Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.aber ich zweifle, daß Ihre Neisekalcsche so lange warten dürste." -- 22^
aber ich zweifle, daß Ihre Neisekalcsche so lange warten dürste." — 22^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269590"/> <p xml:id="ID_488" prev="#ID_487" next="#ID_489"> aber ich zweifle, daß Ihre Neisekalcsche so lange warten dürste." —<lb/> Im Gasthofe saßen meine Mitpassagiere schon wieder ans ihren Wa¬<lb/> genplätzen, es war angespannt uno der Kutscher schwang sich auf<lb/> den Bock. „Aufsitzen! Aufsitzen!" hieß es lebhaft, als i!> näher<lb/> kam. Mich empörte diese Eile, und hätte mir der Wirth, wie ein¬<lb/> verstanden, nicht ein Zimmer versagt, so wäre ich in Leitmeritz über<lb/> Nacht geblieben, um meinen Freund auf dem Dampfschiffe nicht ohne<lb/> Abschied vorüber zu lassen. Unser Wagen schleppte uns eben über<lb/> das entsetzliche Platzpflaster, als das Dampfschiff daherbrauste. Ein<lb/> erschütterndes Lebewohl im Herzen sah ich nach der Dampfwolke,<lb/> welche über den Häusern quälende; dort eilte der Freund zum Ren¬<lb/> dezvous nach Dresden, ohne Ahnung, ohne Sorge... Ihm hat ein<lb/> dreitägiges Warten und Bekümmern hierauf in Dresden die Stunden<lb/> schmerzlich genug verrinnen lassen! Du hast ihn später in Leipzig<lb/> gesprochen; gelt, lieber Alter, da habt Ihr Euch zusammengesetzt und<lb/> habt in Sorgen und Verdruß Euer Herz einander erleichtert... Von<lb/> jetzt an will ich Dir Nichts weiter von meiner Rückreise erzählen.<lb/> Ich war ohne Freund, ohne Wäsche, welche dieser nach Dresden<lb/> entführte — und so kam ich ziemlich spät Nachmittags am nämlichen<lb/> Thore Prags an, welches ich drei T.ige früher zeitig Morgens pas-<lb/> sirt hatte. Der wachhabende Polizeimann besah die Pässe aller<lb/> Passagiere und kam endlich auch zu mir. Kaum erblickte er die<lb/> Marschroute und meinen Namen darauf, so rief er lebhaft aus:<lb/> „Aha!.. Nur gleich absteigen! Sie haben mir einen schönen Verdruß<lb/> gemacht! Gut, daß Sie hier sind! Sie müssen sogleich mit mir auf<lb/> das Wachtzimmer kommen. Warum haben Sie sich vor drei Tagen,<lb/> zu Fuß durch das Thor hinausgemacht? Nur herunter!" Jetzt fiel<lb/> ich erst meiner Reisegesellschaft auf, die mich bei diesem Begegnen<lb/> des Uniformirten mit großen Augen ansah. Ich stieg ab. „ Wird<lb/> nicht viel bedeuten, meine Herren," sagte ich heiter zu meinen Neben¬<lb/> männern im Wagen, — „ein kleines Mißverständniß wahrscheinlich'<lb/> ^ leben Sie wohl!" — „Nun viel Glück dann, wenn es nichts<lb/> Anderes ist," erwiederten diese. Meinen Neiseüberrock, das einzige<lb/> Gepäck, welches ich nun bei mir führte, hing ich über den Arm und<lb/> ging auf das Wachtzimmer. Es hatte sich einiges müßiges Volk<lb/> sogleich neugierig an die Fenster gemacht, um zu sehen und zu hor¬<lb/> chen, was es mit dem jungen verdächtigen Menschen setzen würde.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 22^</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
aber ich zweifle, daß Ihre Neisekalcsche so lange warten dürste." —
Im Gasthofe saßen meine Mitpassagiere schon wieder ans ihren Wa¬
genplätzen, es war angespannt uno der Kutscher schwang sich auf
den Bock. „Aufsitzen! Aufsitzen!" hieß es lebhaft, als i!> näher
kam. Mich empörte diese Eile, und hätte mir der Wirth, wie ein¬
verstanden, nicht ein Zimmer versagt, so wäre ich in Leitmeritz über
Nacht geblieben, um meinen Freund auf dem Dampfschiffe nicht ohne
Abschied vorüber zu lassen. Unser Wagen schleppte uns eben über
das entsetzliche Platzpflaster, als das Dampfschiff daherbrauste. Ein
erschütterndes Lebewohl im Herzen sah ich nach der Dampfwolke,
welche über den Häusern quälende; dort eilte der Freund zum Ren¬
dezvous nach Dresden, ohne Ahnung, ohne Sorge... Ihm hat ein
dreitägiges Warten und Bekümmern hierauf in Dresden die Stunden
schmerzlich genug verrinnen lassen! Du hast ihn später in Leipzig
gesprochen; gelt, lieber Alter, da habt Ihr Euch zusammengesetzt und
habt in Sorgen und Verdruß Euer Herz einander erleichtert... Von
jetzt an will ich Dir Nichts weiter von meiner Rückreise erzählen.
Ich war ohne Freund, ohne Wäsche, welche dieser nach Dresden
entführte — und so kam ich ziemlich spät Nachmittags am nämlichen
Thore Prags an, welches ich drei T.ige früher zeitig Morgens pas-
sirt hatte. Der wachhabende Polizeimann besah die Pässe aller
Passagiere und kam endlich auch zu mir. Kaum erblickte er die
Marschroute und meinen Namen darauf, so rief er lebhaft aus:
„Aha!.. Nur gleich absteigen! Sie haben mir einen schönen Verdruß
gemacht! Gut, daß Sie hier sind! Sie müssen sogleich mit mir auf
das Wachtzimmer kommen. Warum haben Sie sich vor drei Tagen,
zu Fuß durch das Thor hinausgemacht? Nur herunter!" Jetzt fiel
ich erst meiner Reisegesellschaft auf, die mich bei diesem Begegnen
des Uniformirten mit großen Augen ansah. Ich stieg ab. „ Wird
nicht viel bedeuten, meine Herren," sagte ich heiter zu meinen Neben¬
männern im Wagen, — „ein kleines Mißverständniß wahrscheinlich'
^ leben Sie wohl!" — „Nun viel Glück dann, wenn es nichts
Anderes ist," erwiederten diese. Meinen Neiseüberrock, das einzige
Gepäck, welches ich nun bei mir führte, hing ich über den Arm und
ging auf das Wachtzimmer. Es hatte sich einiges müßiges Volk
sogleich neugierig an die Fenster gemacht, um zu sehen und zu hor¬
chen, was es mit dem jungen verdächtigen Menschen setzen würde.
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