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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Auch der Geschichte waren in vieler Beziehung bei ihrem Vortrage
die Hände gebunden und der Mund geschlossen. Die Historiker er¬
hielten in manchen Staaten die Verwarnung, nichts Nachtheiliges
von den hohen Vorfahren der Regenten-Familie und von den mit
ihr befreundeten auswärtigen Höfen zu berichten, denn solche Be¬
richte gehörten in die Kategorie der Majestätsbeleidigung. Auf hohen
Befehl wurde in manchen katholischen Schulen aus den Lehrbüchern
der Geschichte die ganze Reformationszeit, als unberechtigt zu einer
geschichtlichen Stellung, verbannt und Alles, was dem Romanismus
nicht anständig war, durch dicke Censurstriche getilgt; was freilich
bequemer war, als unbestreitbare Thatsachen widerlegen. Ueberhaupt
sollte die Geschichte ihre Lehren nach dem in jedem Staate herrschen¬
den theologischen und politischen Dogma einrichten.

"Oeöitt ^uclilvus ^.potui,") wird die Nachwelt sagen. "Es ist
nicht möglich, daß die Gewalthaber des 19. Jahrhunderts, deren
Weisheit man doch in anderer Beziehung rühmt, sich durch solche
Maßregeln zugleich verhaßt und lächerlich sollten gemacht haben.
Wußten sie nicht, daß die Weltgeschichte das Weltgericht ist? Wel¬
cher Thor wird diesem furchtbaren Gerichte die Sentenz vorschreiben
wollen, die es aussprechen soll? -- Müßte er nicht fürchten, zur
Strafe dieses Frevels von den Donnern dieses Urtheilsspruchs zer¬
malmt zu werden? Und überhaupt, wie konnten denn die damaligen
klugen Staatslenker, die doch über die ganze Staatsgewalt zu ge¬
bieten hatten, um Ruhe und Ordnung im Lande zu erhalten, zu so
kleinlichen Maßregeln ihre Zuflucht nehmen, um Friedensstörungen
zu vermeiden, die ohnehin nicht zu besorgen waren?" --

Wie gesagt, die Furcht vor Ruhestörungen und Volksaufregun¬
gen war zur fixen Idee geworden, deswegen zitterte man vor jeder
freien Bewegung des Volks und suchte es in Unmündigkeit zu er¬
halten, um es gleichsam am Bändchen zu führen und nach Belieben
leiten zu können. Die guten deutschen Fürsten thaten das Alles aber
aus wahrer Sorgfalt für das Wohl ihres Volkes, das sie väterlich
nebten. Demnach war die Liebe eigentlich an allen jenen scheinbar
despotischen Maßregeln Schuld.
"

"Aber, werden unsere Enkel sagen, "haben denn die damaligen
Gewalthaber nicht bedacht, daß durch diese Staatspädagogik die
"Selbständigkeit "ut Selbstthätigkeit des Volkes gründlich zerstört und


Wrenzbpten 18/./,. ,,. ^

Auch der Geschichte waren in vieler Beziehung bei ihrem Vortrage
die Hände gebunden und der Mund geschlossen. Die Historiker er¬
hielten in manchen Staaten die Verwarnung, nichts Nachtheiliges
von den hohen Vorfahren der Regenten-Familie und von den mit
ihr befreundeten auswärtigen Höfen zu berichten, denn solche Be¬
richte gehörten in die Kategorie der Majestätsbeleidigung. Auf hohen
Befehl wurde in manchen katholischen Schulen aus den Lehrbüchern
der Geschichte die ganze Reformationszeit, als unberechtigt zu einer
geschichtlichen Stellung, verbannt und Alles, was dem Romanismus
nicht anständig war, durch dicke Censurstriche getilgt; was freilich
bequemer war, als unbestreitbare Thatsachen widerlegen. Ueberhaupt
sollte die Geschichte ihre Lehren nach dem in jedem Staate herrschen¬
den theologischen und politischen Dogma einrichten.

