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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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eins, welcher zugegen war, ein, daß man am Ende gar in einem
Wirthshaus zusammenkommen müsse und wohin das führe! Dazu
kam, daß die Mitglieder des Comitus im Grunde selbst nicht mit ih¬
rer Anordnung einverstanden waren und gegen ihr besseres Bewußt¬
sein kämpften. Auf den vortrefflichen Vortrag eines Opposttionsred-
ners, der mit dem stürmischsten Applaus der Versammlung aufgenom¬
men wurde, erhob sich ein Comitvmitglied und sagte selbst ergriffen,
daß er im Tiefsten seines Herzens und mit voller Ueberzeugung sich
dieser eben ausgesprochenen Ansicht anreihe, doch aber müsse er für
das Comilu stimmen! Die Macht der Opposition wuchs mit jedem
ihrer Redner, von denen vorzüglich zwei die vollste Anerkennung, die
ihnen wurde, verdienten. Da erhob sich der Präsident und sprach ge¬
radezu die Mittheilung aus, daß, wenn die Versammlung auf dem
Amendement beharrte, sie den Verein zu Grabe trüge, denn dies sei
die Lebens- (wohl nur die Eristenz-) Frage des Ganzen. Ihm schloß
sich sogleich ein Mann an, der durch seine Stellung wie seinen Cha¬
rakter bereits sehr populär ist und auf Viele einen sehr großen Einfluß
übt. Er' wiederholte die Versicherung der schwebenden Existenzfrage
und setzte dann hinzu, daß man ja nicht mit dem Besten zu beginnen
brauche (also war das Amendement doch das Beste!), sondern es der
Zukunft überlassen könne. Den ersten Eindruck dieser Rede benutzend,
schnitt der Präsident augenblicklich alle ferneren Erörterungen der sich
erhebenden Oppositionsredner ab und indem er sich auf einen Para¬
graphen der Geschäftsordnung berief, verlangte er zur Abstimmung.
Die Zählung war der Räumlichkeit wegen nicht leicht zu bewerkstelli¬
gen, und so sollten sich denn diejenigen, welche für das Amendement
stimmten, auf die Tribüne begeben, die Eonservativen aber im Par-
quet bleiben, oder resp, von der Tribüne herunterkommen. Die Ma߬
regel erwies sich als wirksam, denn die Majorität war in den Parquet-
bänken. Die Majorität! Freilich waren darunter Viele, die gar nicht
wußten, um was es sich handelte, die sitzen geblieben waren, weil sie
keine Veranlassung sahen, ihre Sitze zu verlassen und eine Treppe zu steigen
und die eben sowohl der Opposition zur Majorität verholfen hätten,
wenn diese im Parquet stehen geblieben wäre. Aber es war die Ma¬
jorität. Das Amendement war verworfen. Jetzt fragte der Präsident,
ob die Versammlung die beiden Paragraphen des Entwurfs annehme.
Die Opposition lehnte entschieden die Beantwortung dieser Frage ab,
und verlangte Vertagung der Debatte, um neue Amendements dagegen /
zu bringen. Aber trotz des furchtbaren Sturmes und Lärmens er¬
langte der Präsident die Abstimmung und das Resultat war, daß die
Majorität, diesmal mit l52 (einschließlich des Comites) gegen lZ4
Stimmen abermals auf Seiten des Vorstandes war. Die Versamm¬
lung wurde geschlossen und die weitere Berathung der Statuten auf
einen noch näher zu bezeichnenden Termin vertagt.


eins, welcher zugegen war, ein, daß man am Ende gar in einem
Wirthshaus zusammenkommen müsse und wohin das führe! Dazu
kam, daß die Mitglieder des Comitus im Grunde selbst nicht mit ih¬
rer Anordnung einverstanden waren und gegen ihr besseres Bewußt¬
sein kämpften. Auf den vortrefflichen Vortrag eines Opposttionsred-
ners, der mit dem stürmischsten Applaus der Versammlung aufgenom¬
men wurde, erhob sich ein Comitvmitglied und sagte selbst ergriffen,
daß er im Tiefsten seines Herzens und mit voller Ueberzeugung sich
dieser eben ausgesprochenen Ansicht anreihe, doch aber müsse er für
das Comilu stimmen! Die Macht der Opposition wuchs mit jedem
ihrer Redner, von denen vorzüglich zwei die vollste Anerkennung, die
ihnen wurde, verdienten. Da erhob sich der Präsident und sprach ge¬
radezu die Mittheilung aus, daß, wenn die Versammlung auf dem
Amendement beharrte, sie den Verein zu Grabe trüge, denn dies sei
die Lebens- (wohl nur die Eristenz-) Frage des Ganzen. Ihm schloß
sich sogleich ein Mann an, der durch seine Stellung wie seinen Cha¬
rakter bereits sehr populär ist und auf Viele einen sehr großen Einfluß
übt. Er' wiederholte die Versicherung der schwebenden Existenzfrage
und setzte dann hinzu, daß man ja nicht mit dem Besten zu beginnen
brauche (also war das Amendement doch das Beste!), sondern es der
Zukunft überlassen könne. Den ersten Eindruck dieser Rede benutzend,
schnitt der Präsident augenblicklich alle ferneren Erörterungen der sich
erhebenden Oppositionsredner ab und indem er sich auf einen Para¬
graphen der Geschäftsordnung berief, verlangte er zur Abstimmung.
