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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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würde mich glücklich preisen, wenn ich solche Talente besäße, wie
Sie.

-- Ach, jetzt besinne ich mich! fuhr er langsam fort, mir war's,
alö wäre ich in meinem freundlichen Stübchen zu Antwerpen, umge¬
ben von meinen lieben Gesellen! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie
nett und reinlich eS darin war. Dort an der Wand hingen einige
treffliche Meisterwerke, meist aus der niederländischen Schule, in gro¬
ßen Mappen lagen herrliche Radirungen, Kupferstiche, Zeichnungen
und Studien und an keinem Dinge konnten Sie den geringsten Flek-
ken bemerken. Alles war mit weißem Flor behängen, grüne Jalou¬
sien vor den Fenstern bewirkten eine angenehme Kühle, und von oben
fiel durch milchweiße Scheiben ein breiter, Heller Lichtstrahl, der die
zerstreuten Gegenstände zu ganzen Massen vereinte. Es wurde dieses
Zimmer Niemandem geöffnet, der mit bestaubten Schuhen von der
Straße kam, selbst meine Freunde mußten es sich gefallen lassen, erst
einen weiten, weißen Mantel von holländischer Leinwand über ihre
Kleider zu ziehen und ihre Füße in reine Pantoffeln mit Korksohlen
zu hüllen, ehe sie dieses Heiligthum betreten durften. Hatte sich den¬
noch bei aller Vorsicht eine Fliege oder gar Staub hinein gewagt,
so reiste ich einige. Tage auf's Land, damit unterdessen der Feind
gefangen und erlegt oder durch eine besondere, von mir erdachte
Vorrichtung jeder Schmutz aus der Stube entfernt wurde. -- Warum!
ach, warum konnten diese seligen Tage nicht länger dauern? Warum
mußte ein tückisches Geschick es so ganz anders fügen und ich selbst
den Grund zu unsäglichen Leiden legen?

-- Ein schwarz gesiegelter Brief, so begann der Schachtelmann
nach einer Pause wieder, brachte mir die Nachricht von dem plötzli¬
chen Tode meiner Eltern und rief mich unverzüglich in die Heimath
zurück. Ich reiste ab und fand bei meiner Ankunft eine nahe Ver¬
wandte meiner Mutter, die, frühe verwaist, seit meiner Entfernung
die Eltern zu sich genommen hatten. Sie war ein allerliebstes Mäd¬
chen, und mein Herz, das bisher keine anderen Gefühle, als die der
Freundschaft kannte, wurde nur zu bald und zu tief von Elisens Rei¬
zen gefesselt. Sie ward mein Weib und in den ersten Wochen nach
der Trauung hatte ich Kunst und Alles vergessen und wähnte in
ihrem Besitze den Himmel gefunden zu haben. Ach, nur zu bald
mußte dieser schöne Glaube fliehen und aus der gänzlichen Verschie-


würde mich glücklich preisen, wenn ich solche Talente besäße, wie
Sie.

— Ach, jetzt besinne ich mich! fuhr er langsam fort, mir war's,
alö wäre ich in meinem freundlichen Stübchen zu Antwerpen, umge¬
ben von meinen lieben Gesellen! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie
nett und reinlich eS darin war. Dort an der Wand hingen einige
treffliche Meisterwerke, meist aus der niederländischen Schule, in gro¬
ßen Mappen lagen herrliche Radirungen, Kupferstiche, Zeichnungen
und Studien und an keinem Dinge konnten Sie den geringsten Flek-
ken bemerken. Alles war mit weißem Flor behängen, grüne Jalou¬
sien vor den Fenstern bewirkten eine angenehme Kühle, und von oben
fiel durch milchweiße Scheiben ein breiter, Heller Lichtstrahl, der die
zerstreuten Gegenstände zu ganzen Massen vereinte. Es wurde dieses
Zimmer Niemandem geöffnet, der mit bestaubten Schuhen von der
Straße kam, selbst meine Freunde mußten es sich gefallen lassen, erst
einen weiten, weißen Mantel von holländischer Leinwand über ihre
Kleider zu ziehen und ihre Füße in reine Pantoffeln mit Korksohlen
zu hüllen, ehe sie dieses Heiligthum betreten durften. Hatte sich den¬
noch bei aller Vorsicht eine Fliege oder gar Staub hinein gewagt,
so reiste ich einige. Tage auf's Land, damit unterdessen der Feind
gefangen und erlegt oder durch eine besondere, von mir erdachte
Vorrichtung jeder Schmutz aus der Stube entfernt wurde. — Warum!
ach, warum konnten diese seligen Tage nicht länger dauern? Warum
mußte ein tückisches Geschick es so ganz anders fügen und ich selbst
den Grund zu unsäglichen Leiden legen?

