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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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schlag die Thurm nicht unsanft zu und bewege auch Deine Hände
nicht so schnell, damit es keine Erschütterung gibt, wenn Du das
Bild von der Wand nimmst.

Friedrich ging, nach der erhaltenen Weisung sich genau richtend
und ich konnte den Mann genauer betrachten, der mir immer in-'
teressantcr zu werden anfing. Er saß da, mit fast ängstlich verschränk¬
ten Armen, den Kopf auf die Brust gebückt und kaum Athem ho¬
lend, damit die durch Friedrich's Gehen unvermeidliche Bewegung
auf keine Weise vermehrt, sondern gleichsam durch seine völlige Ruhe
neutralisirt werde. Er konnte früher ein schöner Mann gewesen sein,
aber die komische Einbildung hatte seinen Nacken vor der Zeit ge¬
krümmt und seinem ganzen Wesen eine Befangenheit aufgedrückt, die
mit der kräftigen Gestalt sonderbar contrastirte. Seine Hände wa¬
ren äußerst weiß und schon geformt, und man konnte bemerken, daß
er sie mit Sorgfalt vor jedem Schmutz bewahrte. Meine Betrach¬
tungen wurden durch ein unbedeutendes Geräusch unterbrochen, das
wahrscheinlich von Friedrich veranlaßt wurde.

-- O Gott! rief er aus, dachte ich mir's doch, daß es nicht
ohne Unfall abgehen würde. -- Bleiben Sie, bleiben Sie, sagte er
zu mir und faßte mich sanft am Knie, halten Sie sich nur ganz
ruhig und still, damit nicht das Uebel ärger werde.--

Der Diener brachte bald darauf das Bild, befreite es langsam
von seiner äußeren Hülle und stellte es in ein günstig Licht uns ge¬
genüber. Der Schachtelmann wartete einige Minuten, damit sich der
in der Luft schwebende Staub erst wieder setzen möchte, richtete sich
dann empor und hob mit leisem, vorsichtigem Finger den Schleier,
der es noch bedeckte, hinweg und -- ein wunderholdes, liebliches
Mädchen von vier bis fünf Jahren lachte uns, meisterhaft gemalt,
aus dem Nahmen entgegen. schelmisch blickten die blauen Augen
nach dem Beschauer, während auf der Rosenwange und den Purpur-
n'ppen Heiterkeit und Unschuld unwiderstehlich fesselten und das ganze,
von herrlichen Locken umflossene Köpfchen zu einem treue" Abdruck
der höchsten Schönheit machten, wie sie aus den Hände" eines wei¬
sen, liebevollen Schöpfers kommt, unberührt "och von Krankheit,
Gram und Schmerz und unentstellt von Leidenschaft und Sünvc. --
Eine Kindergestalt, die wie ein Blick in den Himmel beseligt und
erfreut. -- Die niedlichen, zartgcröthctt'" Finger hielten el"-'" Kranz


schlag die Thurm nicht unsanft zu und bewege auch Deine Hände
nicht so schnell, damit es keine Erschütterung gibt, wenn Du das
Bild von der Wand nimmst.

Friedrich ging, nach der erhaltenen Weisung sich genau richtend
und ich konnte den Mann genauer betrachten, der mir immer in-'
teressantcr zu werden anfing. Er saß da, mit fast ängstlich verschränk¬
ten Armen, den Kopf auf die Brust gebückt und kaum Athem ho¬
lend, damit die durch Friedrich's Gehen unvermeidliche Bewegung
auf keine Weise vermehrt, sondern gleichsam durch seine völlige Ruhe
neutralisirt werde. Er konnte früher ein schöner Mann gewesen sein,
aber die komische Einbildung hatte seinen Nacken vor der Zeit ge¬
krümmt und seinem ganzen Wesen eine Befangenheit aufgedrückt, die
mit der kräftigen Gestalt sonderbar contrastirte. Seine Hände wa¬
ren äußerst weiß und schon geformt, und man konnte bemerken, daß
er sie mit Sorgfalt vor jedem Schmutz bewahrte. Meine Betrach¬
tungen wurden durch ein unbedeutendes Geräusch unterbrochen, das
wahrscheinlich von Friedrich veranlaßt wurde.

