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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ein anderer hat sich zu Handwerkern, Buchdruckern, Sprachmeistem
gemacht, die übrigen erhalten vom Staate eine monatliche Unterstützung
von fünfundvierzig Franken. Früher war die Zahl dieser Unterstütz¬
ten drei Mal so groß.

Unter den polnischen Celebritäten, welche in Brüssel leben, ist
vor Allem Herr Lelewel zu nennen, der ehemalige Minister des Un¬
terrichts bei der provisorischen Regierung in Warschau im Jahre
18ZV. Lclcwel vereinigt eine dreifache Celebrität: als Lehrer,
als Geschichtsschreiber und als Politiker. Man hat Herrn Lelewel
den Vorwurf gemacht, seine Politik sei eine Politik der Negation,
er zerstöre, ohne aufbaun zu können. Ein solches Urtheil ist leicht zu
fällen gegen Jemand, den das Schicksal ereilte, bevor er seine Prin¬
zipien in praktischer Ausführung bewähren konnte. Das große Muster
der Griechen und Römer, mit deren Studium Lelewel den grö߬
ten Theil seines Lebens sich beschäftigt, hat seinem Charakter
jene stählerne Selbständigkeit gegeben, welche keine äußerliche Wider¬
wärtigkeit zu brechen im Stande ist. In der ganzen polnischen Emi¬
gration ist kein Name populärer, als der seinige. Seit zehn Jahren
lebt er in Brüssel, in der größten Arbeit, Entbehrung und Armuth.
Er erhielt mehrere Male die dringendsten Antrage von der Brüsseler
Universität, er hat sie abgelehnt. Er hat die Unterstützung, welche
die Regierung den polnischen Flüchtlingen bewilligt, stolz zurückgewie¬
sen. Lelewel ist jetzt zwischen fünfzig und sechszig Jahr; er hat nicht
sehr gealtert; sein Gesicht ist blaß, aber belebt; zwei glänzend blaue
Augen geben ihm einen fast jugendlichen Ausdruck, aber sein Körper
ist gebeugt, kränklich und durch lange Entbehrungen geschwächt. Man
sieht Herrn Lelewel in den Straßen von Brüssel stets in einer arm¬
seligen blauen Blouse, mit einer alten abgetragenen Mütze auf dem
Kopfe. Letztere ist nicht weniger als vierzehn Jahre alt, denn es ist
dieselbe, die er noch in Warschau während der Unglückstage trug.

Eine zweite Celebrität aus der polnischen Revolutionsgeschichte
ist der in Brüssel lebende General Skrzynecki, seit 1838 General
lieutenant in der belgischen Armee. Skrzynecki ist in vielen Dingen
der vollständigste Gegensatz zu Lelewel, er ist durchaus nicht populär
bei seinen Landsleuten, die ihn seiner aristokratischen Tendenzen und
Vorliebe für den Adel wegen verurtheilen; er und Lelewel weichen
einander aus, auch nimmt er keinen Theil an dem öffentlichen Er-


ein anderer hat sich zu Handwerkern, Buchdruckern, Sprachmeistem
gemacht, die übrigen erhalten vom Staate eine monatliche Unterstützung
von fünfundvierzig Franken. Früher war die Zahl dieser Unterstütz¬
ten drei Mal so groß.

Unter den polnischen Celebritäten, welche in Brüssel leben, ist
vor Allem Herr Lelewel zu nennen, der ehemalige Minister des Un¬
terrichts bei der provisorischen Regierung in Warschau im Jahre
18ZV. Lclcwel vereinigt eine dreifache Celebrität: als Lehrer,
als Geschichtsschreiber und als Politiker. Man hat Herrn Lelewel
den Vorwurf gemacht, seine Politik sei eine Politik der Negation,
er zerstöre, ohne aufbaun zu können. Ein solches Urtheil ist leicht zu
fällen gegen Jemand, den das Schicksal ereilte, bevor er seine Prin¬
zipien in praktischer Ausführung bewähren konnte. Das große Muster
der Griechen und Römer, mit deren Studium Lelewel den grö߬
ten Theil seines Lebens sich beschäftigt, hat seinem Charakter
jene stählerne Selbständigkeit gegeben, welche keine äußerliche Wider¬
wärtigkeit zu brechen im Stande ist. In der ganzen polnischen Emi¬
gration ist kein Name populärer, als der seinige. Seit zehn Jahren
lebt er in Brüssel, in der größten Arbeit, Entbehrung und Armuth.
Er erhielt mehrere Male die dringendsten Antrage von der Brüsseler
Universität, er hat sie abgelehnt. Er hat die Unterstützung, welche
die Regierung den polnischen Flüchtlingen bewilligt, stolz zurückgewie¬
sen. Lelewel ist jetzt zwischen fünfzig und sechszig Jahr; er hat nicht
sehr gealtert; sein Gesicht ist blaß, aber belebt; zwei glänzend blaue
Augen geben ihm einen fast jugendlichen Ausdruck, aber sein Körper
ist gebeugt, kränklich und durch lange Entbehrungen geschwächt. Man
sieht Herrn Lelewel in den Straßen von Brüssel stets in einer arm¬
seligen blauen Blouse, mit einer alten abgetragenen Mütze auf dem
Kopfe. Letztere ist nicht weniger als vierzehn Jahre alt, denn es ist
dieselbe, die er noch in Warschau während der Unglückstage trug.

