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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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das Wie war mir noch nicht klar; doch konnte der morgende Tag
mir auch hierzu vielleicht Winke geben. -- Wie ansteckend aber
eine solche Narrheit ist, das bestätigte sich hier an mir selbst, denn
überall fand ich jetzt Staub; ich betrachtete ihn aufmerksamer, mi߬
trauischer, verlor mich in Untersuchungen über sein Entstehen, seine
Wirkungen und begriff nicht, wie ich früher das Alles so leicht neh¬
men, so unbeachtet lassen konnte? Wußte ich doch noch von der
Schule her, daß es alte Philosophen gegeben hat, welche die ganze
Schöpfung durch Staub entstehen ließen.
nnteu unsern Zeiten wo oManes das lane

Wie leicht ko z,,g,
lange zusammengehalten, sich spaltete und auflöste, wieder eine Tren¬
nung der Atome sich ereignen? Wie leicht das All in sein voriges
Nichts zurückfallen? Mir wurde schwindlig wenn ich daran dachte;
ich mußte mich halten an den Wänden der Häuser, so oft mir der
Wind eine Staubwolke entgegenwehte, und das war leider nichts
Seltenes bei dem trocknen Wetter, obgleich ich nur bei dringenden
Fällen mich auf die Straße wagte und jeden unnützen Spaziergang als
zu gefährlich mied. Wahrhaftig, die guten Birkenfelder müssen an
dem ersten Tage meines Hierseins gedacht haben, ich käme direct
von einer langen Seereise, so unsicher wankte ich durch die Straßen
so hoch hob ich meine Füße, damit nur der Staub nicht aufge¬
regt werde.

Am Abend, da ich mich zu Bette legte, erschienen mir die Bil¬
der des verflossenen Tages in noch drohenderer Gestalt. Meine Be¬
sorgnisse wegen des Staubes wurden stärker, und erst spät schlum¬
merte ich ein wenig ein, um im Traume meine Qualen erneut zu
sehen. -- Doch der frische jugendliche Morgen mit seinen Millio¬
nen Thautropfen, mit seiner erquickenden Kühle machte meine Brust
wieder weit und fröhlich und stärkte meine Lunge, welche gestern
Abend an einem bedenklichen Staubasthma litt, so kräftig, daß ich
den Plan vom vorigen Abend: die Welt durch einen dringenden
Aufruf vor den Gefahren des Staubgiftes zu warnen und dadurch
aus ihrer bestaubten Sicherheit aufzuschrecken, der schon begonnen
auf dem Tische lag, zerriß und meine Pfeife damit anzündete.

-- Ich bin Ihnen, sagte der Schachtelmann, nachdem ich wohl¬
gebürstet und auf den Zehen schleichend, wie der Geist der Ahnfrau,
bei ihm eingetreten war, ich bin Ihnen eine kurze Darstellung mei-


das Wie war mir noch nicht klar; doch konnte der morgende Tag
mir auch hierzu vielleicht Winke geben. — Wie ansteckend aber
eine solche Narrheit ist, das bestätigte sich hier an mir selbst, denn
überall fand ich jetzt Staub; ich betrachtete ihn aufmerksamer, mi߬
trauischer, verlor mich in Untersuchungen über sein Entstehen, seine
Wirkungen und begriff nicht, wie ich früher das Alles so leicht neh¬
men, so unbeachtet lassen konnte? Wußte ich doch noch von der
Schule her, daß es alte Philosophen gegeben hat, welche die ganze
Schöpfung durch Staub entstehen ließen.
nnteu unsern Zeiten wo oManes das lane

Wie leicht ko z,,g,
lange zusammengehalten, sich spaltete und auflöste, wieder eine Tren¬
nung der Atome sich ereignen? Wie leicht das All in sein voriges
Nichts zurückfallen? Mir wurde schwindlig wenn ich daran dachte;
ich mußte mich halten an den Wänden der Häuser, so oft mir der
Wind eine Staubwolke entgegenwehte, und das war leider nichts
Seltenes bei dem trocknen Wetter, obgleich ich nur bei dringenden
Fällen mich auf die Straße wagte und jeden unnützen Spaziergang als
zu gefährlich mied. Wahrhaftig, die guten Birkenfelder müssen an
dem ersten Tage meines Hierseins gedacht haben, ich käme direct
von einer langen Seereise, so unsicher wankte ich durch die Straßen
so hoch hob ich meine Füße, damit nur der Staub nicht aufge¬
regt werde.

