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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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nein Passirschein nach Teplitz zurückholen. Ich bekam auch Beides
ohne Anstand. War ich um in Prag so sehr der Unverdäch¬
tige, wo die kürzlichen Aufstände noch tausend Augen und Ohren
wachsam hielten und die Straßen vom Schritt geschlossener Militär-
schaaren dröhnten; wo sollte ich nun ferner besondere Hindernisse
finden? Ich blieb den 25. Juli in Prag, war sehr heiter und vom
Morgen bis zum Abend auf den Beinen. Meine Absicht war, am
26. gegen Abend in Teplii) einzutreffen und am 28. Juli in Dres¬
den zu sein; mein Freund und Begleiter hatte beschlossen, zwei Tage
länger in Prag zu bleiben und hierauf zu Wasser mit mir zugleich
in Dresden einzutreffen. Mit ihn, und mit noch einigen Bekannten
verlebte ich am Vorabende unserer Prager Trennung mehrere heitere
Stunden theils im Theater, theils im Gasthofe, nahm endlich Ab¬
schied und zog mich mit ihm auf unser gemeinschaftliches Zimmer
zurück. Wir verabredeten da ein Rendezvous im .englischen Hof"
zu Dresden; ich übergab ihm mein Weniges, das ich bei mir führte, da^
mit er es seinem großen Koffer einverleibe. "Hörst Du" -- rief er
noch lebhaft -- "Reise nicht etwa ab, ohne daß Du mich zuvor weckest!
Wir müssen ja erst Abschied nehmen." Ich sagte ihm das ernsthaft
zu, dann schliefen wir ein. Gegen drei Uhr Morgens klopfte ein
Hausknecht; ich erwachte schnell, stand auf, kleidete mich in aller
Stille an, und als ich reisefertig dastand, ging ich meinen Freund zu
wecken: ,, . . . Du, mein Dör'l (Theodor)" rief ich leise -- "Hörst
Du? Dör'l, ich reise ab." Er dehnte sich, dann ermunterte er sich
plötzlich und richtete sich plötzlich auf: "Ja, ja!" erwiederte er --
"da bin ich schon! Du schon auf und angekleidet? -- Ach, so reif'
mit Gott, Alter, und schau, daß Dir Nichts geschieht." Am Thore
bemerkte ich dem wachhabenden Polizeimanne, daß er den Name"
meines Re segefährten auf dem Passirschein durchstreichen möchte, denn
er sei zurückgeblieben und werde später abreisen. Der Polizeimann
strich mit der Bleifeder über das Papier und ich war beruhigt. --
Warum ich Dir diesen ganz unwichtigen Nebenumstand erwähne?
Weil mir selbst daraus später eine Beschwerde erwachsen sollte! . .
Die Reise nach Teplitz ging glücklich vor sich; es wollte bald Abend
werden, als sich unser Fuhrwerk dem paradiesisch gelegenen Städtchen
näherte. Meine Gesellschaft war bis auf einen Leitmeritzer Bürgers-
mann und zwei ganz kleine, herzig naive Mädchen herabgefchmolzen i


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nein Passirschein nach Teplitz zurückholen. Ich bekam auch Beides
ohne Anstand. War ich um in Prag so sehr der Unverdäch¬
tige, wo die kürzlichen Aufstände noch tausend Augen und Ohren
wachsam hielten und die Straßen vom Schritt geschlossener Militär-
schaaren dröhnten; wo sollte ich nun ferner besondere Hindernisse
finden? Ich blieb den 25. Juli in Prag, war sehr heiter und vom
Morgen bis zum Abend auf den Beinen. Meine Absicht war, am
26. gegen Abend in Teplii) einzutreffen und am 28. Juli in Dres¬
den zu sein; mein Freund und Begleiter hatte beschlossen, zwei Tage
länger in Prag zu bleiben und hierauf zu Wasser mit mir zugleich
in Dresden einzutreffen. Mit ihn, und mit noch einigen Bekannten
verlebte ich am Vorabende unserer Prager Trennung mehrere heitere
Stunden theils im Theater, theils im Gasthofe, nahm endlich Ab¬
schied und zog mich mit ihm auf unser gemeinschaftliches Zimmer
zurück. Wir verabredeten da ein Rendezvous im .englischen Hof"
zu Dresden; ich übergab ihm mein Weniges, das ich bei mir führte, da^
mit er es seinem großen Koffer einverleibe. „Hörst Du" — rief er
noch lebhaft — „Reise nicht etwa ab, ohne daß Du mich zuvor weckest!
