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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gesang der Grenadiere sehr bald von allen deutschen Soldaten gesun¬
gen werden wird.

Uebrigens ist zu dieser Vorstellung Alles aufgeboten worden, was
die samische Kunst nur irgend zu gewahren vermag: Musik, Tanz,
poetische Recitation (durch Mad. Erelinger als Borussia) Decorarions-
malerei, Maschinenwunder und lebendes Biloerthum. In Letzterem ist,
nächst der musikalischen Kunst, das Ausgezeichnetste geleistet worden:
es wurden uns nämlich dadurch sechs Traumbilder des Königs Fried¬
rich vorgeführt, die allerdings sehr malerisch und mitunter auch recht
poetisch waren, aber von Vielem, was sich in Deutschland nach dem
Tode Friedrichs zutrug und unsern Stolz in der geistigen Welt der
Zeitgenossen ausmacht, nicht einmal eine Andeutung enthielten. Ja,
es passirt Vieles zwischen Himmel und Erden, wovon selbst ein König
Friedrich Nichts geträumt hat!


Justus.
IV.
An" B r e s l a u.

Die Stadtverordneten und die Previnzi.ilsvnode.-- Herr von Merkel und das
Ministerium. -- Kirche und Politik. -- Die Studenten und Kanonensticfcl. --
Was Schulz thut, darf Scholz nicht thun. -- Roch einmal die Weber. --
Der Baum in Polizeiuntersuchung. -- Louise Mühlbach. -- Holtei.

Wenn ich heute wieder nur detaillirte, der frischen, lebendigen
Gegenwart entnommene Thatsachen vorbringe, so entschuldigen Sie
mich noch einmal. Ich hatte, weiß Gott, die Absicht, mich recht fest
an das Gewordene. Auständliche anzuklammern, wollte Ihnen von
Sitten, Sprache und Gebräuchen derer Schlester Langes und Breites
erzählen, aber ich versuchte es umsonst; meine Gedanken kehrten im¬
mer wieder zu dem Heute zurück und zu dem, was has Heute be¬
wegt. Wir befinden uns in der That in einer so bedeutenden theo¬
logischen Krisis, daß man ganz außerhalb der Zeit stehen müßte, wollte
man darauf nicht reflectiren. Sie werden aus den Zeitungen ersehen
haben, daß die hiesigen Stadtverordneten im Vereine mit dem Magi¬
strate gegen die auf cultministeriellen Befehl veranstalteten Berathun¬
gen der Provinzialsvnode Front machten und in einer Jmmediatein-
gabe an den König erklärten, daß sie nicht gewillt seien, die durch
Blut und langen Kampf errungene religiöse Freiheit aufzugeben. Die
Versammlung der Stadtverordneten, in der dieser Beschluß gefaßt
wurde, war eine der interessantesten. Männer welche während eines
ganzen Jahres wie chinesische Pagoden da gesessen hatten, horchten
hoch auf, als die neue Erlösungstheorie von einem Mitgliede ausein¬
andergesetzt wurde, und hatten zum ersten Male eine andere Meinung,
als ein beifälliges Kopfnicken. Der Magistrat, an dessen Spitze der


gesang der Grenadiere sehr bald von allen deutschen Soldaten gesun¬
gen werden wird.

Uebrigens ist zu dieser Vorstellung Alles aufgeboten worden, was
die samische Kunst nur irgend zu gewahren vermag: Musik, Tanz,
poetische Recitation (durch Mad. Erelinger als Borussia) Decorarions-
malerei, Maschinenwunder und lebendes Biloerthum. In Letzterem ist,
nächst der musikalischen Kunst, das Ausgezeichnetste geleistet worden:
es wurden uns nämlich dadurch sechs Traumbilder des Königs Fried¬
rich vorgeführt, die allerdings sehr malerisch und mitunter auch recht
poetisch waren, aber von Vielem, was sich in Deutschland nach dem
Tode Friedrichs zutrug und unsern Stolz in der geistigen Welt der
Zeitgenossen ausmacht, nicht einmal eine Andeutung enthielten. Ja,
es passirt Vieles zwischen Himmel und Erden, wovon selbst ein König
Friedrich Nichts geträumt hat!


Justus.
IV.
An» B r e s l a u.

Die Stadtverordneten und die Previnzi.ilsvnode.— Herr von Merkel und das
Ministerium. — Kirche und Politik. — Die Studenten und Kanonensticfcl. —
Was Schulz thut, darf Scholz nicht thun. — Roch einmal die Weber. —
Der Baum in Polizeiuntersuchung. — Louise Mühlbach. — Holtei.

Wenn ich heute wieder nur detaillirte, der frischen, lebendigen
Gegenwart entnommene Thatsachen vorbringe, so entschuldigen Sie
mich noch einmal. Ich hatte, weiß Gott, die Absicht, mich recht fest
an das Gewordene. Auständliche anzuklammern, wollte Ihnen von
Sitten, Sprache und Gebräuchen derer Schlester Langes und Breites
erzählen, aber ich versuchte es umsonst; meine Gedanken kehrten im¬
mer wieder zu dem Heute zurück und zu dem, was has Heute be¬
wegt. Wir befinden uns in der That in einer so bedeutenden theo¬
logischen Krisis, daß man ganz außerhalb der Zeit stehen müßte, wollte
man darauf nicht reflectiren. Sie werden aus den Zeitungen ersehen
haben, daß die hiesigen Stadtverordneten im Vereine mit dem Magi¬
strate gegen die auf cultministeriellen Befehl veranstalteten Berathun¬
gen der Provinzialsvnode Front machten und in einer Jmmediatein-
gabe an den König erklärten, daß sie nicht gewillt seien, die durch
Blut und langen Kampf errungene religiöse Freiheit aufzugeben. Die
Versammlung der Stadtverordneten, in der dieser Beschluß gefaßt
wurde, war eine der interessantesten. Männer welche während eines
ganzen Jahres wie chinesische Pagoden da gesessen hatten, horchten
hoch auf, als die neue Erlösungstheorie von einem Mitgliede ausein¬
andergesetzt wurde, und hatten zum ersten Male eine andere Meinung,
als ein beifälliges Kopfnicken. Der Magistrat, an dessen Spitze der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/566>, abgerufen am 27.07.2024.