Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

verdammt, und er muß seine feuersprühenden politischen Predigten auf
fremdem Boden niederschreiben. Aber daheim in seinem Vaterlande
gibt eS tausend geschäftige Hände, die sie um so geschickter und
sicherer zu verbreiten wissen, als dies unter dem Siegel des Beicht¬
geheimnisses, unter dem Schutzmautel der Kirche geschieht, weil es
die Priesterschaft selber ist, welche die Gioberti'schen Ideen ins Volk
zu bringen sucht. Der Abbate Gioberti will nämlich die Revolu¬
tion Italiens, um eine große und mächtige Einheit des¬
selben unter der Herrschaft Roms und deS Päpstlichen
Stuhles herzustellen! Rom, der Schutzgenosse Oesterreichs, der
Bundesgenosse der übrigen italienischen Herrscher, muß diese Doctrine
officiell verdammen; aber Rom, der einstige Sitz deS ehrgeizigen
Gregor VII., und bis zu dieser Stunde der Mittelpunkt der emsigsten
und ausgebreitetsten Propaganda, ist dieser Doctrine heimlich gar wohl
gewogen, und im Innern des Herzens gibt es ihr den Segen aller
Heiligen. Man muß den Abbate Gioberti nicht etwa in die Reihe
solcher Männer, wie der Bischof Arnoldi und Seinesgleichen stellen,
es ist ein Mann von Kopf und wirklicher Begeisterung ; in ihm Ist
die Exaltation, die politisch-religiöse Schwärmerei Wahrheit, wie barock
auch die Mischung seiner Ideell ist, die auf der einen Seite die ent¬
fesselte Demokratie und auf der andern die mächtigste Hierarchie ver¬
langt.

Die größte Zahl der politischen Flüchtlinge, die seit dem Jahr
1830 nach Belgien sich wandten, waren Franzosen, die kleinste
waren die Deutschen. Unter den französischen Rcfugi^s waren
Viele, die in ganz andern Dingen compromittirt waren, als in poli¬
tischen; was in Frankreich an Projectenmachern, Bankrottirern und
ähnlichen Individuen nicht mehr Platz hatte, stürzte sich nach dem
jungen Belgien, "um ihm seine Freiheit arrangiren zu helfen." Der
gutmüthige, leichtgläubige Süd-Niederländer ist leicht zu täuschen, er
öffnete den schlauen, glatten Fremden sein Herz, sein Haus, und was
bei ihm mehr als dieses ist -- seinen Credit. Aber bald brach jene
Zeit herein, wo man fast jeden Tag -- namentlich in Brüssel --
von einem neuen Bankerott, von einer entführten Frau, von einem
durchgegangenen Kassirer, von einer geprellten Actiengesellschaft hörte.
Jetzt trat die Reaction ein, ein witziges Journal brachte den Spitz¬
namen "Fransquillons" auf, und das Volk bemächtigte sich desselben


verdammt, und er muß seine feuersprühenden politischen Predigten auf
fremdem Boden niederschreiben. Aber daheim in seinem Vaterlande
gibt eS tausend geschäftige Hände, die sie um so geschickter und
sicherer zu verbreiten wissen, als dies unter dem Siegel des Beicht¬
geheimnisses, unter dem Schutzmautel der Kirche geschieht, weil es
die Priesterschaft selber ist, welche die Gioberti'schen Ideen ins Volk
zu bringen sucht. Der Abbate Gioberti will nämlich die Revolu¬
tion Italiens, um eine große und mächtige Einheit des¬
selben unter der Herrschaft Roms und deS Päpstlichen
Stuhles herzustellen! Rom, der Schutzgenosse Oesterreichs, der
Bundesgenosse der übrigen italienischen Herrscher, muß diese Doctrine
officiell verdammen; aber Rom, der einstige Sitz deS ehrgeizigen
Gregor VII., und bis zu dieser Stunde der Mittelpunkt der emsigsten
und ausgebreitetsten Propaganda, ist dieser Doctrine heimlich gar wohl
gewogen, und im Innern des Herzens gibt es ihr den Segen aller
Heiligen. Man muß den Abbate Gioberti nicht etwa in die Reihe
solcher Männer, wie der Bischof Arnoldi und Seinesgleichen stellen,
es ist ein Mann von Kopf und wirklicher Begeisterung ; in ihm Ist
die Exaltation, die politisch-religiöse Schwärmerei Wahrheit, wie barock
auch die Mischung seiner Ideell ist, die auf der einen Seite die ent¬
fesselte Demokratie und auf der andern die mächtigste Hierarchie ver¬
langt.

