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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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den Argwohn gebracht, als ob sie ihm seine Kinder vergäbe, soll der
Obrigkeit fünfzehn Gulden entrichten, den beleidigten Theil Abbitte
thun, sich selbst auf's Maul schlagen." Diese Strafart würde
in unserer Zeit besonders auf jene Korrespondenten anzuwenden sein,
die die "gute Presse" als "böswillige", die Leipziger als "hämische"
bezeichnet. Da man so eifrig in dem alten Provinzialgesetzplunder
umherwühlt, den alten Kohl gern wieder aufwärmen möchte, halten
wir's gar nicht für unmöglich, daß in der christlich-germanischen Mo-'
narchie diese Strasart als "historisch begründet" wieder beliebt würde.
Es wäre das eine Vervollkommnung und Ausdehnung der jetzt be¬
stehenden Prügelstrafe, die blos -ni posteriori,, applicirt wird,
und also, wie eine Sorte Berliner Zeitungscorrespondenten der er¬
staunten Welt verkünden wird, "wieder ein großer Fortschritt."

Schon im Jahre 1610 findet sich abermals die Klage, "daß es
mit den gewöhnlichen Gerichtstagen bis daher etwas schläfrig zu¬
gegangen", und diejenigen, so der Gerichtsordnung zuwider gelebt,
nicht allemal mit schuldigen Ernst gestraft werden. Deshalb wird
der Stadtschreiber in NeuhaldcnSleben als Gesammtrichter bestellt, der
strenge strafen soll, "damit räh (immerfort) überhandnehmende Flu¬
chen, Gotteslästerungen, Hurerei und Unzucht abnehmen." Zu seiner
"Ergötzlichkeit, seiner Mühe und Arbeit" wegen wird dem Richter eine
Besoldung von dreißig Thalern zugesagt.

Das Landgericht über die Dörfer des Gerichts Errleben wurde
bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Errleben, "wie
von Alters her gebräuchlich, vor dem Mittelkruge unter freiem
Himmel im Beisein von Richtern, Geschwornen und Landsassen ge¬
hegt." Das Gericht war im Jahre 168? besetzt mit dem Senior
der Familie von Alvensleben, zwei Beamten der von Alvensleben,
mit dem Richter, mit zwei Schoppen und Geschwornen und mit vier
Landsassen aus jedem der fünf Dörfer, also mit zehn Geschwornen
und zwanzig Landsassen, die daher auch die "zwanzig Männer" ge-
nannt werden. Als lK5v Heinrich Robbe, "allhier zu Erxleben
wohnhaftig, vor einen Richter und Geschwornen über die Dorfschaf¬
ten erwählt und gesetzt, schwört er, daß er nach seinem Verstände
Recht sprechen will." Geschworne und Landsassen, "wenn sie in die



Worte aus dem Eingänge des Gcrichtsprotokolls von IK88.

den Argwohn gebracht, als ob sie ihm seine Kinder vergäbe, soll der
Obrigkeit fünfzehn Gulden entrichten, den beleidigten Theil Abbitte
thun, sich selbst auf's Maul schlagen." Diese Strafart würde
in unserer Zeit besonders auf jene Korrespondenten anzuwenden sein,
die die „gute Presse" als „böswillige", die Leipziger als „hämische"
bezeichnet. Da man so eifrig in dem alten Provinzialgesetzplunder
umherwühlt, den alten Kohl gern wieder aufwärmen möchte, halten
wir's gar nicht für unmöglich, daß in der christlich-germanischen Mo-'
narchie diese Strasart als „historisch begründet" wieder beliebt würde.
Es wäre das eine Vervollkommnung und Ausdehnung der jetzt be¬
stehenden Prügelstrafe, die blos -ni posteriori,, applicirt wird,
und also, wie eine Sorte Berliner Zeitungscorrespondenten der er¬
staunten Welt verkünden wird, „wieder ein großer Fortschritt."

Schon im Jahre 1610 findet sich abermals die Klage, „daß es
mit den gewöhnlichen Gerichtstagen bis daher etwas schläfrig zu¬
gegangen", und diejenigen, so der Gerichtsordnung zuwider gelebt,
nicht allemal mit schuldigen Ernst gestraft werden. Deshalb wird
der Stadtschreiber in NeuhaldcnSleben als Gesammtrichter bestellt, der
strenge strafen soll, „damit räh (immerfort) überhandnehmende Flu¬
chen, Gotteslästerungen, Hurerei und Unzucht abnehmen." Zu seiner
„Ergötzlichkeit, seiner Mühe und Arbeit" wegen wird dem Richter eine
Besoldung von dreißig Thalern zugesagt.

Das Landgericht über die Dörfer des Gerichts Errleben wurde
bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Errleben, „wie
von Alters her gebräuchlich, vor dem Mittelkruge unter freiem
Himmel im Beisein von Richtern, Geschwornen und Landsassen ge¬
hegt." Das Gericht war im Jahre 168? besetzt mit dem Senior
der Familie von Alvensleben, zwei Beamten der von Alvensleben,
mit dem Richter, mit zwei Schoppen und Geschwornen und mit vier
Landsassen aus jedem der fünf Dörfer, also mit zehn Geschwornen
und zwanzig Landsassen, die daher auch die „zwanzig Männer" ge-
nannt werden. Als lK5v Heinrich Robbe, „allhier zu Erxleben
wohnhaftig, vor einen Richter und Geschwornen über die Dorfschaf¬
ten erwählt und gesetzt, schwört er, daß er nach seinem Verstände
Recht sprechen will." Geschworne und Landsassen, „wenn sie in die



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/539>, abgerufen am 28.07.2024.