„Oeöitt ^uclilvus ^.potui,") wird die Nachwelt sagen. „Es ist
nicht möglich, daß die Gewalthaber des 19. Jahrhunderts, deren
Weisheit man doch in anderer Beziehung rühmt, sich durch solche
Maßregeln zugleich verhaßt und lächerlich sollten gemacht haben.
Wußten sie nicht, daß die Weltgeschichte das Weltgericht ist? Wel¬
cher Thor wird diesem furchtbaren Gerichte die Sentenz vorschreiben
wollen, die es aussprechen soll? — Müßte er nicht fürchten, zur
Strafe dieses Frevels von den Donnern dieses Urtheilsspruchs zer¬
malmt zu werden? Und überhaupt, wie konnten denn die damaligen
klugen Staatslenker, die doch über die ganze Staatsgewalt zu ge¬
bieten hatten, um Ruhe und Ordnung im Lande zu erhalten, zu so
kleinlichen Maßregeln ihre Zuflucht nehmen, um Friedensstörungen
zu vermeiden, die ohnehin nicht zu besorgen waren?" —

Wie gesagt, die Furcht vor Ruhestörungen und Volksaufregun¬
gen war zur fixen Idee geworden, deswegen zitterte man vor jeder
freien Bewegung des Volks und suchte es in Unmündigkeit zu er¬
halten, um es gleichsam am Bändchen zu führen und nach Belieben
leiten zu können. Die guten deutschen Fürsten thaten das Alles aber
aus wahrer Sorgfalt für das Wohl ihres Volkes, das sie väterlich
nebten. Demnach war die Liebe eigentlich an allen jenen scheinbar
despotischen Maßregeln Schuld.
"

„Aber, werden unsere Enkel sagen, „haben denn die damaligen
Gewalthaber nicht bedacht, daß durch diese Staatspädagogik die
«Selbständigkeit »ut Selbstthätigkeit des Volkes gründlich zerstört und


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[0533] Auch der Geschichte waren in vieler Beziehung bei ihrem Vortrage die Hände gebunden und der Mund geschlossen. Die Historiker er¬ hielten in manchen Staaten die Verwarnung, nichts Nachtheiliges von den hohen Vorfahren der Regenten-Familie und von den mit ihr befreundeten auswärtigen Höfen zu berichten, denn solche Be¬ richte gehörten in die Kategorie der Majestätsbeleidigung. Auf hohen Befehl wurde in manchen katholischen Schulen aus den Lehrbüchern der Geschichte die ganze Reformationszeit, als unberechtigt zu einer geschichtlichen Stellung, verbannt und Alles, was dem Romanismus nicht anständig war, durch dicke Censurstriche getilgt; was freilich bequemer war, als unbestreitbare Thatsachen widerlegen. Ueberhaupt sollte die Geschichte ihre Lehren nach dem in jedem Staate herrschen¬ den theologischen und politischen Dogma einrichten. „Oeöitt ^uclilvus ^.potui,") wird die Nachwelt sagen. „Es ist nicht möglich, daß die Gewalthaber des 19. Jahrhunderts, deren Weisheit man doch in anderer Beziehung rühmt, sich durch solche Maßregeln zugleich verhaßt und lächerlich sollten gemacht haben. Wußten sie nicht, daß die Weltgeschichte das Weltgericht ist? Wel¬ cher Thor wird diesem furchtbaren Gerichte die Sentenz vorschreiben wollen, die es aussprechen soll? — Müßte er nicht fürchten, zur Strafe dieses Frevels von den Donnern dieses Urtheilsspruchs zer¬ malmt zu werden? Und überhaupt, wie konnten denn die damaligen klugen Staatslenker, die doch über die ganze Staatsgewalt zu ge¬ bieten hatten, um Ruhe und Ordnung im Lande zu erhalten, zu so kleinlichen Maßregeln ihre Zuflucht nehmen, um Friedensstörungen zu vermeiden, die ohnehin nicht zu besorgen waren?" — Wie gesagt, die Furcht vor Ruhestörungen und Volksaufregun¬ gen war zur fixen Idee geworden, deswegen zitterte man vor jeder freien Bewegung des Volks und suchte es in Unmündigkeit zu er¬ halten, um es gleichsam am Bändchen zu führen und nach Belieben leiten zu können. Die guten deutschen Fürsten thaten das Alles aber aus wahrer Sorgfalt für das Wohl ihres Volkes, das sie väterlich nebten. Demnach war die Liebe eigentlich an allen jenen scheinbar despotischen Maßregeln Schuld. " „Aber, werden unsere Enkel sagen, „haben denn die damaligen Gewalthaber nicht bedacht, daß durch diese Staatspädagogik die «Selbständigkeit »ut Selbstthätigkeit des Volkes gründlich zerstört und Wrenzbpten 18/./,. ,,. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/533>, abgerufen am 01.09.2024.