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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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erfüllen. Der junge weltliche Absolutismus wußte damals die Be¬
schäftigung des Volks mit dem Himmel, mit dem Jenseits geschickt
zu benutzen, um durch die Kirche seine Macht diesseits zu gründen,
wie der alte Absolutismus, ein abgelebter Greis, heute seine welt¬
liche Macht mit Hilfe der Kirche zu erhalten sich abmüht. Die Kirche
ward seit der Reformation zur Magd der weltlichen Obrigkeit her¬
abgewürdigt, seitdem die Kirche um die Gunst der weltlichen Macht
gebuhlt hatte. Man wollte damals und will heute fromme Untertha¬
nen, weil es den Frommen geziemt, gehorsam zu sein.

Wie alle Gerichtsordnungen jener Zeit enthält auch die Err-
lebensche Landgerichtsordnung von 1603 eine starke Beimischung von
moralischen und kirchlich religiösen Geboten. Deutschland war da¬
mals, was es heute, nachdem es aus dem kirchlichen Indifferentis-
mus aufgestört, wieder werden soll, theologisch geworden. Es wird
den Bauern nicht nur das Raufen, Saufen und Schlagen verboten,
sondern es wird der Kirchenbesuch bei zwei Groschen Strafe an den
Gotteskasten und besonderer "willkürlicher Strafe, zum wenigsten Ge¬
fängniß" geboten. Dabeiwird den "Frommen und Gehorsamer" besondrer
Schutz zugesichert, wie sie heute in der christlich-germanischen Monarchie bei
Beförderungen besonders berücksichtigt werden. Wer aber diese Ordnung
"verachten und sich nicht darnach richten" würde, dcrsoll"an GutundBlut"
gestraft werden. Man war damals wie heute bemüht, durch Frömmig¬
keit, durch Heiligung der Feiertage, durch den Kirchenbesuch sich ge¬
horsame Unterthanen zu erziehen. Frömmigkeit und Gehorsam wer¬
den in diesen alten Ordnungen als Cardinaltugenden obenan gestellt.
Nachdem der Kirchenbesuch geboten, wird sogleich verordnet, daß je¬
der seinen "gebietenden Junker", die "von Gott geordnete Obrigkeit"
in Ehren halten solle. Deutlich tritt das Bestreben des Junkerthumö
hervor, seiner angemaßten Willkürherrschaft mit Hilfe der Kirche Ach¬
tung und Gehorsam zu verschaffen.

Unter den mancherlei Polizeivorschriften jener Gerichtsordnung
findet sich auch folgende Bestimmung: "Wer einen anderen an seinen
Ehren schilt und es nicht beweisen kann, soll den Junkern drei Gul¬
den Strafe geben, oder in's Halseisen geschlagen werden, dem Be¬
leidigten ein Abbild thun, sich auch zugleich selbsten uf's Maul
schlagen." Nach dem Gerichtsprotokolle von 1650 wurde wirklich
dahin entschieden: "Beklagter, überwiesen, daß er auf Klägers Frau


erfüllen. Der junge weltliche Absolutismus wußte damals die Be¬
schäftigung des Volks mit dem Himmel, mit dem Jenseits geschickt
zu benutzen, um durch die Kirche seine Macht diesseits zu gründen,
wie der alte Absolutismus, ein abgelebter Greis, heute seine welt¬
liche Macht mit Hilfe der Kirche zu erhalten sich abmüht. Die Kirche
ward seit der Reformation zur Magd der weltlichen Obrigkeit her¬
abgewürdigt, seitdem die Kirche um die Gunst der weltlichen Macht
gebuhlt hatte. Man wollte damals und will heute fromme Untertha¬
nen, weil es den Frommen geziemt, gehorsam zu sein.

Wie alle Gerichtsordnungen jener Zeit enthält auch die Err-
lebensche Landgerichtsordnung von 1603 eine starke Beimischung von
moralischen und kirchlich religiösen Geboten. Deutschland war da¬
mals, was es heute, nachdem es aus dem kirchlichen Indifferentis-
mus aufgestört, wieder werden soll, theologisch geworden. Es wird
den Bauern nicht nur das Raufen, Saufen und Schlagen verboten,
sondern es wird der Kirchenbesuch bei zwei Groschen Strafe an den
Gotteskasten und besonderer „willkürlicher Strafe, zum wenigsten Ge¬
fängniß" geboten. Dabeiwird den „Frommen und Gehorsamer" besondrer
Schutz zugesichert, wie sie heute in der christlich-germanischen Monarchie bei
Beförderungen besonders berücksichtigt werden. Wer aber diese Ordnung
„verachten und sich nicht darnach richten" würde, dcrsoll„an GutundBlut"
gestraft werden. Man war damals wie heute bemüht, durch Frömmig¬
keit, durch Heiligung der Feiertage, durch den Kirchenbesuch sich ge¬
horsame Unterthanen zu erziehen. Frömmigkeit und Gehorsam wer¬
den in diesen alten Ordnungen als Cardinaltugenden obenan gestellt.
Nachdem der Kirchenbesuch geboten, wird sogleich verordnet, daß je¬
der seinen „gebietenden Junker", die „von Gott geordnete Obrigkeit"
in Ehren halten solle. Deutlich tritt das Bestreben des Junkerthumö
hervor, seiner angemaßten Willkürherrschaft mit Hilfe der Kirche Ach¬
tung und Gehorsam zu verschaffen.

Unter den mancherlei Polizeivorschriften jener Gerichtsordnung
findet sich auch folgende Bestimmung: „Wer einen anderen an seinen
Ehren schilt und es nicht beweisen kann, soll den Junkern drei Gul¬
den Strafe geben, oder in's Halseisen geschlagen werden, dem Be¬
leidigten ein Abbild thun, sich auch zugleich selbsten uf's Maul
schlagen." Nach dem Gerichtsprotokolle von 1650 wurde wirklich
dahin entschieden: „Beklagter, überwiesen, daß er auf Klägers Frau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/538>, abgerufen am 28.07.2024.