Eine zweite Celebrität aus der polnischen Revolutionsgeschichte
ist der in Brüssel lebende General Skrzynecki, seit 1838 General
lieutenant in der belgischen Armee. Skrzynecki ist in vielen Dingen
der vollständigste Gegensatz zu Lelewel, er ist durchaus nicht populär
bei seinen Landsleuten, die ihn seiner aristokratischen Tendenzen und
Vorliebe für den Adel wegen verurtheilen; er und Lelewel weichen
einander aus, auch nimmt er keinen Theil an dem öffentlichen Er-


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[0019] ein anderer hat sich zu Handwerkern, Buchdruckern, Sprachmeistem gemacht, die übrigen erhalten vom Staate eine monatliche Unterstützung von fünfundvierzig Franken. Früher war die Zahl dieser Unterstütz¬ ten drei Mal so groß. Unter den polnischen Celebritäten, welche in Brüssel leben, ist vor Allem Herr Lelewel zu nennen, der ehemalige Minister des Un¬ terrichts bei der provisorischen Regierung in Warschau im Jahre 18ZV. Lclcwel vereinigt eine dreifache Celebrität: als Lehrer, als Geschichtsschreiber und als Politiker. Man hat Herrn Lelewel den Vorwurf gemacht, seine Politik sei eine Politik der Negation, er zerstöre, ohne aufbaun zu können. Ein solches Urtheil ist leicht zu fällen gegen Jemand, den das Schicksal ereilte, bevor er seine Prin¬ zipien in praktischer Ausführung bewähren konnte. Das große Muster der Griechen und Römer, mit deren Studium Lelewel den grö߬ ten Theil seines Lebens sich beschäftigt, hat seinem Charakter jene stählerne Selbständigkeit gegeben, welche keine äußerliche Wider¬ wärtigkeit zu brechen im Stande ist. In der ganzen polnischen Emi¬ gration ist kein Name populärer, als der seinige. Seit zehn Jahren lebt er in Brüssel, in der größten Arbeit, Entbehrung und Armuth. Er erhielt mehrere Male die dringendsten Antrage von der Brüsseler Universität, er hat sie abgelehnt. Er hat die Unterstützung, welche die Regierung den polnischen Flüchtlingen bewilligt, stolz zurückgewie¬ sen. Lelewel ist jetzt zwischen fünfzig und sechszig Jahr; er hat nicht sehr gealtert; sein Gesicht ist blaß, aber belebt; zwei glänzend blaue Augen geben ihm einen fast jugendlichen Ausdruck, aber sein Körper ist gebeugt, kränklich und durch lange Entbehrungen geschwächt. Man sieht Herrn Lelewel in den Straßen von Brüssel stets in einer arm¬ seligen blauen Blouse, mit einer alten abgetragenen Mütze auf dem Kopfe. Letztere ist nicht weniger als vierzehn Jahre alt, denn es ist dieselbe, die er noch in Warschau während der Unglückstage trug. Eine zweite Celebrität aus der polnischen Revolutionsgeschichte ist der in Brüssel lebende General Skrzynecki, seit 1838 General lieutenant in der belgischen Armee. Skrzynecki ist in vielen Dingen der vollständigste Gegensatz zu Lelewel, er ist durchaus nicht populär bei seinen Landsleuten, die ihn seiner aristokratischen Tendenzen und Vorliebe für den Adel wegen verurtheilen; er und Lelewel weichen einander aus, auch nimmt er keinen Theil an dem öffentlichen Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/19>, abgerufen am 22.07.2024.