Die größte Zahl der politischen Flüchtlinge, die seit dem Jahr
1830 nach Belgien sich wandten, waren Franzosen, die kleinste
waren die Deutschen. Unter den französischen Rcfugi^s waren
Viele, die in ganz andern Dingen compromittirt waren, als in poli¬
tischen; was in Frankreich an Projectenmachern, Bankrottirern und
ähnlichen Individuen nicht mehr Platz hatte, stürzte sich nach dem
jungen Belgien, „um ihm seine Freiheit arrangiren zu helfen." Der
gutmüthige, leichtgläubige Süd-Niederländer ist leicht zu täuschen, er
öffnete den schlauen, glatten Fremden sein Herz, sein Haus, und was
bei ihm mehr als dieses ist — seinen Credit. Aber bald brach jene
Zeit herein, wo man fast jeden Tag — namentlich in Brüssel —
von einem neuen Bankerott, von einer entführten Frau, von einem
durchgegangenen Kassirer, von einer geprellten Actiengesellschaft hörte.
Jetzt trat die Reaction ein, ein witziges Journal brachte den Spitz¬
namen „Fransquillons" auf, und das Volk bemächtigte sich desselben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269433"/>
          <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26"> verdammt, und er muß seine feuersprühenden politischen Predigten auf<lb/>
fremdem Boden niederschreiben. Aber daheim in seinem Vaterlande<lb/>
gibt eS tausend geschäftige Hände, die sie um so geschickter und<lb/>
sicherer zu verbreiten wissen, als dies unter dem Siegel des Beicht¬<lb/>
geheimnisses, unter dem Schutzmautel der Kirche geschieht, weil es<lb/>
die Priesterschaft selber ist, welche die Gioberti'schen Ideen ins Volk<lb/>
zu bringen sucht. Der Abbate Gioberti will nämlich die Revolu¬<lb/>
tion Italiens, um eine große und mächtige Einheit des¬<lb/>
selben unter der Herrschaft Roms und deS Päpstlichen<lb/>
Stuhles herzustellen! Rom, der Schutzgenosse Oesterreichs, der<lb/>
Bundesgenosse der übrigen italienischen Herrscher, muß diese Doctrine<lb/>
officiell verdammen; aber Rom, der einstige Sitz deS ehrgeizigen<lb/>
Gregor VII., und bis zu dieser Stunde der Mittelpunkt der emsigsten<lb/>
und ausgebreitetsten Propaganda, ist dieser Doctrine heimlich gar wohl<lb/>
gewogen, und im Innern des Herzens gibt es ihr den Segen aller<lb/>
Heiligen. Man muß den Abbate Gioberti nicht etwa in die Reihe<lb/>
solcher Männer, wie der Bischof Arnoldi und Seinesgleichen stellen,<lb/>
es ist ein Mann von Kopf und wirklicher Begeisterung ; in ihm Ist<lb/>
die Exaltation, die politisch-religiöse Schwärmerei Wahrheit, wie barock<lb/>
auch die Mischung seiner Ideell ist, die auf der einen Seite die ent¬<lb/>
fesselte Demokratie und auf der andern die mächtigste Hierarchie ver¬<lb/>
langt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> Die größte Zahl der politischen Flüchtlinge, die seit dem Jahr<lb/>
1830 nach Belgien sich wandten, waren Franzosen, die kleinste<lb/>
waren die Deutschen. Unter den französischen Rcfugi^s waren<lb/>
Viele, die in ganz andern Dingen compromittirt waren, als in poli¬<lb/>
tischen; was in Frankreich an Projectenmachern, Bankrottirern und<lb/>
ähnlichen Individuen nicht mehr Platz hatte, stürzte sich nach dem<lb/>
jungen Belgien, &#x201E;um ihm seine Freiheit arrangiren zu helfen." Der<lb/>