Am Abend, da ich mich zu Bette legte, erschienen mir die Bil¬
der des verflossenen Tages in noch drohenderer Gestalt. Meine Be¬
sorgnisse wegen des Staubes wurden stärker, und erst spät schlum¬
merte ich ein wenig ein, um im Traume meine Qualen erneut zu
sehen. — Doch der frische jugendliche Morgen mit seinen Millio¬
nen Thautropfen, mit seiner erquickenden Kühle machte meine Brust
wieder weit und fröhlich und stärkte meine Lunge, welche gestern
Abend an einem bedenklichen Staubasthma litt, so kräftig, daß ich
den Plan vom vorigen Abend: die Welt durch einen dringenden
Aufruf vor den Gefahren des Staubgiftes zu warnen und dadurch
aus ihrer bestaubten Sicherheit aufzuschrecken, der schon begonnen
auf dem Tische lag, zerriß und meine Pfeife damit anzündete.

— Ich bin Ihnen, sagte der Schachtelmann, nachdem ich wohl¬
gebürstet und auf den Zehen schleichend, wie der Geist der Ahnfrau,
bei ihm eingetreten war, ich bin Ihnen eine kurze Darstellung mei-


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[0065] das Wie war mir noch nicht klar; doch konnte der morgende Tag mir auch hierzu vielleicht Winke geben. — Wie ansteckend aber eine solche Narrheit ist, das bestätigte sich hier an mir selbst, denn überall fand ich jetzt Staub; ich betrachtete ihn aufmerksamer, mi߬ trauischer, verlor mich in Untersuchungen über sein Entstehen, seine Wirkungen und begriff nicht, wie ich früher das Alles so leicht neh¬ men, so unbeachtet lassen konnte? Wußte ich doch noch von der Schule her, daß es alte Philosophen gegeben hat, welche die ganze Schöpfung durch Staub entstehen ließen. nnteu unsern Zeiten wo oManes das lane Wie leicht ko z,,g, lange zusammengehalten, sich spaltete und auflöste, wieder eine Tren¬ nung der Atome sich ereignen? Wie leicht das All in sein voriges Nichts zurückfallen? Mir wurde schwindlig wenn ich daran dachte; ich mußte mich halten an den Wänden der Häuser, so oft mir der Wind eine Staubwolke entgegenwehte, und das war leider nichts Seltenes bei dem trocknen Wetter, obgleich ich nur bei dringenden Fällen mich auf die Straße wagte und jeden unnützen Spaziergang als zu gefährlich mied. Wahrhaftig, die guten Birkenfelder müssen an dem ersten Tage meines Hierseins gedacht haben, ich käme direct von einer langen Seereise, so unsicher wankte ich durch die Straßen so hoch hob ich meine Füße, damit nur der Staub nicht aufge¬ regt werde. Am Abend, da ich mich zu Bette legte, erschienen mir die Bil¬ der des verflossenen Tages in noch drohenderer Gestalt. Meine Be¬ sorgnisse wegen des Staubes wurden stärker, und erst spät schlum¬ merte ich ein wenig ein, um im Traume meine Qualen erneut zu sehen. — Doch der frische jugendliche Morgen mit seinen Millio¬ nen Thautropfen, mit seiner erquickenden Kühle machte meine Brust wieder weit und fröhlich und stärkte meine Lunge, welche gestern Abend an einem bedenklichen Staubasthma litt, so kräftig, daß ich den Plan vom vorigen Abend: die Welt durch einen dringenden Aufruf vor den Gefahren des Staubgiftes zu warnen und dadurch aus ihrer bestaubten Sicherheit aufzuschrecken, der schon begonnen auf dem Tische lag, zerriß und meine Pfeife damit anzündete. — Ich bin Ihnen, sagte der Schachtelmann, nachdem ich wohl¬ gebürstet und auf den Zehen schleichend, wie der Geist der Ahnfrau, bei ihm eingetreten war, ich bin Ihnen eine kurze Darstellung mei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/65>, abgerufen am 01.09.2024.