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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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intelligente Schüler Schön's, der Bürgermeister Pinder steht, bot wil¬
lig die Hand zu einem offenen Schritte und so ging denn schon nach
einigen Tagen eine energische Protestation nach Berlin ab, doch nicht
zeitig genug, um dem Präsidenten der Synode die Gelegenheit zu be¬
nehmen, in einem co.nsidentiellen Schreiben dem Minister das Verfah¬
ren der Communalvertreter zu hinterbringen. Dieser läßt per Estnffette
den Oberprästdcnten um Gottes willen ersuchen, mit einem (juus v^u
die bürgerlichen Gemüther einzuschüchtern. Herr von Merkel ist ein
alter Mann, den politischen Kämpfen der Gegenwart entfremdet. Aber
es lebt in ihm noch jene Aufklärung der Freiheitskriege, welcher er,
da er in ihr so segensreich gewirkt und gewaltet hat, seinen Ruhm
und sein Ansehen verdankt. Dieser Geist des guten Protestantismus
kann sich am allerwenigsten mit der herrschenden kirchlichen Richtung
befreunden, und darum that Herr Merkel nur, was seines Amtes ist,
beschied die Bittsteller zu sich und gab ihnen den Wunsch des Mini¬
sters zu erkennen. Da er aber hörte, daß die Adresse bereits abgegan¬
gen, so war er's zufrieden und meinte, da würde die ganze Sache
wohl vor die rechte Schmiede kommen. Wohl wird sie das, aber
Leute, die unsere Zeit verstehen wollen, geben ihre Besorgnisse trotz¬
dem nicht auf. Sind die beabsichtigten kirchlichen Maßregeln nicht
aus dem Geiste dessen hervorgegangen, der nun bereits seit einigen
Jahren unser gesäumtes Kirchen- und Schulwesen in die bekannte
Richtung eingezwängt hat? -- Wer hätte je gedacht, daß die vierzi¬
ger Jahre noch von solchen theologischen Kämpfen heimgesucht werden
würden ? Die politischen Discussionen liegen ganz brach, denn die
Kräfte, welche sich nicht mit der Abwehr dieser im Schooße des Pro¬
testantismus sich erhebenden Reaction beschäftigen, werden auf der an¬
deren Seite von der Polemik des Ultramontanismus in Anspruch ge¬
nommen. Ronge und sein Brief bildet noch immer das Tagesgespräch.
Gebe nur Gott, daß der confessionelle Hader nicht wieder zum Nach¬
theile der politischen Einheit Deutschlands ausschlage. Mitunter drängt
sich mir der Gedanke auf, daß alle diese theologischen Wirrnisse nur
heraufbeschworen würden, um die Gemüther des Volks von der Poli¬
tik abzulenken und dann -- ich gestehe gern, daß das eine Sünde
wider den heiligen Geist ist -- ängstigt mich beinahe die passive Stel¬
lung, welche die Regierung diesem Kampfe gegenüber einnimmt. Aber
wenn man genauer zusieht und den Dingen an die Wurzel fühlt, so
begreift man doch, daß die Motive hüben und drüben wesentlich poli¬
tischer Natur sind, daß es ein Streit des Lichts mit der Dunkelheit,
der Mündigkeit mit der Bevormundung ist. --

Unter unseren Studirenden zeigen sich seit einiger Zeit sehr be¬
dauerliche Symptome von Roheit und wilder Sitte. Vor einiger Zeit
sah man viele der Herren in der unzeitgemäßer Postillonstracht sich
auf der Straße umhertreiben. Es geschah nicht etwa wegen einer de-


7!"

intelligente Schüler Schön's, der Bürgermeister Pinder steht, bot wil¬
lig die Hand zu einem offenen Schritte und so ging denn schon nach
einigen Tagen eine energische Protestation nach Berlin ab, doch nicht
zeitig genug, um dem Präsidenten der Synode die Gelegenheit zu be¬
nehmen, in einem co.nsidentiellen Schreiben dem Minister das Verfah¬
ren der Communalvertreter zu hinterbringen. Dieser läßt per Estnffette
den Oberprästdcnten um Gottes willen ersuchen, mit einem (juus v^u
die bürgerlichen Gemüther einzuschüchtern. Herr von Merkel ist ein
alter Mann, den politischen Kämpfen der Gegenwart entfremdet. Aber
es lebt in ihm noch jene Aufklärung der Freiheitskriege, welcher er,
da er in ihr so segensreich gewirkt und gewaltet hat, seinen Ruhm
und sein Ansehen verdankt. Dieser Geist des guten Protestantismus
kann sich am allerwenigsten mit der herrschenden kirchlichen Richtung
befreunden, und darum that Herr Merkel nur, was seines Amtes ist,
beschied die Bittsteller zu sich und gab ihnen den Wunsch des Mini¬
sters zu erkennen. Da er aber hörte, daß die Adresse bereits abgegan¬
gen, so war er's zufrieden und meinte, da würde die ganze Sache
wohl vor die rechte Schmiede kommen. Wohl wird sie das, aber
Leute, die unsere Zeit verstehen wollen, geben ihre Besorgnisse trotz¬
dem nicht auf. Sind die beabsichtigten kirchlichen Maßregeln nicht
aus dem Geiste dessen hervorgegangen, der nun bereits seit einigen
Jahren unser gesäumtes Kirchen- und Schulwesen in die bekannte
Richtung eingezwängt hat? — Wer hätte je gedacht, daß die vierzi¬
ger Jahre noch von solchen theologischen Kämpfen heimgesucht werden
würden ? Die politischen Discussionen liegen ganz brach, denn die
Kräfte, welche sich nicht mit der Abwehr dieser im Schooße des Pro¬
testantismus sich erhebenden Reaction beschäftigen, werden auf der an¬
deren Seite von der Polemik des Ultramontanismus in Anspruch ge¬
nommen. Ronge und sein Brief bildet noch immer das Tagesgespräch.
Gebe nur Gott, daß der confessionelle Hader nicht wieder zum Nach¬
theile der politischen Einheit Deutschlands ausschlage. Mitunter drängt
sich mir der Gedanke auf, daß alle diese theologischen Wirrnisse nur
heraufbeschworen würden, um die Gemüther des Volks von der Poli¬
tik abzulenken und dann — ich gestehe gern, daß das eine Sünde
wider den heiligen Geist ist — ängstigt mich beinahe die passive Stel¬
lung, welche die Regierung diesem Kampfe gegenüber einnimmt. Aber
wenn man genauer zusieht und den Dingen an die Wurzel fühlt, so
begreift man doch, daß die Motive hüben und drüben wesentlich poli¬
tischer Natur sind, daß es ein Streit des Lichts mit der Dunkelheit,
der Mündigkeit mit der Bevormundung ist. —