Die Zählung war der Räumlichkeit wegen nicht leicht zu bewerkstelli¬
gen, und so sollten sich denn diejenigen, welche für das Amendement
stimmten, auf die Tribüne begeben, die Eonservativen aber im Par-
quet bleiben, oder resp, von der Tribüne herunterkommen. Die Ma߬
regel erwies sich als wirksam, denn die Majorität war in den Parquet-
bänken. Die Majorität! Freilich waren darunter Viele, die gar nicht
wußten, um was es sich handelte, die sitzen geblieben waren, weil sie
keine Veranlassung sahen, ihre Sitze zu verlassen und eine Treppe zu steigen
und die eben sowohl der Opposition zur Majorität verholfen hätten,
wenn diese im Parquet stehen geblieben wäre. Aber es war die Ma¬
jorität. Das Amendement war verworfen. Jetzt fragte der Präsident,
ob die Versammlung die beiden Paragraphen des Entwurfs annehme.
Die Opposition lehnte entschieden die Beantwortung dieser Frage ab,
und verlangte Vertagung der Debatte, um neue Amendements dagegen /
zu bringen. Aber trotz des furchtbaren Sturmes und Lärmens er¬
langte der Präsident die Abstimmung und das Resultat war, daß die
Majorität, diesmal mit l52 (einschließlich des Comites) gegen lZ4
Stimmen abermals auf Seiten des Vorstandes war. Die Versamm¬
lung wurde geschlossen und die weitere Berathung der Statuten auf
einen noch näher zu bezeichnenden Termin vertagt.


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[0192] eins, welcher zugegen war, ein, daß man am Ende gar in einem Wirthshaus zusammenkommen müsse und wohin das führe! Dazu kam, daß die Mitglieder des Comitus im Grunde selbst nicht mit ih¬ rer Anordnung einverstanden waren und gegen ihr besseres Bewußt¬ sein kämpften. Auf den vortrefflichen Vortrag eines Opposttionsred- ners, der mit dem stürmischsten Applaus der Versammlung aufgenom¬ men wurde, erhob sich ein Comitvmitglied und sagte selbst ergriffen, daß er im Tiefsten seines Herzens und mit voller Ueberzeugung sich dieser eben ausgesprochenen Ansicht anreihe, doch aber müsse er für das Comilu stimmen! Die Macht der Opposition wuchs mit jedem ihrer Redner, von denen vorzüglich zwei die vollste Anerkennung, die ihnen wurde, verdienten. Da erhob sich der Präsident und sprach ge¬ radezu die Mittheilung aus, daß, wenn die Versammlung auf dem Amendement beharrte, sie den Verein zu Grabe trüge, denn dies sei die Lebens- (wohl nur die Eristenz-) Frage des Ganzen. Ihm schloß sich sogleich ein Mann an, der durch seine Stellung wie seinen Cha¬ rakter bereits sehr populär ist und auf Viele einen sehr großen Einfluß übt. Er' wiederholte die Versicherung der schwebenden Existenzfrage und setzte dann hinzu, daß man ja nicht mit dem Besten zu beginnen brauche (also war das Amendement doch das Beste!), sondern es der Zukunft überlassen könne. Den ersten Eindruck dieser Rede benutzend, schnitt der Präsident augenblicklich alle ferneren Erörterungen der sich erhebenden Oppositionsredner ab und indem er sich auf einen Para¬ graphen der Geschäftsordnung berief, verlangte er zur Abstimmung. Die Zählung war der Räumlichkeit wegen nicht leicht zu bewerkstelli¬ gen, und so sollten sich denn diejenigen, welche für das Amendement stimmten, auf die Tribüne begeben, die Eonservativen aber im Par- quet bleiben, oder resp, von der Tribüne herunterkommen. Die Ma߬ regel erwies sich als wirksam, denn die Majorität war in den Parquet- bänken. Die Majorität! Freilich waren darunter Viele, die gar nicht wußten, um was es sich handelte, die sitzen geblieben waren, weil sie keine Veranlassung sahen, ihre Sitze zu verlassen und eine Treppe zu steigen und die eben sowohl der Opposition zur Majorität verholfen hätten, wenn diese im Parquet stehen geblieben wäre. Aber es war die Ma¬ jorität. Das Amendement war verworfen. Jetzt fragte der Präsident, ob die Versammlung die beiden Paragraphen des Entwurfs annehme. Die Opposition lehnte entschieden die Beantwortung dieser Frage ab, und verlangte Vertagung der Debatte, um neue Amendements dagegen / zu bringen. Aber trotz des furchtbaren Sturmes und Lärmens er¬ langte der Präsident die Abstimmung und das Resultat war, daß die Majorität, diesmal mit l52 (einschließlich des Comites) gegen lZ4 Stimmen abermals auf Seiten des Vorstandes war. Die Versamm¬ lung wurde geschlossen und die weitere Berathung der Statuten auf einen noch näher zu bezeichnenden Termin vertagt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/192>, abgerufen am 22.07.2024.