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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Sommer, raubte uns den Genuß des Frühlings und vecharb uns
den Herbst. Wenigstens zehnmal mußte ich die Farben wegwerfen,
und das angefangene Porträt blieb, wie es war. -- Hatte ich mir
erst den Tod an den Hals geärgert, so mochte das Essen noch so
schmackhaft sein, mir mundete doch kein Bissen. Oder sah ich auch
meine Wirthschaft emporkommen, so blieb doch die Kunst dahinten
und wurde als lästiges und überflüssiges Anhängsel von Niemand
geachtet. Freuden sich Andere über die Nettigkeit und Ordnung in
meiner Wohnung, so wußten sie doch nicht, durch welche Opfer ich
sie erkauft hatte und täglich erkaufen mußte. --

Das Mädchen, womit mich meine Frau um diese Zeit be¬
schenkte, regte auf's Neue meinen fast ertödteten Malereifer an. Schon
längst hatte ich mir nämlich ein so liebes kleines Wesen gewünscht,
um recht nein .imni-e darnach Studien machen zu können. Auch Elise
freute sich des Vorschlags, unsere Toni als unentweihte Knospe gemalt
zu sehen, und ich wünschte es nackend zu haben; aber Wartfrau,
Wehmutter und der ganze weibliche Troß von Verwandten und Be¬
kannten stimmte meiner Frau bei und widersetzte sich, wohl gerüstet
mit allem möglichen Unsinn, meinen ernsten und eindringlichen Vor¬
stellungen. Das Häubchen steht dem Kinde allerliebst! sagte die Eine.
-- Sie müssen es in dem neuen Nosakleidchen malen! rief die An-
dere. -- Es könnte Schaden leiden an seiner Gesundheit, bemerkte
die Hebamme. -- Meinen Engel kann ich keine fünf Minuten un-
gewickelt lassen, kreischte die Wartfrau und warf sich in die Brust,
als verstehe ich von dergleichen Dingen weniger als Nichts. -- Lie¬
ber Mann, ich wollte das Bild in meine Stube hängen, sieh nur,
wie schön es in dem Einbunde aussieht, sagte meine Frau! -- Den
Teufel auch, sagte ich, ich will keine verpuppte Raupe malen und
auch keine Windeln; es kann in der Welt nichts Schöneres geben,
als solch einen Engel von einem Kinde, nur muß die Natur durch
Nichts verhüllt sein. -- Sehen Sie, lieber Doctor, so ging es mit
meiner Kunst und mit meinem ganzen Glücke.

-- Aber hatten Sie denn keine Malstube, kein Zimmer, in wel¬
chem Sie Niemand belästigen durfte?
--nit

Ja wohl hatte ich das, entgegnete er; und ich kann ch
anders sagen, als daß meine Frau es immer in schönster Ordnung
hielt und nur zu sehr auf Reinlichkeit darin sah. Ich durfte mich


Sommer, raubte uns den Genuß des Frühlings und vecharb uns
den Herbst. Wenigstens zehnmal mußte ich die Farben wegwerfen,
und das angefangene Porträt blieb, wie es war. — Hatte ich mir
erst den Tod an den Hals geärgert, so mochte das Essen noch so
schmackhaft sein, mir mundete doch kein Bissen. Oder sah ich auch
meine Wirthschaft emporkommen, so blieb doch die Kunst dahinten
und wurde als lästiges und überflüssiges Anhängsel von Niemand
geachtet. Freuden sich Andere über die Nettigkeit und Ordnung in
meiner Wohnung, so wußten sie doch nicht, durch welche Opfer ich
sie erkauft hatte und täglich erkaufen mußte. —

