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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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mes Lebens schuldig, das, obgleich an sich wenig romantisch, für Sie
als Arzt Interesse haben kann.

-- Meine Eltern, so begann er, waren bemittelte Kaufleute in
S., die es gern gesehen haben würden, wenn ich, ihr einziges Kind,
den gleichen Stand ergriffen hätte; allein schon frühe trieb mich die
Neigung zur Kunst in die schattigen, kühlen Buchenhaine bei S.,
fern von dem dumpfen Comptoir und den staubigen Straßen, wo ich
dem dunkeln Gefühle der Schönheit huldigend, bald durch eigne
Uebung die ersten Fertigkeiten im Zeichnen mir erworben hatte. Ich
kannte kein größeres Glück, als die gefälligen, saubern Formen, die
mir an Blumen und Blättern auf meinen Lieblingsplätzen begegne-
ten, eben so sauber und nett auf das Papier zu tragen, denn Rein¬
lichkeit und Ordnung waren mir angeboren. Schon mein Vater
wurde dadurch zum reichen Manne, und bei mir erschienen diese
Eigenschaften in noch höherem Grade, ich trug sie nur bei meinem
Talente zur Malerei auf andere Gegenstände über. Dinte, schwarze
Kreide und andere Dinge, womit man sich die Finger besudelt, wa¬
ren mir verhaßt, ich wandte sie nur rin Widerwillen an und ge¬
brauchte sie stets mit der größten Vorsicht. Nie -- ich kann es mit
Wahrheit behaupten - machte ich auf meine Bücher oder meine
Kleider einen Fleck, und geschah dies durch Andere, so weinte
und bat ich so lange, bis ich neue Sachen dafür erhielt. --

Jetzt sehe ich freilich ein, daß die Zärtlichkeit meiner Ellern
gegen mich übertrieben war und daß das Uebel, welches die Quelle
meines ganzen nachherigen Elendes geworden ist, gerade dadurch
noch recht gepflegt und gehegt wurde. Allein so geht es dem armen
Sterblichen, Alles, selbst die größte Liebe muß dazu beitragen, uns
in'ö Verderben zu stürzen; und nimmer hätte ich gedacht, daß die
Freude, welche ich empfand, wenn ich etwas mit der höchsten Rein¬
lichkeit vollendet hatte, mir einst zur bittern Galle sich umwandeln
würde.

-- Reinlichkeit, unterbrach ich hier den Erzähler, gehört un¬
streitig mit zu den Hauptvorzügen jeder Arbeit und besonders jedes
Kunstwerkes; aber, ich bitte Sie, womit führten Sie denn Ihre Sa¬
chen aus, Sie mußten doch den Bleistift gebrauchen oder . . . ? ">

- Ganz recht, erwiederte er lebhast, Sie scheinen auch Nei-
guilg zur Malerei zu haben; ich wendete mancherlei Kunstgriffe an,


mes Lebens schuldig, das, obgleich an sich wenig romantisch, für Sie
als Arzt Interesse haben kann.

— Meine Eltern, so begann er, waren bemittelte Kaufleute in
S., die es gern gesehen haben würden, wenn ich, ihr einziges Kind,
den gleichen Stand ergriffen hätte; allein schon frühe trieb mich die
Neigung zur Kunst in die schattigen, kühlen Buchenhaine bei S.,
fern von dem dumpfen Comptoir und den staubigen Straßen, wo ich
dem dunkeln Gefühle der Schönheit huldigend, bald durch eigne
Uebung die ersten Fertigkeiten im Zeichnen mir erworben hatte. Ich
kannte kein größeres Glück, als die gefälligen, saubern Formen, die
mir an Blumen und Blättern auf meinen Lieblingsplätzen begegne-
ten, eben so sauber und nett auf das Papier zu tragen, denn Rein¬
lichkeit und Ordnung waren mir angeboren. Schon mein Vater
wurde dadurch zum reichen Manne, und bei mir erschienen diese
Eigenschaften in noch höherem Grade, ich trug sie nur bei meinem
Talente zur Malerei auf andere Gegenstände über. Dinte, schwarze
Kreide und andere Dinge, womit man sich die Finger besudelt, wa¬
ren mir verhaßt, ich wandte sie nur rin Widerwillen an und ge¬
brauchte sie stets mit der größten Vorsicht. Nie — ich kann es mit
Wahrheit behaupten - machte ich auf meine Bücher oder meine
Kleider einen Fleck, und geschah dies durch Andere, so weinte
und bat ich so lange, bis ich neue Sachen dafür erhielt. —

