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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Der Wahnsinn reißt die Kette der Gedanken,
Die wild um ihn in wirren Spielen schwanken.
Er gibt sich den Gestalten willenlos,
Sie tragen ihn zum tiefsten Meeresschooß;
Wie wonnig ihn die kühlen Fluchen netzen,
Wie trinkt er unersättigt fort und fort, --
Da wacht er auf -- sein Auge scheint verdorrt,
Und seine Brust durchschaue" das Entsetzen.
Er sinkt zurück -- doch baut im öden Raum
Urplötzlich sich ein wunderbarer Traum,
Als ob von einer Feenhand er wäre
Ein fabelhaftes Bild, gemalt in's Leere;
Gleich einem Feld von lichtem Edelstein,
D'rauf wirre Kreise durcheinanderliefen,
Sie schienen ihm der Schöpfung Hieroglyphe",
Die dunklen Bücher des Geschicks zu sein.
Und wie er matten Geistes will ergründen,
Ob die Erscheinung Rettung mag verkünden,
Da regt und drangt es sich auf jenem Feld
Und formt und eint sich zur belebten Welt.
Nun sieht er Wölker, kämpfend und im Frieden,
Und sieht Geschlechter kommen und vergehn,
Und alle sich nach jenen Kreisen drehn
In Machtpalästen, Kerkern, Thebaiden.
Der Kreis, der eng umklammert, was da ist,
'
Und fest das Werden eins Verwesen schließt,
'
Umzirkelnd Wonnen wie gebrochne Herzen,
Es sprengt ihn Keiner, trotz der Wucht der Schmerzen.
'
Die Kämpfe, Mühn, das Blut, vergossen heiß,
'
Er schaut sie wirkungslos ins Nichts zerstieben,
Und auf dem Feld ist nur zurückgeblieben
'
Der alte, unerforschte, coge Kreis.
Verkündet er dem Pilger auch Verderben?
Der fügt ergeben sich dem nahen Sterben,
Doch fühlt er Lind'rung durch die Lüfte wehn, --
Und sollen Wunder für sein Heil geschehn? --
Sahara ward zur blumenreichen Wiese,
Und drüber schwebt, vom Jrd'schen nicht berührt,
Ein Engel, schön, wie nur der Herr sie führt
An's Herz den Gläubigen im Paradiese.

73
Der Wahnsinn reißt die Kette der Gedanken,
Die wild um ihn in wirren Spielen schwanken.
Er gibt sich den Gestalten willenlos,
Sie tragen ihn zum tiefsten Meeresschooß;
Wie wonnig ihn die kühlen Fluchen netzen,
Wie trinkt er unersättigt fort und fort, —
Da wacht er auf — sein Auge scheint verdorrt,
Und seine Brust durchschaue« das Entsetzen.
Er sinkt zurück — doch baut im öden Raum
Urplötzlich sich ein wunderbarer Traum,
Als ob von einer Feenhand er wäre
Ein fabelhaftes Bild, gemalt in's Leere;
Gleich einem Feld von lichtem Edelstein,
D'rauf wirre Kreise durcheinanderliefen,
Sie schienen ihm der Schöpfung Hieroglyphe»,
Die dunklen Bücher des Geschicks zu sein.
Und wie er matten Geistes will ergründen,
Ob die Erscheinung Rettung mag verkünden,
Da regt und drangt es sich auf jenem Feld
Und formt und eint sich zur belebten Welt.
Nun sieht er Wölker, kämpfend und im Frieden,
Und sieht Geschlechter kommen und vergehn,
Und alle sich nach jenen Kreisen drehn
In Machtpalästen, Kerkern, Thebaiden.
Der Kreis, der eng umklammert, was da ist,
'
Und fest das Werden eins Verwesen schließt,
'
Umzirkelnd Wonnen wie gebrochne Herzen,
Es sprengt ihn Keiner, trotz der Wucht der Schmerzen.
'
Die Kämpfe, Mühn, das Blut, vergossen heiß,
'
Er schaut sie wirkungslos ins Nichts zerstieben,
Und auf dem Feld ist nur zurückgeblieben
'
Der alte, unerforschte, coge Kreis.
Verkündet er dem Pilger auch Verderben?
Der fügt ergeben sich dem nahen Sterben,
Doch fühlt er Lind'rung durch die Lüfte wehn, —
Und sollen Wunder für sein Heil geschehn? —
Sahara ward zur blumenreichen Wiese,
Und drüber schwebt, vom Jrd'schen nicht berührt,
Ein Engel, schön, wie nur der Herr sie führt
An's Herz den Gläubigen im Paradiese.

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[0583] Der Wahnsinn reißt die Kette der Gedanken, Die wild um ihn in wirren Spielen schwanken. Er gibt sich den Gestalten willenlos, Sie tragen ihn zum tiefsten Meeresschooß; Wie wonnig ihn die kühlen Fluchen netzen, Wie trinkt er unersättigt fort und fort, — Da wacht er auf — sein Auge scheint verdorrt, Und seine Brust durchschaue« das Entsetzen. Er sinkt zurück — doch baut im öden Raum Urplötzlich sich ein wunderbarer Traum, Als ob von einer Feenhand er wäre Ein fabelhaftes Bild, gemalt in's Leere; Gleich einem Feld von lichtem Edelstein, D'rauf wirre Kreise durcheinanderliefen, Sie schienen ihm der Schöpfung Hieroglyphe», Die dunklen Bücher des Geschicks zu sein. Und wie er matten Geistes will ergründen, Ob die Erscheinung Rettung mag verkünden, Da regt und drangt es sich auf jenem Feld Und formt und eint sich zur belebten Welt. Nun sieht er Wölker, kämpfend und im Frieden, Und sieht Geschlechter kommen und vergehn, Und alle sich nach jenen Kreisen drehn In Machtpalästen, Kerkern, Thebaiden. Der Kreis, der eng umklammert, was da ist, ' Und fest das Werden eins Verwesen schließt, ' Umzirkelnd Wonnen wie gebrochne Herzen, Es sprengt ihn Keiner, trotz der Wucht der Schmerzen. ' Die Kämpfe, Mühn, das Blut, vergossen heiß, ' Er schaut sie wirkungslos ins Nichts zerstieben, Und auf dem Feld ist nur zurückgeblieben ' Der alte, unerforschte, coge Kreis. Verkündet er dem Pilger auch Verderben? Der fügt ergeben sich dem nahen Sterben, Doch fühlt er Lind'rung durch die Lüfte wehn, — Und sollen Wunder für sein Heil geschehn? — Sahara ward zur blumenreichen Wiese, Und drüber schwebt, vom Jrd'schen nicht berührt, Ein Engel, schön, wie nur der Herr sie führt An's Herz den Gläubigen im Paradiese. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/583>, abgerufen am 27.07.2024.