— Ein schwarz gesiegelter Brief, so begann der Schachtelmann
nach einer Pause wieder, brachte mir die Nachricht von dem plötzli¬
chen Tode meiner Eltern und rief mich unverzüglich in die Heimath
zurück. Ich reiste ab und fand bei meiner Ankunft eine nahe Ver¬
wandte meiner Mutter, die, frühe verwaist, seit meiner Entfernung
die Eltern zu sich genommen hatten. Sie war ein allerliebstes Mäd¬
chen, und mein Herz, das bisher keine anderen Gefühle, als die der
Freundschaft kannte, wurde nur zu bald und zu tief von Elisens Rei¬
zen gefesselt. Sie ward mein Weib und in den ersten Wochen nach
der Trauung hatte ich Kunst und Alles vergessen und wähnte in
ihrem Besitze den Himmel gefunden zu haben. Ach, nur zu bald
mußte dieser schöne Glaube fliehen und aus der gänzlichen Verschie-


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[0072] würde mich glücklich preisen, wenn ich solche Talente besäße, wie Sie. — Ach, jetzt besinne ich mich! fuhr er langsam fort, mir war's, alö wäre ich in meinem freundlichen Stübchen zu Antwerpen, umge¬ ben von meinen lieben Gesellen! Ich kann Ihnen nicht sagen, wie nett und reinlich eS darin war. Dort an der Wand hingen einige treffliche Meisterwerke, meist aus der niederländischen Schule, in gro¬ ßen Mappen lagen herrliche Radirungen, Kupferstiche, Zeichnungen und Studien und an keinem Dinge konnten Sie den geringsten Flek- ken bemerken. Alles war mit weißem Flor behängen, grüne Jalou¬ sien vor den Fenstern bewirkten eine angenehme Kühle, und von oben fiel durch milchweiße Scheiben ein breiter, Heller Lichtstrahl, der die zerstreuten Gegenstände zu ganzen Massen vereinte. Es wurde dieses Zimmer Niemandem geöffnet, der mit bestaubten Schuhen von der Straße kam, selbst meine Freunde mußten es sich gefallen lassen, erst einen weiten, weißen Mantel von holländischer Leinwand über ihre Kleider zu ziehen und ihre Füße in reine Pantoffeln mit Korksohlen zu hüllen, ehe sie dieses Heiligthum betreten durften. Hatte sich den¬ noch bei aller Vorsicht eine Fliege oder gar Staub hinein gewagt, so reiste ich einige. Tage auf's Land, damit unterdessen der Feind gefangen und erlegt oder durch eine besondere, von mir erdachte Vorrichtung jeder Schmutz aus der Stube entfernt wurde. — Warum! ach, warum konnten diese seligen Tage nicht länger dauern? Warum mußte ein tückisches Geschick es so ganz anders fügen und ich selbst den Grund zu unsäglichen Leiden legen? — Ein schwarz gesiegelter Brief, so begann der Schachtelmann nach einer Pause wieder, brachte mir die Nachricht von dem plötzli¬ chen Tode meiner Eltern und rief mich unverzüglich in die Heimath zurück. Ich reiste ab und fand bei meiner Ankunft eine nahe Ver¬ wandte meiner Mutter, die, frühe verwaist, seit meiner Entfernung die Eltern zu sich genommen hatten. Sie war ein allerliebstes Mäd¬ chen, und mein Herz, das bisher keine anderen Gefühle, als die der Freundschaft kannte, wurde nur zu bald und zu tief von Elisens Rei¬ zen gefesselt. Sie ward mein Weib und in den ersten Wochen nach der Trauung hatte ich Kunst und Alles vergessen und wähnte in ihrem Besitze den Himmel gefunden zu haben. Ach, nur zu bald mußte dieser schöne Glaube fliehen und aus der gänzlichen Verschie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/72>, abgerufen am 01.09.2024.