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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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deten weiter, stießen freilich auch zuweilen in's Horn und priesen als
hochbedeutend, was nur von relativem Werthe war. Auch auf die
Bühne wiesen sie bereits hin, wohl wissend, daß das Drama nur
Drama ist, wenn es auf den Brettern zur Erscheinung kommt, daß
es erst in dieser sinnlichsten Gestalt seine Wahrheit und Bedeutung
hat. Diese Wahrheit einmal erkannt, wandte sich jenes allgemeine
dramatische Bestreben auf das Theater; die Aufgabe wurde nun, die
verlorene, entfremdete Bühne auf's Neue zu erobern. -- Wollte man
aber Nichts, als eben den Markt mit Stücken überschwemmen, ohne
Rücksicht auf Gehalt und Form, den Direktionen und dem Publicum
jede beliebige Waare mit Gewalt aufdringen? Oder sollte die dra¬
matische Form wieder poetischen Gehalt gewinnen und umgekehrt der
poetische Gehalt sich wieder in dramatische, bühnengemäße Form klei¬
den? Und zwar, --- darauf kam eS an, -- sollte der Geist der Zeit
hier einen Ausdruck finden? Oder wollte man mit der Romantik
schon thun, abgeblasene Milch neuerdings aufwärmen? Gewiß nicht!
Eine Poesie ohne lebendigen Bezug aus die Zeit und ihren Jdeen-
kreis ist keine, ist Nichts als ein leeres Phrasengeklingel, wie uns
Firmenich in seiner Clotilde Montalvi aufopferndst bewiesen. Dra¬
men ohne Poesie aber, wären sie zehnmal von deutschen Verfassern,
Originalwerke, wie man sagt, und wären ihrer mehr denn Sand am
Meere, sie hätten nie ein nationales Theater geschaffen. Mit der
Masse ist es nicht gethan, und der verkennt das Wesen der drama¬
tischen Gestaltung, der da meint, man könne auch ohne den Genius
der Poesie allenfalls mit ihr fertig werden. Aber wie gerecht auch
jene idealen Forderungen sind, frank und frei durfte man, so schien
es, mit ihnen nicht an die Coulissen herankommen. Zunächst das
politische Element, das Hauptelement unserer Zeit, es mußte zurück¬
treten vor Censur, Polizei, Rücksichten und Gott weiß was. Dem
Liberalismus die Bühne einräumen, damit er dort oben sein mi߬
liebiges Wesen triebe? Seltsame Idee! Noch hat nicht einmal Franks
reich, hat nicht einmal England auch nur den Schatten eines Aristo-
phanes; und wir! -- Indessen, wenn jene politische Theilnahme in
Wahrheit unserer Zeit das Gepräge gibt, wenn alle unsere Bestre¬
bungen von da ausgehen und dahin zurückführen, wenn auch unsere
paare Eristenz davon getränkt ist, so ist sie eben ein Allgemeines, das
unter tausend Formen zum Vorschein kommen wird und zum Vor-


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deten weiter, stießen freilich auch zuweilen in's Horn und priesen als
hochbedeutend, was nur von relativem Werthe war. Auch auf die
Bühne wiesen sie bereits hin, wohl wissend, daß das Drama nur
Drama ist, wenn es auf den Brettern zur Erscheinung kommt, daß
es erst in dieser sinnlichsten Gestalt seine Wahrheit und Bedeutung
hat. Diese Wahrheit einmal erkannt, wandte sich jenes allgemeine
dramatische Bestreben auf das Theater; die Aufgabe wurde nun, die
verlorene, entfremdete Bühne auf's Neue zu erobern. — Wollte man
aber Nichts, als eben den Markt mit Stücken überschwemmen, ohne
Rücksicht auf Gehalt und Form, den Direktionen und dem Publicum
jede beliebige Waare mit Gewalt aufdringen? Oder sollte die dra¬
matische Form wieder poetischen Gehalt gewinnen und umgekehrt der
poetische Gehalt sich wieder in dramatische, bühnengemäße Form klei¬
den? Und zwar, -— darauf kam eS an, — sollte der Geist der Zeit
hier einen Ausdruck finden? Oder wollte man mit der Romantik
schon thun, abgeblasene Milch neuerdings aufwärmen? Gewiß nicht!
Eine Poesie ohne lebendigen Bezug aus die Zeit und ihren Jdeen-
kreis ist keine, ist Nichts als ein leeres Phrasengeklingel, wie uns
Firmenich in seiner Clotilde Montalvi aufopferndst bewiesen. Dra¬
men ohne Poesie aber, wären sie zehnmal von deutschen Verfassern,
Originalwerke, wie man sagt, und wären ihrer mehr denn Sand am
Meere, sie hätten nie ein nationales Theater geschaffen. Mit der
Masse ist es nicht gethan, und der verkennt das Wesen der drama¬
tischen Gestaltung, der da meint, man könne auch ohne den Genius
der Poesie allenfalls mit ihr fertig werden. Aber wie gerecht auch
jene idealen Forderungen sind, frank und frei durfte man, so schien
es, mit ihnen nicht an die Coulissen herankommen. Zunächst das
politische Element, das Hauptelement unserer Zeit, es mußte zurück¬
treten vor Censur, Polizei, Rücksichten und Gott weiß was. Dem
Liberalismus die Bühne einräumen, damit er dort oben sein mi߬
liebiges Wesen triebe? Seltsame Idee! Noch hat nicht einmal Franks
reich, hat nicht einmal England auch nur den Schatten eines Aristo-
phanes; und wir! — Indessen, wenn jene politische Theilnahme in
Wahrheit unserer Zeit das Gepräge gibt, wenn alle unsere Bestre¬
bungen von da ausgehen und dahin zurückführen, wenn auch unsere
paare Eristenz davon getränkt ist, so ist sie eben ein Allgemeines, das
unter tausend Formen zum Vorschein kommen wird und zum Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/7>, abgerufen am 01.09.2024.