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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Thore noch ungefähr eine Viertelstunde lang fort, bis er auf gleiche
Weise nach Hause zurückkehrte. DaS einzige Lebenszeichen, das er
außerdem noch von sich gab, war, daß er von Zeit zu Zeit vorsich¬
tig seinen ölfarbenen Mantel zurückschlug, in die Westentasche griff,
eine große silberne Dose hervorholte, welche gleichfalls von einer
Schachtel umgeben war, und mit ernster Miene eine Prise nahm.
Alles dieses wurde von uns genau nachgeahmt; wir trugen damals
ähnliche Schachteln, schnupften mit ihm zu gleicher Zeit und ein lau¬
tes, vielfaches Niesen von unserer Seite erfüllte die Luft, sobald bei
dem Schachtelmann der Tabak seine Wirkung that. --

Hatte sich das Haus geschlossen, so konnten wir auch fest, ver¬
sichert sein, daß es sich für den Schachtelmann binnen vierundzwan¬
zig Stunden nicht wieder öffnete; was er nun unterdessen trieb, wel¬
chen Zweck er überhaupt in Birkenfeld hatte, das blieb für Jeder¬
mann ein unauflösbares Räthsel. Der Diener besorgte alle häusli¬
chen Geschäfte, kaufte die Lebensbedürfnisse ein und war dann nicht
immer mit der lästigen Schale bedeckt, die ihn auf dem mittägigen
Spaziergang schmückte, doch in dem theilnahmlosen, einförmigen, licht¬
scheuen Wesen war er ganz seinem Gebieter gleich, und ein Belusti¬
gungsort, ein Wirthshaus oder irgend eine andere gesellige Zusam¬
menkunft blieben sorgfältig von ihm gemieden. Seit meiner Kindheit
und noch früher bewohnte der Schachtelmann das graue steinerne
Gebäude, und ich dachte als unbesorgter Knabe niemals daran, mich
nach seinem Namen oder Schicksalen zu erkundigen, wenn auch wirk¬
lich in Birkenfeld ein Wesen gelebt hätte, das hierüber Auskunft zu
geben vermochte.

Während dem nun, wie. gesagt, dies Alles wieder lebhaft vor
meine Seele trat und ich nach dem räthselhaften Gebäude schaute,
öffnete sich dasselbe und der Diener in einem ähnlichen Anzüge wie
früher trat heraus und kam mit eiligen Schritten auf meine Woh¬
nung zu. Ehe ich mich noch besinnen Fonnte, war er hastig die
Treppe heraufgestiegen und stand vor mir.

-- Herr Doctor! sagte er mit ängstlicher Miene, mein Herr ist
sehr übel und verlangt nach Ihnen; wenn Sie die Güte haben wol¬
len, mit hinüberzukommen, so will ich so lange auf Sie warten.

-- Ich werde gleich fertig sein! war meine Antwort, wobei ich
nach einigen mir fehlenden Kleidungsstücken fuhr. Denn Nichts


Thore noch ungefähr eine Viertelstunde lang fort, bis er auf gleiche
Weise nach Hause zurückkehrte. DaS einzige Lebenszeichen, das er
außerdem noch von sich gab, war, daß er von Zeit zu Zeit vorsich¬
tig seinen ölfarbenen Mantel zurückschlug, in die Westentasche griff,
eine große silberne Dose hervorholte, welche gleichfalls von einer
Schachtel umgeben war, und mit ernster Miene eine Prise nahm.
Alles dieses wurde von uns genau nachgeahmt; wir trugen damals
ähnliche Schachteln, schnupften mit ihm zu gleicher Zeit und ein lau¬
tes, vielfaches Niesen von unserer Seite erfüllte die Luft, sobald bei
dem Schachtelmann der Tabak seine Wirkung that. —

Hatte sich das Haus geschlossen, so konnten wir auch fest, ver¬
sichert sein, daß es sich für den Schachtelmann binnen vierundzwan¬
zig Stunden nicht wieder öffnete; was er nun unterdessen trieb, wel¬
chen Zweck er überhaupt in Birkenfeld hatte, das blieb für Jeder¬
mann ein unauflösbares Räthsel. Der Diener besorgte alle häusli¬
chen Geschäfte, kaufte die Lebensbedürfnisse ein und war dann nicht
immer mit der lästigen Schale bedeckt, die ihn auf dem mittägigen
Spaziergang schmückte, doch in dem theilnahmlosen, einförmigen, licht¬
scheuen Wesen war er ganz seinem Gebieter gleich, und ein Belusti¬
gungsort, ein Wirthshaus oder irgend eine andere gesellige Zusam¬
menkunft blieben sorgfältig von ihm gemieden. Seit meiner Kindheit
und noch früher bewohnte der Schachtelmann das graue steinerne
Gebäude, und ich dachte als unbesorgter Knabe niemals daran, mich
nach seinem Namen oder Schicksalen zu erkundigen, wenn auch wirk¬
lich in Birkenfeld ein Wesen gelebt hätte, das hierüber Auskunft zu
geben vermochte.

