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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gewesen, und da es für den Arzt von mannichfachen Nutzen ist, wenn
er nicht ganz unbekannt mit den bildenden Künsten bleibt, so hatte
ich noch auf der Akademie mich auch hierin zu vervollkommnen und
meinen Geschmack auszubilden gesucht, und ich konnte mir wohl zu¬
trauen, den Werth eines Gemäldes richtig zu schätzen. Allein so
wahr, so lebendig und treu hier die Natur aufgefaßt und meisterhaft
wieder gegeben war, davon hatte ich noch wenige Beispiele gesehen.
Ich mußte unwillkürlich lachen, denn wie aus einem Spiegel trat
ich selbst mir entgegen, wie ich vor zehn Jahren ausgesehen hatte.
Und ohne Schmeichelei durfte ich mir sagen, daß ich ein schöner,
brauner Lockenkopf gewesen war.

-- Und das hat sein Herr gemalt? fragte ich Friedrich, der
mir beim Abnehmen der vielen Hüllen behilflich gewesen und, wie
es schien, mein Erstaunen und meine Freude über das schone Mei¬
sterwerk theilte.

-- Ja wohl! antwortete dieser und blickte traurig nieder auf
den Boden.

-- Malt er denn auch noch jetzt? fragte ich wieder.

-- Er hat lange keine Arbeit unternommen, versetzte Friedrich;
ach könnten Sie ihm wieder Lust dazu machen, wir Alle würden Ihnen
auf's innigste verpflichtet sein.

-- Ihr Alle! entgegnete ich, wohnen denn noch mehr Leute bei
Euch in dem düstern Hause?

-- Nein, Herr Doctor! aber -- -- doch der Herr wird's
Ihnen selbst besser erzählen. -- Damit entfernte sich Friedrich schnell,
als fürchtete er die Geheimnisse des Schachtelmannes zu verrathen. --

Den ganzen Tag über beschäftigten mich die abenteuerlichsten
Entwürfe zur Heilung meines Kranken. Bald blätterte ich in mei¬
nen Heften und Compendien, um irgend einen analogen Fall zu fin¬
den, bald zergrübelte ich meinen Verstand, damit mir ein Mittel ge¬
gen das Staubgift einfallen möge. Denn daß der Schachrelmann,
seine närrische Idee ausgenommen, ein ganz verständiger Mensch sei,
daß er einer der ausgezeichnetsten Künstler gewesen und durch mich
vielleicht der Welt und der Kunst wieder geschenkt werden könne, da¬
von hatte mich der Besuch bei ihm und sein Geschenk vollkommen
überzeugt. Mit Vernunftgründen werden gewöhnlich solche Uebel
nur vermehrt, ich mußte Narrheit der Narrheit entgegensetzen, nur


gewesen, und da es für den Arzt von mannichfachen Nutzen ist, wenn
er nicht ganz unbekannt mit den bildenden Künsten bleibt, so hatte
ich noch auf der Akademie mich auch hierin zu vervollkommnen und
meinen Geschmack auszubilden gesucht, und ich konnte mir wohl zu¬
trauen, den Werth eines Gemäldes richtig zu schätzen. Allein so
wahr, so lebendig und treu hier die Natur aufgefaßt und meisterhaft
wieder gegeben war, davon hatte ich noch wenige Beispiele gesehen.
Ich mußte unwillkürlich lachen, denn wie aus einem Spiegel trat
ich selbst mir entgegen, wie ich vor zehn Jahren ausgesehen hatte.
Und ohne Schmeichelei durfte ich mir sagen, daß ich ein schöner,
brauner Lockenkopf gewesen war.

— Und das hat sein Herr gemalt? fragte ich Friedrich, der
mir beim Abnehmen der vielen Hüllen behilflich gewesen und, wie
es schien, mein Erstaunen und meine Freude über das schone Mei¬
sterwerk theilte.

— Ja wohl! antwortete dieser und blickte traurig nieder auf
den Boden.

— Malt er denn auch noch jetzt? fragte ich wieder.

— Er hat lange keine Arbeit unternommen, versetzte Friedrich;
ach könnten Sie ihm wieder Lust dazu machen, wir Alle würden Ihnen
auf's innigste verpflichtet sein.

— Ihr Alle! entgegnete ich, wohnen denn noch mehr Leute bei
Euch in dem düstern Hause?

— Nein, Herr Doctor! aber — — doch der Herr wird's
Ihnen selbst besser erzählen. — Damit entfernte sich Friedrich schnell,
als fürchtete er die Geheimnisse des Schachtelmannes zu verrathen. —

Den ganzen Tag über beschäftigten mich die abenteuerlichsten
Entwürfe zur Heilung meines Kranken. Bald blätterte ich in mei¬
nen Heften und Compendien, um irgend einen analogen Fall zu fin¬
den, bald zergrübelte ich meinen Verstand, damit mir ein Mittel ge¬
gen das Staubgift einfallen möge. Denn daß der Schachrelmann,
seine närrische Idee ausgenommen, ein ganz verständiger Mensch sei,
daß er einer der ausgezeichnetsten Künstler gewesen und durch mich
vielleicht der Welt und der Kunst wieder geschenkt werden könne, da¬
von hatte mich der Besuch bei ihm und sein Geschenk vollkommen
überzeugt. Mit Vernunftgründen werden gewöhnlich solche Uebel
nur vermehrt, ich mußte Narrheit der Narrheit entgegensetzen, nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/64>, abgerufen am 01.09.2024.