraths Mönch in eine oder die andere Verbin¬
dung bringt? Unsere gelehrten Forscher haben sich schon in viel ge¬
nialere Hypothesen verloren, und ich glaube, einer der scharfsinnigsten
derselben hat einmal in einem Folivbande nachgewiesen, daß der
kleine Küchengarten bei Leipzig eigentlich jenes Paradies gewesen ist,
in welchem das erste Menschenpaar um seine Unschuld kam. Da¬
mals wuchsen freilich die Kuchen noch auf den Bäumen! Der glück¬
liche Adam! Er spielte selbst mit der schönen Eva einen Roman, der
öfter als irgend ein anderer nachgeahmt worden ist, er brauchte keine
dreibändige Romane zu schreiben noch weniger zu lesen, er brauchte
keine Münchner Skizzen unter Sturm und Drang zu fertigen, er
brauchte keinen feurigen Grog als Medicin gegen allerlei andere
hypochondrische Zufälle zu sich zu nehmen wie seine Nachkommen im
kleinen Küchengarten bei Leipzig — aber schauerliches Geschick! aus
dem Eden, später Kohl-, zuletzt Küchengarten, vertrieben, begab er
sich näher an der Pleiße reizende Ufer und begründete hier für sich
und seine Nachkommen das erste Journal, um im Schweiße seines
Angesichts sich den Kuchen, der ihm früher zuwuchs, zu erfchreiben,
jenes älteste Journal, welches Moses bei der Abfassung seines ersten
Buches zu Grunde legte. Kam und Abel lieferten den Stoff zu der
ersten Tragödie, wie Adam und Eva ihn zur ersten Novelle geliefert
hatten. Seitdem ist der Fluch des Literatenthums nicht müde ge¬
worden, über der Menschheit zu walten; die großen und kleinen
Propheten und Moses und David waren in ihrer Art ebenfalls Li-
teraten, wie wir; auch unter ihnen grassirten der Weltschmerz und
die Zerrissenheit, wenn schon in großartigern Symptomen und mit
feierlicheren Schwung, als unter uns. So war es damals und so
ist es noch heut. Der echte Literctt war stets nur der laute Aufschrei
des Schmerzes, eines allgemeinen oder besonderen, und wenn man
nicht wußte, was mit ihm anfangen, so sperrte man ihn wie den
Daniel in die Löwengrube. Bei uns z. B. verlängert man ihm die
Aufenthaltsorte nicht, ein sehr geräuschloses, mildes Entfernungsmittel,
wobei die Polizei natürlich immer besser wegkommt, als, bei allem
noch so eiligen Wegkommen, der Autor, der ohnehin gegen die Po¬
lizei immer im Unrecht bleibt. Uebrigens muß ich mich dagegen
verwahren, daß ich mit obiger Definition der Poesie etwa die heutige


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[0204] gessen sein werden, den Namen der Stadt München und den des Geschtchtsschreibers Hofraths Mönch in eine oder die andere Verbin¬ dung bringt? Unsere gelehrten Forscher haben sich schon in viel ge¬ nialere Hypothesen verloren, und ich glaube, einer der scharfsinnigsten derselben hat einmal in einem Folivbande nachgewiesen, daß der kleine Küchengarten bei Leipzig eigentlich jenes Paradies gewesen ist, in welchem das erste Menschenpaar um seine Unschuld kam. Da¬ mals wuchsen freilich die Kuchen noch auf den Bäumen! Der glück¬ liche Adam! Er spielte selbst mit der schönen Eva einen Roman, der öfter als irgend ein anderer nachgeahmt worden ist, er brauchte keine dreibändige Romane zu schreiben noch weniger zu lesen, er brauchte keine Münchner Skizzen unter Sturm und Drang zu fertigen, er brauchte keinen feurigen Grog als Medicin gegen allerlei andere hypochondrische Zufälle zu sich zu nehmen wie seine Nachkommen im kleinen Küchengarten bei Leipzig — aber schauerliches Geschick! aus dem Eden, später Kohl-, zuletzt Küchengarten, vertrieben, begab er sich näher an der Pleiße reizende Ufer und begründete hier für sich und seine Nachkommen das erste Journal, um im Schweiße seines Angesichts sich den Kuchen, der ihm früher zuwuchs, zu erfchreiben, jenes älteste Journal, welches Moses bei der Abfassung seines ersten Buches zu Grunde legte. Kam und Abel lieferten den Stoff zu der ersten Tragödie, wie Adam und Eva ihn zur ersten Novelle geliefert hatten. Seitdem ist der Fluch des Literatenthums nicht müde ge¬ worden, über der Menschheit zu walten; die großen und kleinen Propheten und Moses und David waren in ihrer Art ebenfalls Li- teraten, wie wir; auch unter ihnen grassirten der Weltschmerz und die Zerrissenheit, wenn schon in großartigern Symptomen und mit feierlicheren Schwung, als unter uns. So war es damals und so ist es noch heut. Der echte Literctt war stets nur der laute Aufschrei des Schmerzes, eines allgemeinen oder besonderen, und wenn man nicht wußte, was mit ihm anfangen, so sperrte man ihn wie den Daniel in die Löwengrube. Bei uns z. B. verlängert man ihm die Aufenthaltsorte nicht, ein sehr geräuschloses, mildes Entfernungsmittel, wobei die Polizei natürlich immer besser wegkommt, als, bei allem noch so eiligen Wegkommen, der Autor, der ohnehin gegen die Po¬ lizei immer im Unrecht bleibt. Uebrigens muß ich mich dagegen verwahren, daß ich mit obiger Definition der Poesie etwa die heutige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/204>, abgerufen am 22.07.2024.