Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vom Altmeister Bunsen nach englischem Muster geschnitzt. Wir Wis¬
sen's, wissen's, wir bekommen eine reichsständische Verfassung. Dieses
Jubelwort geht hier von Mund zu Munde, wird in vertraulichen
Zirkeln laut wiederholt, und in öffentlichen Gesellschaften leise herum-
geflüstcrt. "Welche Beweggründe die höchste Behörde gehabt haben
soll, sich so plötzlich für die Verfassung günstig zu zeigen, ist nicht
naher zu untersuchen; man müßte in dem Falle zu sehr auf Einzeln-
heiten und Verhältnisse eingehen, welche zu besprechen noch nicht an
der Zeit ist." So sagt die liebe Bremer Gevatterin und zieht sich
hinter die Coulissen zurück. Die öffentlichen Blätter, glaub' ich, sind
dazu da, um zu reden und nicht um zu verheimlichen, und darum nehme
ich keinen Anstand, die Beweggründe dieser vorgeblichen Entschließung
in Ihrem Blatte genau so anzugeben, wie man sie hier allgemein
angibt. Es geht eine alte Sage im Volke, daß das Gouvernement
nur mit Bewilligung der Reichsstände eine Anleihe machen könne.
Nun heißt es auch, eine Staatsanleihe solle gemacht werden und da¬
rum bekämen wir die Verfassung. (?) Nun wenn das Mittel nur
nicht zu sehr dem Zwecke angepaßt würde, waren wir ganz zufrieden
und wollten uns schönstens für das Weihnachtsgeschenk bedanken.
Aber in den Fall werden wir schwerlich kommen. Ich hab' mir die
Leute ganz genau angesehen, wenn sie sich dies offenbare Geheimniß
mittheilen, und glaube, stets ein iconisches Lächeln um ihre Mund¬
winkel bemerkt zu haben. Dieser spöttische Zug um den Mund ist
wirklich ganz unleidlich an der jetzigen Generation, aber er gehört so
sehr zur Charakteristik unserer Zeit, daß ihn die Historiker einst kaum
werden umgehen dürfen. Ich sehe schon in einem Johannes Müller
Futurus ein Capitel über verzogene Mundwinkel, und es wird sich
dann herausstellen, daß das eigentlich ein Unglück sei. -- Unsere Com-
munalvertreter scheinen dem Verfassungsgerüchte auch keinen Glauben
zu schenken, denn sie beschäftigen sich, wie ich höre, alles Ernstes mit
der Abfassung einer Petition um Erweiterung der ständischen Vertre¬
tung. 'Auch die Presse wird berücksichtigt und ihr gedrückter Zustand
durch faktische Belege dargethan werden. Das sollte man überall thun,
statt des Petitionirens ins Blaue hinein, den ständischen Repräsentan¬
ten Dokumente vorlegen und sagen: Seht, solche Dinge macht unsere
Zensur. Denn außer den armen Zeitungsschreibern weiß Niemand
eigentlich so recht, was es heißt: unter einem Censor stehen. Dieser
^ge z. B. erzählte mir ein Breslauer Bürger, der sonst gar nicht
s" dumm ist und auch schon in der Stadtverordneten-Versammlung
Lassen hat, Langes und Breites hierüber, und das Ende davon war,
^"ß der Censor die Zeitung redigirt, und Jeder, der etwas auf dem
Gewissen hat, bei ihm um die Aufnahme desselben nachsucht. Um die
Zensur in Deutschland auszurotten, müßten alle Leute einmal Schrift-,
steiler werden. -- Johannes Ronge bildet noch immer den Mittelpunkt


vom Altmeister Bunsen nach englischem Muster geschnitzt. Wir Wis¬
sen's, wissen's, wir bekommen eine reichsständische Verfassung. Dieses
Jubelwort geht hier von Mund zu Munde, wird in vertraulichen
Zirkeln laut wiederholt, und in öffentlichen Gesellschaften leise herum-
geflüstcrt. „Welche Beweggründe die höchste Behörde gehabt haben
soll, sich so plötzlich für die Verfassung günstig zu zeigen, ist nicht
naher zu untersuchen; man müßte in dem Falle zu sehr auf Einzeln-
heiten und Verhältnisse eingehen, welche zu besprechen noch nicht an
der Zeit ist." So sagt die liebe Bremer Gevatterin und zieht sich
hinter die Coulissen zurück. Die öffentlichen Blätter, glaub' ich, sind
dazu da, um zu reden und nicht um zu verheimlichen, und darum nehme
ich keinen Anstand, die Beweggründe dieser vorgeblichen Entschließung
in Ihrem Blatte genau so anzugeben, wie man sie hier allgemein
angibt. Es geht eine alte Sage im Volke, daß das Gouvernement
nur mit Bewilligung der Reichsstände eine Anleihe machen könne.
Nun heißt es auch, eine Staatsanleihe solle gemacht werden und da¬
rum bekämen wir die Verfassung. (?) Nun wenn das Mittel nur
nicht zu sehr dem Zwecke angepaßt würde, waren wir ganz zufrieden
und wollten uns schönstens für das Weihnachtsgeschenk bedanken.
