Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geworden, "ut ich muß Ihnen mit einem Worte gestehen, HcrrDoc-
tor, daß der Staub mich krank macht und noch endlich todten wird.

-- Der Staub? wiederholte ich.

Ja, ja, rief er heftiger, sahen Sie es nicht vorhin, als Fried¬
rich durch die Stube ging, wie da eine Wolke jenes verderblichen
Giftes in die Höhe stieg, mir die Brust beengte und den Athem
nahm?

-- Ich finde in Ihrem Hause, war meine Antwort, weit weni¬
ger Staub, als an irgend einem Orte der Welt, und ich ... .

-- Es ist auch mein vorzüglichstes Bestreben, fiel er mir in die
Rede, diesen Feind der Menschheit so viel zu bekämpfen und zu ver¬
tilgen, als es in meinen Kräften steht. Sehen Sie, ich habe Alles
entfernt, was nur irgend Unruhe oder Staub. erregen kann. Die
Fenster und Thüren sind stets geschlossen, fremde Menschen, Kinder
oder sonstige wilde, laufende Geschöpfe dürfen 'nicht in das Zimmer
kommen. Es geschieht hier kein Schlagen, kein Klopfen, keine schnelle,
erschütternde Bewegung; noch dulde ich in meiner Nähe gar ein so
erschreckliches Gewerbe, wie das eines Steinmetzen, Weißbinders,
Drechslers oder dergleichen. Einen Besen kann ich nicht riechen.
Alle diese Instrumente, sie seien groß oder klein, dick oder dünn, lang
oder kurz, mit Haaren oder mit Borsten, bringen mich einer Ohn¬
macht nahe. -- Nun sehen Sie, aber alle Mittel, die größte Vor¬
sicht fruchtet Nichts! -- Großer Gott! auch hier wieder Staub! --
dabei faßte er nach dem Tischchen, das vor ihm stand und dessen
Decke wirklich etwas staubig war, rief in einem dumpfen, hinsterben¬
den Tone: Friedrich! und sank kraftlos in den Sessel zurück.

Der Diener sprang mir augenblicklich zu Hilfe, und so gelang
eS uns in kurzer Zeit, den Ohnmächtigen wieder zu sich zu bringen.
Einige stärkende Mittel, die ich anwandte, hatten die beste Wirkung
und zeigten, daß die körperliche Beschaffenheit des Schachtelmannes
recht gut war und daß nur eine sonderbare Reizbarkeit der Nerven
diesen Unfall herbeigeführt hatte, welche aber wahrscheinlich schon so
tief eingewurzelt war, daß eine gründliche Heilung sehr schwer fallen
mußte. Doch reizte mich eben das Sonderbare und Außerordentliche
der Krankheit, die mir bei dem ersten Schritte meiner ärztlichen Lauf¬
bahn so unerwartet in den Weg geworfen wurde, zu der sorgfältig¬
sten und aufmerksamsten Behandlung.


geworden, «ut ich muß Ihnen mit einem Worte gestehen, HcrrDoc-
tor, daß der Staub mich krank macht und noch endlich todten wird.

— Der Staub? wiederholte ich.

Ja, ja, rief er heftiger, sahen Sie es nicht vorhin, als Fried¬
rich durch die Stube ging, wie da eine Wolke jenes verderblichen
Giftes in die Höhe stieg, mir die Brust beengte und den Athem
nahm?

— Ich finde in Ihrem Hause, war meine Antwort, weit weni¬
ger Staub, als an irgend einem Orte der Welt, und ich ... .

