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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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schließt, aber gleichwohl ihr ketzerisches Geld in Empfang nimmt? Streng-
glaubige dieser Bekenntnisse müssen sogar folgerecht in der gezwungenen
Unterstützung einer ihnen so feindseligen Confesston, die ihnen nicht blos
die Rechte dieser Erde, sondern sogar jene des Himmels versagt, eine
lasterhafte Handlung erblicken. Ueber die Construction des Glocken¬
thurms circulirt eine drollige Geschichte, die ich Ihnen nicht ganz ver¬
bürgen kann, doch scheint sie nicht aus der Luft gegriffen zu sein,
weil die Glocken wirklich zum Umguß wieder auf der Eisenbahn nach
Wiener Neustadt zurückbefördert wurden und überdem das Histörchen
im "Hans Jörgel", einem hiesigen Volksblatte, mit preßfrcien Anflü-
gen, ausführlich zu lesen war. Als nämlich der Bau des Thurmes
vollendet und auch gleichzeitig der Guß der Glocken fertig war, wollte
man am Namenstage Ihrer Majestät der Kaiserin, welche das Pa¬
tronat der Kirche übernommen hatte, die im katholischen Ritus ge¬
bräuchliche feierliche Glockenweihe vornehmen, und diese hatte denn
auch richtig Statt unter dem Beisein mehrerer Prinzen des Kaiser¬
hauses. Doch machte man bei dieser Gelegenheit mit einigem Schrek-
ken die Bemerkung, daß die größte unter den aufgezogenen Glocken in
ihrem Glockenstühle gar nicht geschwungen werden konnte, indem der
ihrer Bewegung angewiesene Raum zu klein war; und die ersten Be¬
mühungen, die colossale Zunge der Christenheit reden zu lassen, endeten
zur allgemeinen Belustigung mit der klirrenden Zertrümmerung aller
Thurmfenster, worauf wohl nichts Anderes übrig blieb, als die tölpel¬
hafte Glocke abermals in die Schule zu schicken, um eine geschmeidi¬
gere Gestalt anzunehmen.

Ueber die praktischen Kenntnisse unsrer Baubeamten herrschen überhaupt
nicht die günstigsten Meinungen und diese Herren sollen sich durch
Ueberschätzung der Theorie und aufgeschnappte Neuerungen, die sie
selbst noch nicht gehörig erprobt, schon oft im Verkehr mit den Bür¬
gern die ärgsten Blößen gegeben haben. Selbst der vielbesprochene Um¬
bau der Spitze des Stephansthurmes, der nach der Angabe des Herrn
Sprenger ausgeführt ward, hat, dem öffentlichen Urtheile gegenüber,
keine große Ehre bestanden, denn als das Gerüst hinweggenommen
wurde, hinkte die Thurmspitze nach Osten, während sie früher nach
Westen geneigt war. Der immer aufgeweckte Volkssinn, der Alles
bewitzelt, bemächtigte sich sogleich dieser Thatsache und sagte: Ehemals
machte er gegen Frankreich seinen Kratzfuß und jetzt gegen Rußland.
Das ist der ganze Unterschied.--


-- Von der Freiung.


schließt, aber gleichwohl ihr ketzerisches Geld in Empfang nimmt? Streng-
glaubige dieser Bekenntnisse müssen sogar folgerecht in der gezwungenen
Unterstützung einer ihnen so feindseligen Confesston, die ihnen nicht blos
die Rechte dieser Erde, sondern sogar jene des Himmels versagt, eine
lasterhafte Handlung erblicken. Ueber die Construction des Glocken¬
thurms circulirt eine drollige Geschichte, die ich Ihnen nicht ganz ver¬
bürgen kann, doch scheint sie nicht aus der Luft gegriffen zu sein,
weil die Glocken wirklich zum Umguß wieder auf der Eisenbahn nach
Wiener Neustadt zurückbefördert wurden und überdem das Histörchen
im „Hans Jörgel", einem hiesigen Volksblatte, mit preßfrcien Anflü-
gen, ausführlich zu lesen war. Als nämlich der Bau des Thurmes
vollendet und auch gleichzeitig der Guß der Glocken fertig war, wollte
man am Namenstage Ihrer Majestät der Kaiserin, welche das Pa¬
tronat der Kirche übernommen hatte, die im katholischen Ritus ge¬
bräuchliche feierliche Glockenweihe vornehmen, und diese hatte denn
auch richtig Statt unter dem Beisein mehrerer Prinzen des Kaiser¬
hauses. Doch machte man bei dieser Gelegenheit mit einigem Schrek-
ken die Bemerkung, daß die größte unter den aufgezogenen Glocken in
ihrem Glockenstühle gar nicht geschwungen werden konnte, indem der
ihrer Bewegung angewiesene Raum zu klein war; und die ersten Be¬
mühungen, die colossale Zunge der Christenheit reden zu lassen, endeten
zur allgemeinen Belustigung mit der klirrenden Zertrümmerung aller
Thurmfenster, worauf wohl nichts Anderes übrig blieb, als die tölpel¬
hafte Glocke abermals in die Schule zu schicken, um eine geschmeidi¬
gere Gestalt anzunehmen.