Während dem nun, wie. gesagt, dies Alles wieder lebhaft vor
meine Seele trat und ich nach dem räthselhaften Gebäude schaute,
öffnete sich dasselbe und der Diener in einem ähnlichen Anzüge wie
früher trat heraus und kam mit eiligen Schritten auf meine Woh¬
nung zu. Ehe ich mich noch besinnen Fonnte, war er hastig die
Treppe heraufgestiegen und stand vor mir.

— Herr Doctor! sagte er mit ängstlicher Miene, mein Herr ist
sehr übel und verlangt nach Ihnen; wenn Sie die Güte haben wol¬
len, mit hinüberzukommen, so will ich so lange auf Sie warten.

— Ich werde gleich fertig sein! war meine Antwort, wobei ich
nach einigen mir fehlenden Kleidungsstücken fuhr. Denn Nichts


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[0056] Thore noch ungefähr eine Viertelstunde lang fort, bis er auf gleiche Weise nach Hause zurückkehrte. DaS einzige Lebenszeichen, das er außerdem noch von sich gab, war, daß er von Zeit zu Zeit vorsich¬ tig seinen ölfarbenen Mantel zurückschlug, in die Westentasche griff, eine große silberne Dose hervorholte, welche gleichfalls von einer Schachtel umgeben war, und mit ernster Miene eine Prise nahm. Alles dieses wurde von uns genau nachgeahmt; wir trugen damals ähnliche Schachteln, schnupften mit ihm zu gleicher Zeit und ein lau¬ tes, vielfaches Niesen von unserer Seite erfüllte die Luft, sobald bei dem Schachtelmann der Tabak seine Wirkung that. — Hatte sich das Haus geschlossen, so konnten wir auch fest, ver¬ sichert sein, daß es sich für den Schachtelmann binnen vierundzwan¬ zig Stunden nicht wieder öffnete; was er nun unterdessen trieb, wel¬ chen Zweck er überhaupt in Birkenfeld hatte, das blieb für Jeder¬ mann ein unauflösbares Räthsel. Der Diener besorgte alle häusli¬ chen Geschäfte, kaufte die Lebensbedürfnisse ein und war dann nicht immer mit der lästigen Schale bedeckt, die ihn auf dem mittägigen Spaziergang schmückte, doch in dem theilnahmlosen, einförmigen, licht¬ scheuen Wesen war er ganz seinem Gebieter gleich, und ein Belusti¬ gungsort, ein Wirthshaus oder irgend eine andere gesellige Zusam¬ menkunft blieben sorgfältig von ihm gemieden. Seit meiner Kindheit und noch früher bewohnte der Schachtelmann das graue steinerne Gebäude, und ich dachte als unbesorgter Knabe niemals daran, mich nach seinem Namen oder Schicksalen zu erkundigen, wenn auch wirk¬ lich in Birkenfeld ein Wesen gelebt hätte, das hierüber Auskunft zu geben vermochte. Während dem nun, wie. gesagt, dies Alles wieder lebhaft vor meine Seele trat und ich nach dem räthselhaften Gebäude schaute, öffnete sich dasselbe und der Diener in einem ähnlichen Anzüge wie früher trat heraus und kam mit eiligen Schritten auf meine Woh¬ nung zu. Ehe ich mich noch besinnen Fonnte, war er hastig die Treppe heraufgestiegen und stand vor mir. — Herr Doctor! sagte er mit ängstlicher Miene, mein Herr ist sehr übel und verlangt nach Ihnen; wenn Sie die Güte haben wol¬ len, mit hinüberzukommen, so will ich so lange auf Sie warten. — Ich werde gleich fertig sein! war meine Antwort, wobei ich nach einigen mir fehlenden Kleidungsstücken fuhr. Denn Nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/56>, abgerufen am 01.09.2024.