Wir müssen ja erst Abschied nehmen." Ich sagte ihm das ernsthaft
zu, dann schliefen wir ein. Gegen drei Uhr Morgens klopfte ein
Hausknecht; ich erwachte schnell, stand auf, kleidete mich in aller
Stille an, und als ich reisefertig dastand, ging ich meinen Freund zu
wecken: ,, . . . Du, mein Dör'l (Theodor)" rief ich leise — „Hörst
Du? Dör'l, ich reise ab." Er dehnte sich, dann ermunterte er sich
plötzlich und richtete sich plötzlich auf: „Ja, ja!" erwiederte er —
„da bin ich schon! Du schon auf und angekleidet? — Ach, so reif'
mit Gott, Alter, und schau, daß Dir Nichts geschieht." Am Thore
bemerkte ich dem wachhabenden Polizeimanne, daß er den Name»
meines Re segefährten auf dem Passirschein durchstreichen möchte, denn
er sei zurückgeblieben und werde später abreisen. Der Polizeimann
strich mit der Bleifeder über das Papier und ich war beruhigt. —
Warum ich Dir diesen ganz unwichtigen Nebenumstand erwähne?
Weil mir selbst daraus später eine Beschwerde erwachsen sollte! . .
Die Reise nach Teplitz ging glücklich vor sich; es wollte bald Abend
werden, als sich unser Fuhrwerk dem paradiesisch gelegenen Städtchen
näherte. Meine Gesellschaft war bis auf einen Leitmeritzer Bürgers-
mann und zwei ganz kleine, herzig naive Mädchen herabgefchmolzen i


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[0165] nein Passirschein nach Teplitz zurückholen. Ich bekam auch Beides ohne Anstand. War ich um in Prag so sehr der Unverdäch¬ tige, wo die kürzlichen Aufstände noch tausend Augen und Ohren wachsam hielten und die Straßen vom Schritt geschlossener Militär- schaaren dröhnten; wo sollte ich nun ferner besondere Hindernisse finden? Ich blieb den 25. Juli in Prag, war sehr heiter und vom Morgen bis zum Abend auf den Beinen. Meine Absicht war, am 26. gegen Abend in Teplii) einzutreffen und am 28. Juli in Dres¬ den zu sein; mein Freund und Begleiter hatte beschlossen, zwei Tage länger in Prag zu bleiben und hierauf zu Wasser mit mir zugleich in Dresden einzutreffen. Mit ihn, und mit noch einigen Bekannten verlebte ich am Vorabende unserer Prager Trennung mehrere heitere Stunden theils im Theater, theils im Gasthofe, nahm endlich Ab¬ schied und zog mich mit ihm auf unser gemeinschaftliches Zimmer zurück. Wir verabredeten da ein Rendezvous im .englischen Hof" zu Dresden; ich übergab ihm mein Weniges, das ich bei mir führte, da^ mit er es seinem großen Koffer einverleibe. „Hörst Du" — rief er noch lebhaft — „Reise nicht etwa ab, ohne daß Du mich zuvor weckest! Wir müssen ja erst Abschied nehmen." Ich sagte ihm das ernsthaft zu, dann schliefen wir ein. Gegen drei Uhr Morgens klopfte ein Hausknecht; ich erwachte schnell, stand auf, kleidete mich in aller Stille an, und als ich reisefertig dastand, ging ich meinen Freund zu wecken: ,, . . . Du, mein Dör'l (Theodor)" rief ich leise — „Hörst Du? Dör'l, ich reise ab." Er dehnte sich, dann ermunterte er sich plötzlich und richtete sich plötzlich auf: „Ja, ja!" erwiederte er — „da bin ich schon! Du schon auf und angekleidet? — Ach, so reif' mit Gott, Alter, und schau, daß Dir Nichts geschieht." Am Thore bemerkte ich dem wachhabenden Polizeimanne, daß er den Name» meines Re segefährten auf dem Passirschein durchstreichen möchte, denn er sei zurückgeblieben und werde später abreisen. Der Polizeimann strich mit der Bleifeder über das Papier und ich war beruhigt. — Warum ich Dir diesen ganz unwichtigen Nebenumstand erwähne? Weil mir selbst daraus später eine Beschwerde erwachsen sollte! . . Die Reise nach Teplitz ging glücklich vor sich; es wollte bald Abend werden, als sich unser Fuhrwerk dem paradiesisch gelegenen Städtchen näherte. Meine Gesellschaft war bis auf einen Leitmeritzer Bürgers- mann und zwei ganz kleine, herzig naive Mädchen herabgefchmolzen i 21 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/165>, abgerufen am 22.07.2024.