Jetzt sehe ich freilich ein, daß die Zärtlichkeit meiner Ellern
gegen mich übertrieben war und daß das Uebel, welches die Quelle
meines ganzen nachherigen Elendes geworden ist, gerade dadurch
noch recht gepflegt und gehegt wurde. Allein so geht es dem armen
Sterblichen, Alles, selbst die größte Liebe muß dazu beitragen, uns
in'ö Verderben zu stürzen; und nimmer hätte ich gedacht, daß die
Freude, welche ich empfand, wenn ich etwas mit der höchsten Rein¬
lichkeit vollendet hatte, mir einst zur bittern Galle sich umwandeln
würde.

— Reinlichkeit, unterbrach ich hier den Erzähler, gehört un¬
streitig mit zu den Hauptvorzügen jeder Arbeit und besonders jedes
Kunstwerkes; aber, ich bitte Sie, womit führten Sie denn Ihre Sa¬
chen aus, Sie mußten doch den Bleistift gebrauchen oder . . . ? »>

- Ganz recht, erwiederte er lebhast, Sie scheinen auch Nei-
guilg zur Malerei zu haben; ich wendete mancherlei Kunstgriffe an,


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[0066] mes Lebens schuldig, das, obgleich an sich wenig romantisch, für Sie als Arzt Interesse haben kann. — Meine Eltern, so begann er, waren bemittelte Kaufleute in S., die es gern gesehen haben würden, wenn ich, ihr einziges Kind, den gleichen Stand ergriffen hätte; allein schon frühe trieb mich die Neigung zur Kunst in die schattigen, kühlen Buchenhaine bei S., fern von dem dumpfen Comptoir und den staubigen Straßen, wo ich dem dunkeln Gefühle der Schönheit huldigend, bald durch eigne Uebung die ersten Fertigkeiten im Zeichnen mir erworben hatte. Ich kannte kein größeres Glück, als die gefälligen, saubern Formen, die mir an Blumen und Blättern auf meinen Lieblingsplätzen begegne- ten, eben so sauber und nett auf das Papier zu tragen, denn Rein¬ lichkeit und Ordnung waren mir angeboren. Schon mein Vater wurde dadurch zum reichen Manne, und bei mir erschienen diese Eigenschaften in noch höherem Grade, ich trug sie nur bei meinem Talente zur Malerei auf andere Gegenstände über. Dinte, schwarze Kreide und andere Dinge, womit man sich die Finger besudelt, wa¬ ren mir verhaßt, ich wandte sie nur rin Widerwillen an und ge¬ brauchte sie stets mit der größten Vorsicht. Nie — ich kann es mit Wahrheit behaupten - machte ich auf meine Bücher oder meine Kleider einen Fleck, und geschah dies durch Andere, so weinte und bat ich so lange, bis ich neue Sachen dafür erhielt. — Jetzt sehe ich freilich ein, daß die Zärtlichkeit meiner Ellern gegen mich übertrieben war und daß das Uebel, welches die Quelle meines ganzen nachherigen Elendes geworden ist, gerade dadurch noch recht gepflegt und gehegt wurde. Allein so geht es dem armen Sterblichen, Alles, selbst die größte Liebe muß dazu beitragen, uns in'ö Verderben zu stürzen; und nimmer hätte ich gedacht, daß die Freude, welche ich empfand, wenn ich etwas mit der höchsten Rein¬ lichkeit vollendet hatte, mir einst zur bittern Galle sich umwandeln würde. — Reinlichkeit, unterbrach ich hier den Erzähler, gehört un¬ streitig mit zu den Hauptvorzügen jeder Arbeit und besonders jedes Kunstwerkes; aber, ich bitte Sie, womit führten Sie denn Ihre Sa¬ chen aus, Sie mußten doch den Bleistift gebrauchen oder . . . ? »> - Ganz recht, erwiederte er lebhast, Sie scheinen auch Nei- guilg zur Malerei zu haben; ich wendete mancherlei Kunstgriffe an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/66>, abgerufen am 01.09.2024.