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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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um jede Vemmeinigmig zu verhüten. So z. B. Staat das Reißbrett
in einer Mappe, die es von allen Seiten umschloß, über die Zeich¬
nung war ein anderes Papier gespannt, welches den Rand bedeckte,
und sie selbst war wieder durch mehrere Hüllen geschützt, so daß nur
unmer diejenige Stelle offen war, an welcher gerade gearbeitet wurde.
Konnte ich zum Schneiven deö Bleistiftes einen Freund bereden, so
geschah dies; mußte ich es aber selbst thun, dann zog ich Handschuhe
an, kehrte die Spitze von mir ab und schabte mit dem Messer so
lange, bis es gut war, damit nur der Abfall nicht meine Finger
beschmutzte. Hatte ich etwas vollendet, so wurde es mit der größten
Sorgfalt aufbewahrt und niemals unbedeckt dem Staube preisgege¬
ben. Aber ach! -- seufzte er -- konnte ich jemals bei aller Wach¬
samkeit und Vorsicht es verhindern, daß nicht dennoch dieser verderb¬
liche Feind der Reinlichkeit und des Glücks durch alle Ritzen und
Spalten drang und mörderisch meine Arbeiten anfiel und zerstörte? --

-- Aber Oelfarbe, sollte ich meinen, sprach ich, um den Er¬
schütterten wieder aufzurichten, Oelfarbe wäre durch den Firniß vor
jedem Schmutze sicher?

-- Ach, entgegnete er kopfschüttelnd; lieber Freund, lassen Sie
mich meine Leidensgeschichte vollende". Ich ward ein Maler, und
da ich einmal meine ganze Freude daran fand, so sparte mein Va¬
ter kein Geld und keine Mühe, um mir die beste Unterweisung, die
geschicktesten Lehrer in dieser Kunst zu verschaffen. Immer hatten
mich schon die Meisterwerke der niederländischen Schule.vor allen
andern angezogen, sowohl wegen der Wärme des Colorits und der
sorgfältigen Ausführung des kleinsten Details, als auch durch die
Reinlichkeit und Glätte, womit sie gearbeitet sind. -- In meinem
zwanzigsten Jahre gaben daher die Eltern meinem dringenden Wun¬
sche nach und gestatteten mir eine Reise nach Holland.

-- Dort werden Sie durch die Reinlichkeit befriedigt worden
sein und sich glücklich gefühlt haben, bemerkte ich.

-- Man hätte mich lieber zu den Pcscherähs, den Eskimos,
oder Gott weiß, zu welchem wilden, schmutzigen Volke schicken sollen,
war seine heftige Antwort, als zu diesen Holländern. War in der
Heimat!) meine Ordnungsliebe, meine Pedanterie schon groß, so wurde
sie hier noch größer; hatte ich früher schon jede Kleinigkeit immer
besonders eingepackt, so war es jetzt mit mir nicht mehr zum Abhal-


um jede Vemmeinigmig zu verhüten. So z. B. Staat das Reißbrett
in einer Mappe, die es von allen Seiten umschloß, über die Zeich¬
nung war ein anderes Papier gespannt, welches den Rand bedeckte,
und sie selbst war wieder durch mehrere Hüllen geschützt, so daß nur
unmer diejenige Stelle offen war, an welcher gerade gearbeitet wurde.
Konnte ich zum Schneiven deö Bleistiftes einen Freund bereden, so
geschah dies; mußte ich es aber selbst thun, dann zog ich Handschuhe
an, kehrte die Spitze von mir ab und schabte mit dem Messer so
lange, bis es gut war, damit nur der Abfall nicht meine Finger
beschmutzte. Hatte ich etwas vollendet, so wurde es mit der größten
Sorgfalt aufbewahrt und niemals unbedeckt dem Staube preisgege¬
ben. Aber ach! — seufzte er — konnte ich jemals bei aller Wach¬
samkeit und Vorsicht es verhindern, daß nicht dennoch dieser verderb¬
liche Feind der Reinlichkeit und des Glücks durch alle Ritzen und
Spalten drang und mörderisch meine Arbeiten anfiel und zerstörte? —

— Aber Oelfarbe, sollte ich meinen, sprach ich, um den Er¬
schütterten wieder aufzurichten, Oelfarbe wäre durch den Firniß vor
jedem Schmutze sicher?

