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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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meine Schachtel, meine Schachtel --! Gestern Abend hörte ich von
Ihrer Ankunft, deshalb schickte ich Friedrich gleich zu Ihnen;
Sie werden mein Uebel am ersten verstehen, denn Sie hatten ja im¬
mer die schönste Schachtel.

Ich erschrack sast, da sich der Schachtelmann meiner bösen Streiche
so wohl erinnerte, und doch schien mir jetzt Vortheil daraus erwach¬
sen zu wollen. Ich sammelte mich daher und entgegnete: Vertrauen
zum Arzte ist das erste Erfordernis), wenn Heilung gelingen soll; ich
finde jedoch Ihren Puls vollkommen gleichförmig und gut; leiden
Sie vielleicht an Schlaflosigkeit, Kopfweh, Mangel an Eßlust oder...

-- Mein Uebel, unterbrach mich der Patient und hustete, ist
sehr feiner Art, und keiner der früheren Aerzte hat es finden wollen;
vielmehr haben alle, wenn ich sie fragte, mich für gemüthskrank
oder mit einem Worte für einen Wahnsinnigen gehalten, und ein
solcher bin ich doch nicht. -- Beruhigen Sie sich, sprach er weiter,
als in meinen Mienen sich unwillkürlich eine Bestätigung von der
Meinung meiner College" ausdrücken mochte, beruhigen Sie sich,
man muß Jedem seine Meinung lassen, sonst möchte es mehr Tolle
geben, als alle Irrenhäuser der Welt zu fassen im Stande sind. --
Ich weiß, setzte er nach einer Pause hinzu, ganz Birkenfeld hält mich
dafür und auch Sie mit Ihren Schulkameraden haben mich als ei¬
nen solchen behandelt.

Man mußte gestehen, das war offenherzig und für einen Ver¬
rückten auch ziemlich vernünftig gesprochen, und ich befand mich in
einer sonderbaren Lage. Diese Ruhe wenigstens war kein Zeichen
irgend einer Verwirrung der Sinne, auch ließ sich, je mehr ich das
klare Auge des Kranken betrachtete, Nichts der Art vermuthen, und
doch zeugte Manches in seinen Reden, so wie sein sonderbarer An¬
zug und die Behandlung der früheren Aerzte dafür.

-- Ihre Brust scheint allerdings angegriffen zu sein, sagte ich,
nachdem ich mich etwas erholt hatte, und fügte hinzu: auch darf ich
bei Ihrer gütigen Gesinnung wohl hoffen, daß Sie dem Manne
nicht den Muthwillen und die Unbesonnenheit des Knaben entgelten
lassen.

-- Meine Brust, sagte er, sichtbar erheitert, muß der eigentliche
Sitz des Uebels sein, nur ist mein Kopf, seitdem ich das Unglück
hatte, meine Schachtel zu verlieren, äußerst empfindlich und leidend


meine Schachtel, meine Schachtel —! Gestern Abend hörte ich von
Ihrer Ankunft, deshalb schickte ich Friedrich gleich zu Ihnen;
Sie werden mein Uebel am ersten verstehen, denn Sie hatten ja im¬
mer die schönste Schachtel.

Ich erschrack sast, da sich der Schachtelmann meiner bösen Streiche
so wohl erinnerte, und doch schien mir jetzt Vortheil daraus erwach¬
sen zu wollen. Ich sammelte mich daher und entgegnete: Vertrauen
zum Arzte ist das erste Erfordernis), wenn Heilung gelingen soll; ich
finde jedoch Ihren Puls vollkommen gleichförmig und gut; leiden
Sie vielleicht an Schlaflosigkeit, Kopfweh, Mangel an Eßlust oder...

— Mein Uebel, unterbrach mich der Patient und hustete, ist
sehr feiner Art, und keiner der früheren Aerzte hat es finden wollen;
vielmehr haben alle, wenn ich sie fragte, mich für gemüthskrank
oder mit einem Worte für einen Wahnsinnigen gehalten, und ein
solcher bin ich doch nicht. — Beruhigen Sie sich, sprach er weiter,
als in meinen Mienen sich unwillkürlich eine Bestätigung von der
Meinung meiner College» ausdrücken mochte, beruhigen Sie sich,
man muß Jedem seine Meinung lassen, sonst möchte es mehr Tolle
geben, als alle Irrenhäuser der Welt zu fassen im Stande sind. —
Ich weiß, setzte er nach einer Pause hinzu, ganz Birkenfeld hält mich
dafür und auch Sie mit Ihren Schulkameraden haben mich als ei¬
nen solchen behandelt.