— O Gott! rief er aus, dachte ich mir's doch, daß es nicht
ohne Unfall abgehen würde. — Bleiben Sie, bleiben Sie, sagte er
zu mir und faßte mich sanft am Knie, halten Sie sich nur ganz
ruhig und still, damit nicht das Uebel ärger werde.--

Der Diener brachte bald darauf das Bild, befreite es langsam
von seiner äußeren Hülle und stellte es in ein günstig Licht uns ge¬
genüber. Der Schachtelmann wartete einige Minuten, damit sich der
in der Luft schwebende Staub erst wieder setzen möchte, richtete sich
dann empor und hob mit leisem, vorsichtigem Finger den Schleier,
der es noch bedeckte, hinweg und — ein wunderholdes, liebliches
Mädchen von vier bis fünf Jahren lachte uns, meisterhaft gemalt,
aus dem Nahmen entgegen. schelmisch blickten die blauen Augen
nach dem Beschauer, während auf der Rosenwange und den Purpur-
n'ppen Heiterkeit und Unschuld unwiderstehlich fesselten und das ganze,
von herrlichen Locken umflossene Köpfchen zu einem treue» Abdruck
der höchsten Schönheit machten, wie sie aus den Hände» eines wei¬
sen, liebevollen Schöpfers kommt, unberührt »och von Krankheit,
Gram und Schmerz und unentstellt von Leidenschaft und Sünvc. —
Eine Kindergestalt, die wie ein Blick in den Himmel beseligt und
erfreut. — Die niedlichen, zartgcröthctt'» Finger hielten el»-'« Kranz


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[0062] schlag die Thurm nicht unsanft zu und bewege auch Deine Hände nicht so schnell, damit es keine Erschütterung gibt, wenn Du das Bild von der Wand nimmst. Friedrich ging, nach der erhaltenen Weisung sich genau richtend und ich konnte den Mann genauer betrachten, der mir immer in-' teressantcr zu werden anfing. Er saß da, mit fast ängstlich verschränk¬ ten Armen, den Kopf auf die Brust gebückt und kaum Athem ho¬ lend, damit die durch Friedrich's Gehen unvermeidliche Bewegung auf keine Weise vermehrt, sondern gleichsam durch seine völlige Ruhe neutralisirt werde. Er konnte früher ein schöner Mann gewesen sein, aber die komische Einbildung hatte seinen Nacken vor der Zeit ge¬ krümmt und seinem ganzen Wesen eine Befangenheit aufgedrückt, die mit der kräftigen Gestalt sonderbar contrastirte. Seine Hände wa¬ ren äußerst weiß und schon geformt, und man konnte bemerken, daß er sie mit Sorgfalt vor jedem Schmutz bewahrte. Meine Betrach¬ tungen wurden durch ein unbedeutendes Geräusch unterbrochen, das wahrscheinlich von Friedrich veranlaßt wurde. — O Gott! rief er aus, dachte ich mir's doch, daß es nicht ohne Unfall abgehen würde. — Bleiben Sie, bleiben Sie, sagte er zu mir und faßte mich sanft am Knie, halten Sie sich nur ganz ruhig und still, damit nicht das Uebel ärger werde.-- Der Diener brachte bald darauf das Bild, befreite es langsam von seiner äußeren Hülle und stellte es in ein günstig Licht uns ge¬ genüber. Der Schachtelmann wartete einige Minuten, damit sich der in der Luft schwebende Staub erst wieder setzen möchte, richtete sich dann empor und hob mit leisem, vorsichtigem Finger den Schleier, der es noch bedeckte, hinweg und — ein wunderholdes, liebliches Mädchen von vier bis fünf Jahren lachte uns, meisterhaft gemalt, aus dem Nahmen entgegen. schelmisch blickten die blauen Augen nach dem Beschauer, während auf der Rosenwange und den Purpur- n'ppen Heiterkeit und Unschuld unwiderstehlich fesselten und das ganze, von herrlichen Locken umflossene Köpfchen zu einem treue» Abdruck der höchsten Schönheit machten, wie sie aus den Hände» eines wei¬ sen, liebevollen Schöpfers kommt, unberührt »och von Krankheit, Gram und Schmerz und unentstellt von Leidenschaft und Sünvc. — Eine Kindergestalt, die wie ein Blick in den Himmel beseligt und erfreut. — Die niedlichen, zartgcröthctt'» Finger hielten el»-'« Kranz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/62>, abgerufen am 01.09.2024.