Ueber die praktischen Kenntnisse unsrer Baubeamten herrschen überhaupt
nicht die günstigsten Meinungen und diese Herren sollen sich durch
Ueberschätzung der Theorie und aufgeschnappte Neuerungen, die sie
selbst noch nicht gehörig erprobt, schon oft im Verkehr mit den Bür¬
gern die ärgsten Blößen gegeben haben. Selbst der vielbesprochene Um¬
bau der Spitze des Stephansthurmes, der nach der Angabe des Herrn
Sprenger ausgeführt ward, hat, dem öffentlichen Urtheile gegenüber,
keine große Ehre bestanden, denn als das Gerüst hinweggenommen
wurde, hinkte die Thurmspitze nach Osten, während sie früher nach
Westen geneigt war. Der immer aufgeweckte Volkssinn, der Alles
bewitzelt, bemächtigte sich sogleich dieser Thatsache und sagte: Ehemals
machte er gegen Frankreich seinen Kratzfuß und jetzt gegen Rußland.
Das ist der ganze Unterschied.—


— Von der Freiung.


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[0608] schließt, aber gleichwohl ihr ketzerisches Geld in Empfang nimmt? Streng- glaubige dieser Bekenntnisse müssen sogar folgerecht in der gezwungenen Unterstützung einer ihnen so feindseligen Confesston, die ihnen nicht blos die Rechte dieser Erde, sondern sogar jene des Himmels versagt, eine lasterhafte Handlung erblicken. Ueber die Construction des Glocken¬ thurms circulirt eine drollige Geschichte, die ich Ihnen nicht ganz ver¬ bürgen kann, doch scheint sie nicht aus der Luft gegriffen zu sein, weil die Glocken wirklich zum Umguß wieder auf der Eisenbahn nach Wiener Neustadt zurückbefördert wurden und überdem das Histörchen im „Hans Jörgel", einem hiesigen Volksblatte, mit preßfrcien Anflü- gen, ausführlich zu lesen war. Als nämlich der Bau des Thurmes vollendet und auch gleichzeitig der Guß der Glocken fertig war, wollte man am Namenstage Ihrer Majestät der Kaiserin, welche das Pa¬ tronat der Kirche übernommen hatte, die im katholischen Ritus ge¬ bräuchliche feierliche Glockenweihe vornehmen, und diese hatte denn auch richtig Statt unter dem Beisein mehrerer Prinzen des Kaiser¬ hauses. Doch machte man bei dieser Gelegenheit mit einigem Schrek- ken die Bemerkung, daß die größte unter den aufgezogenen Glocken in ihrem Glockenstühle gar nicht geschwungen werden konnte, indem der ihrer Bewegung angewiesene Raum zu klein war; und die ersten Be¬ mühungen, die colossale Zunge der Christenheit reden zu lassen, endeten zur allgemeinen Belustigung mit der klirrenden Zertrümmerung aller Thurmfenster, worauf wohl nichts Anderes übrig blieb, als die tölpel¬ hafte Glocke abermals in die Schule zu schicken, um eine geschmeidi¬ gere Gestalt anzunehmen. Ueber die praktischen Kenntnisse unsrer Baubeamten herrschen überhaupt nicht die günstigsten Meinungen und diese Herren sollen sich durch Ueberschätzung der Theorie und aufgeschnappte Neuerungen, die sie selbst noch nicht gehörig erprobt, schon oft im Verkehr mit den Bür¬ gern die ärgsten Blößen gegeben haben. Selbst der vielbesprochene Um¬ bau der Spitze des Stephansthurmes, der nach der Angabe des Herrn Sprenger ausgeführt ward, hat, dem öffentlichen Urtheile gegenüber, keine große Ehre bestanden, denn als das Gerüst hinweggenommen wurde, hinkte die Thurmspitze nach Osten, während sie früher nach Westen geneigt war. Der immer aufgeweckte Volkssinn, der Alles bewitzelt, bemächtigte sich sogleich dieser Thatsache und sagte: Ehemals machte er gegen Frankreich seinen Kratzfuß und jetzt gegen Rußland. Das ist der ganze Unterschied.— — Von der Freiung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/608>, abgerufen am 01.09.2024.