Man mußte gestehen, das war offenherzig und für einen Ver¬
rückten auch ziemlich vernünftig gesprochen, und ich befand mich in
einer sonderbaren Lage. Diese Ruhe wenigstens war kein Zeichen
irgend einer Verwirrung der Sinne, auch ließ sich, je mehr ich das
klare Auge des Kranken betrachtete, Nichts der Art vermuthen, und
doch zeugte Manches in seinen Reden, so wie sein sonderbarer An¬
zug und die Behandlung der früheren Aerzte dafür.

— Ihre Brust scheint allerdings angegriffen zu sein, sagte ich,
nachdem ich mich etwas erholt hatte, und fügte hinzu: auch darf ich
bei Ihrer gütigen Gesinnung wohl hoffen, daß Sie dem Manne
nicht den Muthwillen und die Unbesonnenheit des Knaben entgelten
lassen.

— Meine Brust, sagte er, sichtbar erheitert, muß der eigentliche
Sitz des Uebels sein, nur ist mein Kopf, seitdem ich das Unglück
hatte, meine Schachtel zu verlieren, äußerst empfindlich und leidend


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[0059] meine Schachtel, meine Schachtel —! Gestern Abend hörte ich von Ihrer Ankunft, deshalb schickte ich Friedrich gleich zu Ihnen; Sie werden mein Uebel am ersten verstehen, denn Sie hatten ja im¬ mer die schönste Schachtel. Ich erschrack sast, da sich der Schachtelmann meiner bösen Streiche so wohl erinnerte, und doch schien mir jetzt Vortheil daraus erwach¬ sen zu wollen. Ich sammelte mich daher und entgegnete: Vertrauen zum Arzte ist das erste Erfordernis), wenn Heilung gelingen soll; ich finde jedoch Ihren Puls vollkommen gleichförmig und gut; leiden Sie vielleicht an Schlaflosigkeit, Kopfweh, Mangel an Eßlust oder... — Mein Uebel, unterbrach mich der Patient und hustete, ist sehr feiner Art, und keiner der früheren Aerzte hat es finden wollen; vielmehr haben alle, wenn ich sie fragte, mich für gemüthskrank oder mit einem Worte für einen Wahnsinnigen gehalten, und ein solcher bin ich doch nicht. — Beruhigen Sie sich, sprach er weiter, als in meinen Mienen sich unwillkürlich eine Bestätigung von der Meinung meiner College» ausdrücken mochte, beruhigen Sie sich, man muß Jedem seine Meinung lassen, sonst möchte es mehr Tolle geben, als alle Irrenhäuser der Welt zu fassen im Stande sind. — Ich weiß, setzte er nach einer Pause hinzu, ganz Birkenfeld hält mich dafür und auch Sie mit Ihren Schulkameraden haben mich als ei¬ nen solchen behandelt. Man mußte gestehen, das war offenherzig und für einen Ver¬ rückten auch ziemlich vernünftig gesprochen, und ich befand mich in einer sonderbaren Lage. Diese Ruhe wenigstens war kein Zeichen irgend einer Verwirrung der Sinne, auch ließ sich, je mehr ich das klare Auge des Kranken betrachtete, Nichts der Art vermuthen, und doch zeugte Manches in seinen Reden, so wie sein sonderbarer An¬ zug und die Behandlung der früheren Aerzte dafür. — Ihre Brust scheint allerdings angegriffen zu sein, sagte ich, nachdem ich mich etwas erholt hatte, und fügte hinzu: auch darf ich bei Ihrer gütigen Gesinnung wohl hoffen, daß Sie dem Manne nicht den Muthwillen und die Unbesonnenheit des Knaben entgelten lassen. — Meine Brust, sagte er, sichtbar erheitert, muß der eigentliche Sitz des Uebels sein, nur ist mein Kopf, seitdem ich das Unglück hatte, meine Schachtel zu verlieren, äußerst empfindlich und leidend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/59>, abgerufen am 01.09.2024.