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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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so die feste Grundlage des Staats, die allein in der Volksstärke
liegt, aufgelockert und geschwächt werden muß? Hatte sich der mäch¬
tige Keil der Volksstärke in diesem Jahrhunderte nicht herrlich be¬
währt, indem dadurch die Phalangen der französischen Eroberungs¬
macht gespalten und auseinandergetrieben wurden? Glaubt man,
diesen Keil in Friedenszeiten ungestraft zersplittern zu können, um
Schulbakel -- oder vielleicht Ladestocke daraus zu machen, die sich
blos nach Commando bewegen? -- Welcher Familienvater wird
denn immer die Ruthe zu brauchen wünschen und dadurch am
besten für seine Wirthschaft zu sorgen glauben, wenn er seine Söhne
in steter Unmündigkeit, Schwäche und Unwissenheit erhält und so
niemals die Bürde der Erziehung abwirft? -- Und wußte man
denn damals nicht, daß selbst Kinder nicht am besten durch ewige
Verbote und Beschränkungen erzogen werden, daß ein Verbot, dessen
Nützlichkeit nicht in die Augen springt, nur zur Uebertretung reizt,
besonders wenn die verbotene Sache an sich gut ist und nur durch
Mißbrauch verderblich werden kann? -- Oder, sollte man mit ver¬
steckter Schlauheit den Reiz deS Verbots absichtlich zu dem geheimen
Zwecke benutzt haben, die verbotenen Dinge -- die verschiedenen
Sorten von Freiheit, dem Volke recht theuer und werth zu machen
und zur heimlichen Verbreitung zu reizen? -- Diese Hypothese er¬
klärt vielleicht die Unbegreiflichkeit jener Maßregeln; sonst wußte man
damals gewiß eben so gut wie jetzt, daß, wenn der Gehorsam durch
tausend unnütze Verordnungen erschwert wird, man sich genöthiget
sieht, die Strafe des Ungehorsams durch abermal tausend Gesetze
zu schärfen und daß dadurch eine tumultuarische Gesetzgebung ent¬
steht, die wie alles Tumultuarische zu nichts Gutem führt." --

Wahrscheinlicher ist eine andere Hypothese. Es war damals
eine gewisse Heilmethode beliebt, die man die homöopathische nannte
und deren Princip darin bestand, das Aehnliche durch Aehnliches
zu curiren. Vielleicht befolgte man damals diesen Grundsatz in der
Staatshcilkunde, indem man die Unzufriedenheit über politische Be¬
schränkungen durch noch engere Beschränkungen zu beseitigen suchte.

"Aber wenn die damaligen Staatsärzte nach dieser Analogie
verfuhren, so hätten sie der homöopathischen Methode gemäß, ihre Ga¬
ben nicht so stark wählen, sondern mehr verdünnen sollen. Man
kann allerdings die Symptome einer Krankheit durch Gewaltmittel


so die feste Grundlage des Staats, die allein in der Volksstärke
liegt, aufgelockert und geschwächt werden muß? Hatte sich der mäch¬
tige Keil der Volksstärke in diesem Jahrhunderte nicht herrlich be¬
währt, indem dadurch die Phalangen der französischen Eroberungs¬
macht gespalten und auseinandergetrieben wurden? Glaubt man,
diesen Keil in Friedenszeiten ungestraft zersplittern zu können, um
Schulbakel — oder vielleicht Ladestocke daraus zu machen, die sich
blos nach Commando bewegen? — Welcher Familienvater wird
denn immer die Ruthe zu brauchen wünschen und dadurch am
besten für seine Wirthschaft zu sorgen glauben, wenn er seine Söhne
in steter Unmündigkeit, Schwäche und Unwissenheit erhält und so
niemals die Bürde der Erziehung abwirft? — Und wußte man
denn damals nicht, daß selbst Kinder nicht am besten durch ewige
Verbote und Beschränkungen erzogen werden, daß ein Verbot, dessen
Nützlichkeit nicht in die Augen springt, nur zur Uebertretung reizt,
besonders wenn die verbotene Sache an sich gut ist und nur durch
Mißbrauch verderblich werden kann? — Oder, sollte man mit ver¬
steckter Schlauheit den Reiz deS Verbots absichtlich zu dem geheimen
Zwecke benutzt haben, die verbotenen Dinge — die verschiedenen
Sorten von Freiheit, dem Volke recht theuer und werth zu machen
und zur heimlichen Verbreitung zu reizen? — Diese Hypothese er¬
klärt vielleicht die Unbegreiflichkeit jener Maßregeln; sonst wußte man
damals gewiß eben so gut wie jetzt, daß, wenn der Gehorsam durch
tausend unnütze Verordnungen erschwert wird, man sich genöthiget
sieht, die Strafe des Ungehorsams durch abermal tausend Gesetze
zu schärfen und daß dadurch eine tumultuarische Gesetzgebung ent¬
steht, die wie alles Tumultuarische zu nichts Gutem führt." —

Wahrscheinlicher ist eine andere Hypothese. Es war damals
eine gewisse Heilmethode beliebt, die man die homöopathische nannte
und deren Princip darin bestand, das Aehnliche durch Aehnliches
zu curiren. Vielleicht befolgte man damals diesen Grundsatz in der
Staatshcilkunde, indem man die Unzufriedenheit über politische Be¬
schränkungen durch noch engere Beschränkungen zu beseitigen suchte.

„Aber wenn die damaligen Staatsärzte nach dieser Analogie
verfuhren, so hätten sie der homöopathischen Methode gemäß, ihre Ga¬
ben nicht so stark wählen, sondern mehr verdünnen sollen. Man
kann allerdings die Symptome einer Krankheit durch Gewaltmittel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/534>, abgerufen am 28.07.2024.