— Ach, entgegnete er kopfschüttelnd; lieber Freund, lassen Sie
mich meine Leidensgeschichte vollende». Ich ward ein Maler, und
da ich einmal meine ganze Freude daran fand, so sparte mein Va¬
ter kein Geld und keine Mühe, um mir die beste Unterweisung, die
geschicktesten Lehrer in dieser Kunst zu verschaffen. Immer hatten
mich schon die Meisterwerke der niederländischen Schule.vor allen
andern angezogen, sowohl wegen der Wärme des Colorits und der
sorgfältigen Ausführung des kleinsten Details, als auch durch die
Reinlichkeit und Glätte, womit sie gearbeitet sind. — In meinem
zwanzigsten Jahre gaben daher die Eltern meinem dringenden Wun¬
sche nach und gestatteten mir eine Reise nach Holland.

— Dort werden Sie durch die Reinlichkeit befriedigt worden
sein und sich glücklich gefühlt haben, bemerkte ich.

— Man hätte mich lieber zu den Pcscherähs, den Eskimos,
oder Gott weiß, zu welchem wilden, schmutzigen Volke schicken sollen,
war seine heftige Antwort, als zu diesen Holländern. War in der
Heimat!) meine Ordnungsliebe, meine Pedanterie schon groß, so wurde
sie hier noch größer; hatte ich früher schon jede Kleinigkeit immer
besonders eingepackt, so war es jetzt mit mir nicht mehr zum Abhal-


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[0067] um jede Vemmeinigmig zu verhüten. So z. B. Staat das Reißbrett in einer Mappe, die es von allen Seiten umschloß, über die Zeich¬ nung war ein anderes Papier gespannt, welches den Rand bedeckte, und sie selbst war wieder durch mehrere Hüllen geschützt, so daß nur unmer diejenige Stelle offen war, an welcher gerade gearbeitet wurde. Konnte ich zum Schneiven deö Bleistiftes einen Freund bereden, so geschah dies; mußte ich es aber selbst thun, dann zog ich Handschuhe an, kehrte die Spitze von mir ab und schabte mit dem Messer so lange, bis es gut war, damit nur der Abfall nicht meine Finger beschmutzte. Hatte ich etwas vollendet, so wurde es mit der größten Sorgfalt aufbewahrt und niemals unbedeckt dem Staube preisgege¬ ben. Aber ach! — seufzte er — konnte ich jemals bei aller Wach¬ samkeit und Vorsicht es verhindern, daß nicht dennoch dieser verderb¬ liche Feind der Reinlichkeit und des Glücks durch alle Ritzen und Spalten drang und mörderisch meine Arbeiten anfiel und zerstörte? — — Aber Oelfarbe, sollte ich meinen, sprach ich, um den Er¬ schütterten wieder aufzurichten, Oelfarbe wäre durch den Firniß vor jedem Schmutze sicher? — Ach, entgegnete er kopfschüttelnd; lieber Freund, lassen Sie mich meine Leidensgeschichte vollende». Ich ward ein Maler, und da ich einmal meine ganze Freude daran fand, so sparte mein Va¬ ter kein Geld und keine Mühe, um mir die beste Unterweisung, die geschicktesten Lehrer in dieser Kunst zu verschaffen. Immer hatten mich schon die Meisterwerke der niederländischen Schule.vor allen andern angezogen, sowohl wegen der Wärme des Colorits und der sorgfältigen Ausführung des kleinsten Details, als auch durch die Reinlichkeit und Glätte, womit sie gearbeitet sind. — In meinem zwanzigsten Jahre gaben daher die Eltern meinem dringenden Wun¬ sche nach und gestatteten mir eine Reise nach Holland. — Dort werden Sie durch die Reinlichkeit befriedigt worden sein und sich glücklich gefühlt haben, bemerkte ich. — Man hätte mich lieber zu den Pcscherähs, den Eskimos, oder Gott weiß, zu welchem wilden, schmutzigen Volke schicken sollen, war seine heftige Antwort, als zu diesen Holländern. War in der Heimat!) meine Ordnungsliebe, meine Pedanterie schon groß, so wurde sie hier noch größer; hatte ich früher schon jede Kleinigkeit immer besonders eingepackt, so war es jetzt mit mir nicht mehr zum Abhal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/67>, abgerufen am 01.09.2024.