Das Mädchen, womit mich meine Frau um diese Zeit be¬
schenkte, regte auf's Neue meinen fast ertödteten Malereifer an. Schon
längst hatte ich mir nämlich ein so liebes kleines Wesen gewünscht,
um recht nein .imni-e darnach Studien machen zu können. Auch Elise
freute sich des Vorschlags, unsere Toni als unentweihte Knospe gemalt
zu sehen, und ich wünschte es nackend zu haben; aber Wartfrau,
Wehmutter und der ganze weibliche Troß von Verwandten und Be¬
kannten stimmte meiner Frau bei und widersetzte sich, wohl gerüstet
mit allem möglichen Unsinn, meinen ernsten und eindringlichen Vor¬
stellungen. Das Häubchen steht dem Kinde allerliebst! sagte die Eine.
— Sie müssen es in dem neuen Nosakleidchen malen! rief die An-
dere. — Es könnte Schaden leiden an seiner Gesundheit, bemerkte
die Hebamme. — Meinen Engel kann ich keine fünf Minuten un-
gewickelt lassen, kreischte die Wartfrau und warf sich in die Brust,
als verstehe ich von dergleichen Dingen weniger als Nichts. — Lie¬
ber Mann, ich wollte das Bild in meine Stube hängen, sieh nur,
wie schön es in dem Einbunde aussieht, sagte meine Frau! — Den
Teufel auch, sagte ich, ich will keine verpuppte Raupe malen und
auch keine Windeln; es kann in der Welt nichts Schöneres geben,
als solch einen Engel von einem Kinde, nur muß die Natur durch
Nichts verhüllt sein. — Sehen Sie, lieber Doctor, so ging es mit
meiner Kunst und mit meinem ganzen Glücke.

— Aber hatten Sie denn keine Malstube, kein Zimmer, in wel¬
chem Sie Niemand belästigen durfte?
—nit

Ja wohl hatte ich das, entgegnete er; und ich kann ch
anders sagen, als daß meine Frau es immer in schönster Ordnung
hielt und nur zu sehr auf Reinlichkeit darin sah. Ich durfte mich


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[0074] Sommer, raubte uns den Genuß des Frühlings und vecharb uns den Herbst. Wenigstens zehnmal mußte ich die Farben wegwerfen, und das angefangene Porträt blieb, wie es war. — Hatte ich mir erst den Tod an den Hals geärgert, so mochte das Essen noch so schmackhaft sein, mir mundete doch kein Bissen. Oder sah ich auch meine Wirthschaft emporkommen, so blieb doch die Kunst dahinten und wurde als lästiges und überflüssiges Anhängsel von Niemand geachtet. Freuden sich Andere über die Nettigkeit und Ordnung in meiner Wohnung, so wußten sie doch nicht, durch welche Opfer ich sie erkauft hatte und täglich erkaufen mußte. — Das Mädchen, womit mich meine Frau um diese Zeit be¬ schenkte, regte auf's Neue meinen fast ertödteten Malereifer an. Schon längst hatte ich mir nämlich ein so liebes kleines Wesen gewünscht, um recht nein .imni-e darnach Studien machen zu können. Auch Elise freute sich des Vorschlags, unsere Toni als unentweihte Knospe gemalt zu sehen, und ich wünschte es nackend zu haben; aber Wartfrau, Wehmutter und der ganze weibliche Troß von Verwandten und Be¬ kannten stimmte meiner Frau bei und widersetzte sich, wohl gerüstet mit allem möglichen Unsinn, meinen ernsten und eindringlichen Vor¬ stellungen. Das Häubchen steht dem Kinde allerliebst! sagte die Eine. — Sie müssen es in dem neuen Nosakleidchen malen! rief die An- dere. — Es könnte Schaden leiden an seiner Gesundheit, bemerkte die Hebamme. — Meinen Engel kann ich keine fünf Minuten un- gewickelt lassen, kreischte die Wartfrau und warf sich in die Brust, als verstehe ich von dergleichen Dingen weniger als Nichts. — Lie¬ ber Mann, ich wollte das Bild in meine Stube hängen, sieh nur, wie schön es in dem Einbunde aussieht, sagte meine Frau! — Den Teufel auch, sagte ich, ich will keine verpuppte Raupe malen und auch keine Windeln; es kann in der Welt nichts Schöneres geben, als solch einen Engel von einem Kinde, nur muß die Natur durch Nichts verhüllt sein. — Sehen Sie, lieber Doctor, so ging es mit meiner Kunst und mit meinem ganzen Glücke. — Aber hatten Sie denn keine Malstube, kein Zimmer, in wel¬ chem Sie Niemand belästigen durfte? —nit Ja wohl hatte ich das, entgegnete er; und ich kann ch anders sagen, als daß meine Frau es immer in schönster Ordnung hielt und nur zu sehr auf Reinlichkeit darin sah. Ich durfte mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/74>, abgerufen am 01.09.2024.