Aber in den Fall werden wir schwerlich kommen. Ich hab' mir die
Leute ganz genau angesehen, wenn sie sich dies offenbare Geheimniß
mittheilen, und glaube, stets ein iconisches Lächeln um ihre Mund¬
winkel bemerkt zu haben. Dieser spöttische Zug um den Mund ist
wirklich ganz unleidlich an der jetzigen Generation, aber er gehört so
sehr zur Charakteristik unserer Zeit, daß ihn die Historiker einst kaum
werden umgehen dürfen. Ich sehe schon in einem Johannes Müller
Futurus ein Capitel über verzogene Mundwinkel, und es wird sich
dann herausstellen, daß das eigentlich ein Unglück sei. — Unsere Com-
munalvertreter scheinen dem Verfassungsgerüchte auch keinen Glauben
zu schenken, denn sie beschäftigen sich, wie ich höre, alles Ernstes mit
der Abfassung einer Petition um Erweiterung der ständischen Vertre¬
tung. 'Auch die Presse wird berücksichtigt und ihr gedrückter Zustand
durch faktische Belege dargethan werden. Das sollte man überall thun,
statt des Petitionirens ins Blaue hinein, den ständischen Repräsentan¬
ten Dokumente vorlegen und sagen: Seht, solche Dinge macht unsere
Zensur. Denn außer den armen Zeitungsschreibern weiß Niemand
eigentlich so recht, was es heißt: unter einem Censor stehen. Dieser
^ge z. B. erzählte mir ein Breslauer Bürger, der sonst gar nicht
s» dumm ist und auch schon in der Stadtverordneten-Versammlung
Lassen hat, Langes und Breites hierüber, und das Ende davon war,
^"ß der Censor die Zeitung redigirt, und Jeder, der etwas auf dem
Gewissen hat, bei ihm um die Aufnahme desselben nachsucht. Um die
Zensur in Deutschland auszurotten, müßten alle Leute einmal Schrift-,
steiler werden. — Johannes Ronge bildet noch immer den Mittelpunkt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181795"/>
            <p xml:id="ID_1694" prev="#ID_1693" next="#ID_1695"> vom Altmeister Bunsen nach englischem Muster geschnitzt. Wir Wis¬<lb/>
sen's, wissen's, wir bekommen eine reichsständische Verfassung. Dieses<lb/>
Jubelwort geht hier von Mund zu Munde, wird in vertraulichen<lb/>
Zirkeln laut wiederholt, und in öffentlichen Gesellschaften leise herum-<lb/>
geflüstcrt. &#x201E;Welche Beweggründe die höchste Behörde gehabt haben<lb/>
soll, sich so plötzlich für die Verfassung günstig zu zeigen, ist nicht<lb/>
naher zu untersuchen; man müßte in dem Falle zu sehr auf Einzeln-<lb/>
heiten und Verhältnisse eingehen, welche zu besprechen noch nicht an<lb/>
der Zeit ist." So sagt die liebe Bremer Gevatterin und zieht sich<lb/>
hinter die Coulissen zurück. Die öffentlichen Blätter, glaub' ich, sind<lb/>
dazu da, um zu reden und nicht um zu verheimlichen, und darum nehme<lb/>
ich keinen Anstand, die Beweggründe dieser vorgeblichen Entschließung<lb/>
in Ihrem Blatte genau so anzugeben, wie man sie hier allgemein<lb/>
angibt. Es geht eine alte Sage im Volke, daß das Gouvernement<lb/>
nur mit Bewilligung der Reichsstände eine Anleihe machen könne.<lb/>
Nun heißt es auch, eine Staatsanleihe solle gemacht werden und da¬<lb/>
rum bekämen wir die Verfassung. (?) Nun wenn das Mittel nur<lb/>
nicht zu sehr dem Zwecke angepaßt würde, waren wir ganz zufrieden<lb/>
und wollten uns schönstens für das Weihnachtsgeschenk bedanken.<lb/>
Aber in den Fall werden wir schwerlich kommen. Ich hab' mir die<lb/>
Leute ganz genau angesehen, wenn sie sich dies offenbare Geheimniß<lb/>
mittheilen, und glaube, stets ein iconisches Lächeln um ihre Mund¬<lb/>
winkel bemerkt zu haben. Dieser spöttische Zug um den Mund ist<lb/>
wirklich ganz unleidlich an der jetzigen Generation, aber er gehört so<lb/>
sehr zur Charakteristik unserer Zeit, daß ihn die Historiker einst kaum<lb/>
werden umgehen dürfen. Ich sehe schon in einem Johannes Müller<lb/>
Futurus ein Capitel über verzogene Mundwinkel, und es wird sich<lb/>
dann herausstellen, daß das eigentlich ein Unglück sei. &#x2014; Unsere Com-<lb/>
munalvertreter scheinen dem Verfassungsgerüchte auch keinen Glauben<lb/>
zu schenken, denn sie beschäftigen sich, wie ich höre, alles Ernstes mit<lb/>
der Abfassung einer Petition um Erweiterung der ständischen Vertre¬<lb/>
