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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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modernen schönen Seele und gehört zu den seltenen Gedichten, in de¬
nen eine poetische Natur ihre allersüßesten Früchte in zierlichster Schale
reicht. Hartmann's "Glaube und Unglaube" ist ein gedankenschweres,
gemüthreiches Lied, welches von der eben erscheinenden Gedichtsamm¬
lung des Verfassers Viel erwarten laßt. Wir zweifeln auch nicht an
Uffo Horn's Talent; aber Horn scheint es jetzt in Böhmen an einem rech¬
ten Sporn zu fehlen; er scheint nur noch zur augenblicklichen Befrie¬
digung der Eitelkeit zu schreiben; seine Arbeiten sind wie Improvisa¬
tionen, die keinen Eindruck zurücklassen, wenn sie auch leicht und an¬
genehm in's Ohr fallen. Egon Ebert, der Veteran unter den Pra¬
ger Sängern,^ hat die Libussa in früheren Jahrgängen besser und reich¬
licher bedacht. Die Selbstbiographie des Prager Componisten Toma-
schek ist lange nicht so gut geschrieben, wie die des Malers Führich
im vorigen Jahrgang -- der Pinsel scheint der Feder mehr verwandt
als der Taktirstock --- laßt aber trotzdem interessante Blicke in das
böhmisch-deutsche Leben und auf den Bildungsgang der Musiker vom
alten Schlag werfen. Tomaschek ist, wie Ebert, Prophet im Vater¬
lande geworden; das ist für den Künstler und für seine Heimath gleich
ehrenvoll, aber das ewige Höcker auf der Geburtsfcholle isolirt, veren¬
gert den Gesichtskreis und macht leicht altmodisch. Aus den Prophe¬
ten im Vaterlande werden dann Prediger in der Wüste.

-- Wir müssen auf einen politischen Roman aufmerksam ma¬
chen, der in der Schweiz erschienen, aber von conservativ-nationalen
Reformideen durchdrungen ist. "Walderode, eine historische Novelle
aus der neueren Zeit" (Emmishofen, Druck und Verlag des literari-
schen Instituts 1845), ist weder Novelle, noch Roman, sondern scheint
die politische Laufbahn Johann Georg August Wirth's darzustellen.
Der Verfasser besitzt eine Aare, warme Beredsamkeit; auch wo er, statt
politischer Betrachtungen, ergötzliche Episoden, humoristische Volksscenen
gibt, verräth sich eine feine, gebildete Feder. "Uebrigens scheinen uns
selbst die romantischen Episoden mehr Wahrheit als Dichtung zu ent¬
halten; die Maske ist ziemlich dünn, und wer im ganzen Voigtlande
zu Hause ist, dürfte leicht die Originale zum barocken Medicinalrath
Hechtet, dem kleinen Landmann ze. auf der Gasse erkennen. Was
vollends die journalistische Laufbahn des Nomanhelden in Baiern be¬
trifft -- die Handlung beginnt im Jahre 1829 -- so begegnet man
da einem Stück Geschichte, das man zwar nicht erwartet hat, aber doch
mit Interesse liest.




Verlag von Fr. Ludw. Hcrbig. Redacteur I. Kuranda
Druck our Friedrich Andrä.-

modernen schönen Seele und gehört zu den seltenen Gedichten, in de¬
nen eine poetische Natur ihre allersüßesten Früchte in zierlichster Schale
reicht. Hartmann's „Glaube und Unglaube" ist ein gedankenschweres,
gemüthreiches Lied, welches von der eben erscheinenden Gedichtsamm¬
lung des Verfassers Viel erwarten laßt. Wir zweifeln auch nicht an
Uffo Horn's Talent; aber Horn scheint es jetzt in Böhmen an einem rech¬
ten Sporn zu fehlen; er scheint nur noch zur augenblicklichen Befrie¬
digung der Eitelkeit zu schreiben; seine Arbeiten sind wie Improvisa¬
tionen, die keinen Eindruck zurücklassen, wenn sie auch leicht und an¬
genehm in's Ohr fallen. Egon Ebert, der Veteran unter den Pra¬
ger Sängern,^ hat die Libussa in früheren Jahrgängen besser und reich¬
licher bedacht. Die Selbstbiographie des Prager Componisten Toma-
schek ist lange nicht so gut geschrieben, wie die des Malers Führich
im vorigen Jahrgang — der Pinsel scheint der Feder mehr verwandt
als der Taktirstock —- laßt aber trotzdem interessante Blicke in das
böhmisch-deutsche Leben und auf den Bildungsgang der Musiker vom
alten Schlag werfen. Tomaschek ist, wie Ebert, Prophet im Vater¬
lande geworden; das ist für den Künstler und für seine Heimath gleich
ehrenvoll, aber das ewige Höcker auf der Geburtsfcholle isolirt, veren¬
gert den Gesichtskreis und macht leicht altmodisch. Aus den Prophe¬
ten im Vaterlande werden dann Prediger in der Wüste.