— Es ist auch mein vorzüglichstes Bestreben, fiel er mir in die
Rede, diesen Feind der Menschheit so viel zu bekämpfen und zu ver¬
tilgen, als es in meinen Kräften steht. Sehen Sie, ich habe Alles
entfernt, was nur irgend Unruhe oder Staub. erregen kann. Die
Fenster und Thüren sind stets geschlossen, fremde Menschen, Kinder
oder sonstige wilde, laufende Geschöpfe dürfen 'nicht in das Zimmer
kommen. Es geschieht hier kein Schlagen, kein Klopfen, keine schnelle,
erschütternde Bewegung; noch dulde ich in meiner Nähe gar ein so
erschreckliches Gewerbe, wie das eines Steinmetzen, Weißbinders,
Drechslers oder dergleichen. Einen Besen kann ich nicht riechen.
Alle diese Instrumente, sie seien groß oder klein, dick oder dünn, lang
oder kurz, mit Haaren oder mit Borsten, bringen mich einer Ohn¬
macht nahe. — Nun sehen Sie, aber alle Mittel, die größte Vor¬
sicht fruchtet Nichts! — Großer Gott! auch hier wieder Staub! —
dabei faßte er nach dem Tischchen, das vor ihm stand und dessen
Decke wirklich etwas staubig war, rief in einem dumpfen, hinsterben¬
den Tone: Friedrich! und sank kraftlos in den Sessel zurück.