gutmüthige, leichtgläubige Süd-Niederländer ist leicht zu täuschen, er<lb/>
öffnete den schlauen, glatten Fremden sein Herz, sein Haus, und was<lb/>
bei ihm mehr als dieses ist &#x2014; seinen Credit. Aber bald brach jene<lb/>
Zeit herein, wo man fast jeden Tag &#x2014; namentlich in Brüssel &#x2014;<lb/>
von einem neuen Bankerott, von einer entführten Frau, von einem<lb/>
durchgegangenen Kassirer, von einer geprellten Actiengesellschaft hörte.<lb/>
Jetzt trat die Reaction ein, ein witziges Journal brachte den Spitz¬<lb/>
namen &#x201E;Fransquillons" auf, und das Volk bemächtigte sich desselben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] verdammt, und er muß seine feuersprühenden politischen Predigten auf fremdem Boden niederschreiben. Aber daheim in seinem Vaterlande gibt eS tausend geschäftige Hände, die sie um so geschickter und sicherer zu verbreiten wissen, als dies unter dem Siegel des Beicht¬ geheimnisses, unter dem Schutzmautel der Kirche geschieht, weil es die Priesterschaft selber ist, welche die Gioberti'schen Ideen ins Volk zu bringen sucht. Der Abbate Gioberti will nämlich die Revolu¬ tion Italiens, um eine große und mächtige Einheit des¬ selben unter der Herrschaft Roms und deS Päpstlichen Stuhles herzustellen! Rom, der Schutzgenosse Oesterreichs, der Bundesgenosse der übrigen italienischen Herrscher, muß diese Doctrine officiell verdammen; aber Rom, der einstige Sitz deS ehrgeizigen Gregor VII., und bis zu dieser Stunde der Mittelpunkt der emsigsten und ausgebreitetsten Propaganda, ist dieser Doctrine heimlich gar wohl gewogen, und im Innern des Herzens gibt es ihr den Segen aller Heiligen. Man muß den Abbate Gioberti nicht etwa in die Reihe solcher Männer, wie der Bischof Arnoldi und Seinesgleichen stellen, es ist ein Mann von Kopf und wirklicher Begeisterung ; in ihm Ist die Exaltation, die politisch-religiöse Schwärmerei Wahrheit, wie barock auch die Mischung seiner Ideell ist, die auf der einen Seite die ent¬ fesselte Demokratie und auf der andern die mächtigste Hierarchie ver¬ langt. Die größte Zahl der politischen Flüchtlinge, die seit dem Jahr 1830 nach Belgien sich wandten, waren Franzosen, die kleinste waren die Deutschen. Unter den französischen Rcfugi^s waren Viele, die in ganz andern Dingen compromittirt waren, als in poli¬ tischen; was in Frankreich an Projectenmachern, Bankrottirern und ähnlichen Individuen nicht mehr Platz hatte, stürzte sich nach dem jungen Belgien, „um ihm seine Freiheit arrangiren zu helfen." Der gutmüthige, leichtgläubige Süd-Niederländer ist leicht zu täuschen, er öffnete den schlauen, glatten Fremden sein Herz, sein Haus, und was bei ihm mehr als dieses ist — seinen Credit. Aber bald brach jene Zeit herein, wo man fast jeden Tag — namentlich in Brüssel — von einem neuen Bankerott, von einer entführten Frau, von einem durchgegangenen Kassirer, von einer geprellten Actiengesellschaft hörte. Jetzt trat die Reaction ein, ein witziges Journal brachte den Spitz¬ namen „Fransquillons" auf, und das Volk bemächtigte sich desselben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/16>, abgerufen am 22.07.2024.