— Wir müssen auf einen politischen Roman aufmerksam ma¬
chen, der in der Schweiz erschienen, aber von conservativ-nationalen
Reformideen durchdrungen ist. „Walderode, eine historische Novelle
aus der neueren Zeit" (Emmishofen, Druck und Verlag des literari-
schen Instituts 1845), ist weder Novelle, noch Roman, sondern scheint
die politische Laufbahn Johann Georg August Wirth's darzustellen.
Der Verfasser besitzt eine Aare, warme Beredsamkeit; auch wo er, statt
politischer Betrachtungen, ergötzliche Episoden, humoristische Volksscenen
gibt, verräth sich eine feine, gebildete Feder. »Uebrigens scheinen uns
selbst die romantischen Episoden mehr Wahrheit als Dichtung zu ent¬
halten; die Maske ist ziemlich dünn, und wer im ganzen Voigtlande
zu Hause ist, dürfte leicht die Originale zum barocken Medicinalrath
Hechtet, dem kleinen Landmann ze. auf der Gasse erkennen. Was
vollends die journalistische Laufbahn des Nomanhelden in Baiern be¬
trifft — die Handlung beginnt im Jahre 1829 — so begegnet man
da einem Stück Geschichte, das man zwar nicht erwartet hat, aber doch
mit Interesse liest.




Verlag von Fr. Ludw. Hcrbig. Redacteur I. Kuranda
Druck our Friedrich Andrä.-
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[0616] modernen schönen Seele und gehört zu den seltenen Gedichten, in de¬ nen eine poetische Natur ihre allersüßesten Früchte in zierlichster Schale reicht. Hartmann's „Glaube und Unglaube" ist ein gedankenschweres, gemüthreiches Lied, welches von der eben erscheinenden Gedichtsamm¬ lung des Verfassers Viel erwarten laßt. Wir zweifeln auch nicht an Uffo Horn's Talent; aber Horn scheint es jetzt in Böhmen an einem rech¬ ten Sporn zu fehlen; er scheint nur noch zur augenblicklichen Befrie¬ digung der Eitelkeit zu schreiben; seine Arbeiten sind wie Improvisa¬ tionen, die keinen Eindruck zurücklassen, wenn sie auch leicht und an¬ genehm in's Ohr fallen. Egon Ebert, der Veteran unter den Pra¬ ger Sängern,^ hat die Libussa in früheren Jahrgängen besser und reich¬ licher bedacht. Die Selbstbiographie des Prager Componisten Toma- schek ist lange nicht so gut geschrieben, wie die des Malers Führich im vorigen Jahrgang — der Pinsel scheint der Feder mehr verwandt als der Taktirstock —- laßt aber trotzdem interessante Blicke in das böhmisch-deutsche Leben und auf den Bildungsgang der Musiker vom alten Schlag werfen. Tomaschek ist, wie Ebert, Prophet im Vater¬ lande geworden; das ist für den Künstler und für seine Heimath gleich ehrenvoll, aber das ewige Höcker auf der Geburtsfcholle isolirt, veren¬ gert den Gesichtskreis und macht leicht altmodisch. Aus den Prophe¬ ten im Vaterlande werden dann Prediger in der Wüste. — Wir müssen auf einen politischen Roman aufmerksam ma¬ chen, der in der Schweiz erschienen, aber von conservativ-nationalen Reformideen durchdrungen ist. „Walderode, eine historische Novelle aus der neueren Zeit" (Emmishofen, Druck und Verlag des literari- schen Instituts 1845), ist weder Novelle, noch Roman, sondern scheint die politische Laufbahn Johann Georg August Wirth's darzustellen. Der Verfasser besitzt eine Aare, warme Beredsamkeit; auch wo er, statt politischer Betrachtungen, ergötzliche Episoden, humoristische Volksscenen gibt, verräth sich eine feine, gebildete Feder. »Uebrigens scheinen uns selbst die romantischen Episoden mehr Wahrheit als Dichtung zu ent¬ halten; die Maske ist ziemlich dünn, und wer im ganzen Voigtlande zu Hause ist, dürfte leicht die Originale zum barocken Medicinalrath Hechtet, dem kleinen Landmann ze. auf der Gasse erkennen. Was vollends die journalistische Laufbahn des Nomanhelden in Baiern be¬ trifft — die Handlung beginnt im Jahre 1829 — so begegnet man da einem Stück Geschichte, das man zwar nicht erwartet hat, aber doch mit Interesse liest. Verlag von Fr. Ludw. Hcrbig. Redacteur I. Kuranda Druck our Friedrich Andrä.-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/616>, abgerufen am 27.07.2024.