Unter unseren Studirenden zeigen sich seit einiger Zeit sehr be¬
dauerliche Symptome von Roheit und wilder Sitte. Vor einiger Zeit
sah man viele der Herren in der unzeitgemäßer Postillonstracht sich
auf der Straße umhertreiben. Es geschah nicht etwa wegen einer de-


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[0567] intelligente Schüler Schön's, der Bürgermeister Pinder steht, bot wil¬ lig die Hand zu einem offenen Schritte und so ging denn schon nach einigen Tagen eine energische Protestation nach Berlin ab, doch nicht zeitig genug, um dem Präsidenten der Synode die Gelegenheit zu be¬ nehmen, in einem co.nsidentiellen Schreiben dem Minister das Verfah¬ ren der Communalvertreter zu hinterbringen. Dieser läßt per Estnffette den Oberprästdcnten um Gottes willen ersuchen, mit einem (juus v^u die bürgerlichen Gemüther einzuschüchtern. Herr von Merkel ist ein alter Mann, den politischen Kämpfen der Gegenwart entfremdet. Aber es lebt in ihm noch jene Aufklärung der Freiheitskriege, welcher er, da er in ihr so segensreich gewirkt und gewaltet hat, seinen Ruhm und sein Ansehen verdankt. Dieser Geist des guten Protestantismus kann sich am allerwenigsten mit der herrschenden kirchlichen Richtung befreunden, und darum that Herr Merkel nur, was seines Amtes ist, beschied die Bittsteller zu sich und gab ihnen den Wunsch des Mini¬ sters zu erkennen. Da er aber hörte, daß die Adresse bereits abgegan¬ gen, so war er's zufrieden und meinte, da würde die ganze Sache wohl vor die rechte Schmiede kommen. Wohl wird sie das, aber Leute, die unsere Zeit verstehen wollen, geben ihre Besorgnisse trotz¬ dem nicht auf. Sind die beabsichtigten kirchlichen Maßregeln nicht aus dem Geiste dessen hervorgegangen, der nun bereits seit einigen Jahren unser gesäumtes Kirchen- und Schulwesen in die bekannte Richtung eingezwängt hat? — Wer hätte je gedacht, daß die vierzi¬ ger Jahre noch von solchen theologischen Kämpfen heimgesucht werden würden ? Die politischen Discussionen liegen ganz brach, denn die Kräfte, welche sich nicht mit der Abwehr dieser im Schooße des Pro¬ testantismus sich erhebenden Reaction beschäftigen, werden auf der an¬ deren Seite von der Polemik des Ultramontanismus in Anspruch ge¬ nommen. Ronge und sein Brief bildet noch immer das Tagesgespräch. Gebe nur Gott, daß der confessionelle Hader nicht wieder zum Nach¬ theile der politischen Einheit Deutschlands ausschlage. Mitunter drängt sich mir der Gedanke auf, daß alle diese theologischen Wirrnisse nur heraufbeschworen würden, um die Gemüther des Volks von der Poli¬ tik abzulenken und dann — ich gestehe gern, daß das eine Sünde wider den heiligen Geist ist — ängstigt mich beinahe die passive Stel¬ lung, welche die Regierung diesem Kampfe gegenüber einnimmt. Aber wenn man genauer zusieht und den Dingen an die Wurzel fühlt, so begreift man doch, daß die Motive hüben und drüben wesentlich poli¬ tischer Natur sind, daß es ein Streit des Lichts mit der Dunkelheit, der Mündigkeit mit der Bevormundung ist. — Unter unseren Studirenden zeigen sich seit einiger Zeit sehr be¬ dauerliche Symptome von Roheit und wilder Sitte. Vor einiger Zeit sah man viele der Herren in der unzeitgemäßer Postillonstracht sich auf der Straße umhertreiben. Es geschah nicht etwa wegen einer de- 7!»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/567>, abgerufen am 27.07.2024.