Der Diener sprang mir augenblicklich zu Hilfe, und so gelang
eS uns in kurzer Zeit, den Ohnmächtigen wieder zu sich zu bringen.
Einige stärkende Mittel, die ich anwandte, hatten die beste Wirkung
und zeigten, daß die körperliche Beschaffenheit des Schachtelmannes
recht gut war und daß nur eine sonderbare Reizbarkeit der Nerven
diesen Unfall herbeigeführt hatte, welche aber wahrscheinlich schon so
tief eingewurzelt war, daß eine gründliche Heilung sehr schwer fallen
mußte. Doch reizte mich eben das Sonderbare und Außerordentliche
der Krankheit, die mir bei dem ersten Schritte meiner ärztlichen Lauf¬
bahn so unerwartet in den Weg geworfen wurde, zu der sorgfältig¬
sten und aufmerksamsten Behandlung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181244"/>
            <p xml:id="ID_132" prev="#ID_131"> geworden, «ut ich muß Ihnen mit einem Worte gestehen, HcrrDoc-<lb/>
tor, daß der Staub mich krank macht und noch endlich todten wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_133"> &#x2014; Der Staub? wiederholte ich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_134"> Ja, ja, rief er heftiger, sahen Sie es nicht vorhin, als Fried¬<lb/>
rich durch die Stube ging, wie da eine Wolke jenes verderblichen<lb/>
Giftes in die Höhe stieg, mir die Brust beengte und den Athem<lb/>
nahm?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_135"> &#x2014; Ich finde in Ihrem Hause, war meine Antwort, weit weni¬<lb/>
ger Staub, als an irgend einem Orte der Welt, und ich ... .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_136"> &#x2014; Es ist auch mein vorzüglichstes Bestreben, fiel er mir in die<lb/>
Rede, diesen Feind der Menschheit so viel zu bekämpfen und zu ver¬<lb/>
tilgen, als es in meinen Kräften steht. Sehen Sie, ich habe Alles<lb/>
entfernt, was nur irgend Unruhe oder Staub. erregen kann. Die<lb/>
Fenster und Thüren sind stets geschlossen, fremde Menschen, Kinder<lb/>
oder sonstige wilde, laufende Geschöpfe dürfen 'nicht in das Zimmer<lb/>
kommen. Es geschieht hier kein Schlagen, kein Klopfen, keine schnelle,<lb/>
erschütternde Bewegung; noch dulde ich in meiner Nähe gar ein so<lb/>
erschreckliches Gewerbe, wie das eines Steinmetzen, Weißbinders,<lb/>
Drechslers oder dergleichen. Einen Besen kann ich nicht riechen.<lb/>
Alle diese Instrumente, sie seien groß oder klein, dick oder dünn, lang<lb/>
oder kurz, mit Haaren oder mit Borsten, bringen mich einer Ohn¬<lb/>
macht nahe. &#x2014; Nun sehen Sie, aber alle Mittel, die größte Vor¬<lb/>
sicht fruchtet Nichts! &#x2014; Großer Gott! auch hier wieder Staub! &#x2014;<lb/>
dabei faßte er nach dem Tischchen, das vor ihm stand und dessen<lb/>
Decke wirklich etwas staubig war, rief in einem dumpfen, hinsterben¬<lb/>
den Tone: Friedrich! und sank kraftlos in den Sessel zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_137"> Der Diener sprang mir augenblicklich zu Hilfe, und so gelang<lb/>
eS uns in kurzer Zeit, den Ohnmächtigen wieder zu sich zu bringen.<lb/>
Einige stärkende Mittel, die ich anwandte, hatten die beste Wirkung<lb/>
und zeigten, daß die körperliche Beschaffenheit des Schachtelmannes<lb/>
recht gut war und daß nur eine sonderbare Reizbarkeit der Nerven<lb/>
diesen Unfall herbeigeführt hatte, welche aber wahrscheinlich schon so<lb/>
tief eingewurzelt war, daß eine gründliche Heilung sehr schwer fallen<lb/>
mußte. Doch reizte mich eben das Sonderbare und Außerordentliche<lb/>
der Krankheit, die mir bei dem ersten Schritte meiner ärztlichen Lauf¬<lb/>
bahn so unerwartet in den Weg geworfen wurde, zu der sorgfältig¬<lb/>
sten und aufmerksamsten Behandlung.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0060] geworden, «ut ich muß Ihnen mit einem Worte gestehen, HcrrDoc- tor, daß der Staub mich krank macht und noch endlich todten wird. — Der Staub? wiederholte ich. Ja, ja, rief er heftiger, sahen Sie es nicht vorhin, als Fried¬ rich durch die Stube ging, wie da eine Wolke jenes verderblichen Giftes in die Höhe stieg, mir die Brust beengte und den Athem nahm? — Ich finde in Ihrem Hause, war meine Antwort, weit weni¬ ger Staub, als an irgend einem Orte der Welt, und ich ... . — Es ist auch mein vorzüglichstes Bestreben, fiel er mir in die Rede, diesen Feind der Menschheit so viel zu bekämpfen und zu ver¬ tilgen, als es in meinen Kräften steht. Sehen Sie, ich habe Alles entfernt, was nur irgend Unruhe oder Staub. erregen kann. Die Fenster und Thüren sind stets geschlossen, fremde Menschen, Kinder oder sonstige wilde, laufende Geschöpfe dürfen 'nicht in das Zimmer kommen. Es geschieht hier kein Schlagen, kein Klopfen, keine schnelle, erschütternde Bewegung; noch dulde ich in meiner Nähe gar ein so erschreckliches Gewerbe, wie das eines Steinmetzen, Weißbinders, Drechslers oder dergleichen. Einen Besen kann ich nicht riechen. Alle diese Instrumente, sie seien groß oder klein, dick oder dünn, lang oder kurz, mit Haaren oder mit Borsten, bringen mich einer Ohn¬ macht nahe. — Nun sehen Sie, aber alle Mittel, die größte Vor¬ sicht fruchtet Nichts! — Großer Gott! auch hier wieder Staub! — dabei faßte er nach dem Tischchen, das vor ihm stand und dessen Decke wirklich etwas staubig war, rief in einem dumpfen, hinsterben¬ den Tone: Friedrich! und sank kraftlos in den Sessel zurück. Der Diener sprang mir augenblicklich zu Hilfe, und so gelang eS uns in kurzer Zeit, den Ohnmächtigen wieder zu sich zu bringen. Einige stärkende Mittel, die ich anwandte, hatten die beste Wirkung und zeigten, daß die körperliche Beschaffenheit des Schachtelmannes recht gut war und daß nur eine sonderbare Reizbarkeit der Nerven diesen Unfall herbeigeführt hatte, welche aber wahrscheinlich schon so tief eingewurzelt war, daß eine gründliche Heilung sehr schwer fallen mußte. Doch reizte mich eben das Sonderbare und Außerordentliche der Krankheit, die mir bei dem ersten Schritte meiner ärztlichen Lauf¬ bahn so unerwartet in den Weg geworfen wurde, zu der sorgfältig¬ sten und aufmerksamsten Behandlung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/60
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/60>, abgerufen am 01.09.2024.