tung. 'Auch die Presse wird berücksichtigt und ihr gedrückter Zustand<lb/>
durch faktische Belege dargethan werden. Das sollte man überall thun,<lb/>
statt des Petitionirens ins Blaue hinein, den ständischen Repräsentan¬<lb/>
ten Dokumente vorlegen und sagen: Seht, solche Dinge macht unsere<lb/>
Zensur. Denn außer den armen Zeitungsschreibern weiß Niemand<lb/>
eigentlich so recht, was es heißt: unter einem Censor stehen. Dieser<lb/>
^ge z. B. erzählte mir ein Breslauer Bürger, der sonst gar nicht<lb/>
s» dumm ist und auch schon in der Stadtverordneten-Versammlung<lb/>
Lassen hat, Langes und Breites hierüber, und das Ende davon war,<lb/>
^"ß der Censor die Zeitung redigirt, und Jeder, der etwas auf dem<lb/>
Gewissen hat, bei ihm um die Aufnahme desselben nachsucht. Um die<lb/>
Zensur in Deutschland auszurotten, müßten alle Leute einmal Schrift-,<lb/>
steiler werden. &#x2014; Johannes Ronge bildet noch immer den Mittelpunkt</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0611] vom Altmeister Bunsen nach englischem Muster geschnitzt. Wir Wis¬ sen's, wissen's, wir bekommen eine reichsständische Verfassung. Dieses Jubelwort geht hier von Mund zu Munde, wird in vertraulichen Zirkeln laut wiederholt, und in öffentlichen Gesellschaften leise herum- geflüstcrt. „Welche Beweggründe die höchste Behörde gehabt haben soll, sich so plötzlich für die Verfassung günstig zu zeigen, ist nicht naher zu untersuchen; man müßte in dem Falle zu sehr auf Einzeln- heiten und Verhältnisse eingehen, welche zu besprechen noch nicht an der Zeit ist." So sagt die liebe Bremer Gevatterin und zieht sich hinter die Coulissen zurück. Die öffentlichen Blätter, glaub' ich, sind dazu da, um zu reden und nicht um zu verheimlichen, und darum nehme ich keinen Anstand, die Beweggründe dieser vorgeblichen Entschließung in Ihrem Blatte genau so anzugeben, wie man sie hier allgemein angibt. Es geht eine alte Sage im Volke, daß das Gouvernement nur mit Bewilligung der Reichsstände eine Anleihe machen könne. Nun heißt es auch, eine Staatsanleihe solle gemacht werden und da¬ rum bekämen wir die Verfassung. (?) Nun wenn das Mittel nur nicht zu sehr dem Zwecke angepaßt würde, waren wir ganz zufrieden und wollten uns schönstens für das Weihnachtsgeschenk bedanken. Aber in den Fall werden wir schwerlich kommen. Ich hab' mir die Leute ganz genau angesehen, wenn sie sich dies offenbare Geheimniß mittheilen, und glaube, stets ein iconisches Lächeln um ihre Mund¬ winkel bemerkt zu haben. Dieser spöttische Zug um den Mund ist wirklich ganz unleidlich an der jetzigen Generation, aber er gehört so sehr zur Charakteristik unserer Zeit, daß ihn die Historiker einst kaum werden umgehen dürfen. Ich sehe schon in einem Johannes Müller Futurus ein Capitel über verzogene Mundwinkel, und es wird sich dann herausstellen, daß das eigentlich ein Unglück sei. — Unsere Com- munalvertreter scheinen dem Verfassungsgerüchte auch keinen Glauben zu schenken, denn sie beschäftigen sich, wie ich höre, alles Ernstes mit der Abfassung einer Petition um Erweiterung der ständischen Vertre¬ tung. 'Auch die Presse wird berücksichtigt und ihr gedrückter Zustand durch faktische Belege dargethan werden. Das sollte man überall thun, statt des Petitionirens ins Blaue hinein, den ständischen Repräsentan¬ ten Dokumente vorlegen und sagen: Seht, solche Dinge macht unsere Zensur. Denn außer den armen Zeitungsschreibern weiß Niemand eigentlich so recht, was es heißt: unter einem Censor stehen. Dieser ^ge z. B. erzählte mir ein Breslauer Bürger, der sonst gar nicht s» dumm ist und auch schon in der Stadtverordneten-Versammlung Lassen hat, Langes und Breites hierüber, und das Ende davon war, ^"ß der Censor die Zeitung redigirt, und Jeder, der etwas auf dem Gewissen hat, bei ihm um die Aufnahme desselben nachsucht. Um die Zensur in Deutschland auszurotten, müßten alle Leute einmal Schrift-, steiler werden. — Johannes Ronge bildet noch immer den Mittelpunkt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/611
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/611>, abgerufen am 27.07.2024.