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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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"Aber viele der damaligen Regenten waren doch durch ihre
Volkssreundlichkeit bekannt und liebten ihre Unterthanen wie ein Va^
ter seine Kinder."

Das war eben das Unglück. Der Grund gar vieler beschrän¬
kenden Maßregeln lag in der übergroßen Sorgfalt der damaligen
Regierungen für ihre Unterthanen, die man wie unmündige Kinder
hegte und pflegte und, damit sie nicht straucheln und fallen möchten,
überall mit den Leitbändern büreaukratischer Formen gängelte und
durch eine hundertäugige Gouvernante, Polizei genannt, beaufsichtigte.
Wie Eltern und Erzieher in Ansehung der Nahrung eines Kindes
sehr strenge sind, so machten sich die deutschen Regierungen eine
gleiche Strenge in Bezug auf die geistige Nahrung ihrer Landeskin-
der zur Pflicht und suchten Alles zu entfernen, Was böse Säfte ma¬
chen konnte oder schwer verdaulich schien. Diese abgemessene geistige
Diät hielt man besonders für nothwendig wegen der krankhaften Zu¬
stände der Zeit, von welchen man überall Symptome zu sehen glaubte.
Man fürchtete überall die Fortschritte einer bösen Influenza, mit de¬
ren Gift die politische Atmosphäre geschwängert sein sollte. Deswe¬
gen errichtete man häufig Cordons und Schlagbäume und verordnete
Grenz-, Thor- und Mundsperren gegen das Einathmen der bösen
Luft. Ein wallachischer Bojar war nach Deutschland gekommen
und hatte die Entdeckung gemacht, daß die deutschen Universitäten,
diese alten befestigten Colonialstädte der Reformation, die Laboratorien
wären, wo eine revolutionäre Knallluft bereitet würde; und er grün¬
dete darauf eine incriminirende Denunciation dieser Anstalten, die
auch wirklich bei den hohen Kuratoren derselben Eingang fand. Er¬
schrocken über diese unerwartete Entdeckung, beeilte man sich dem
wilden, ungezähnten, akademischen Pegasus einen tüchtigen Kappzaum
anzulegen, damit er ablasse von seinen bedenklichen Sprüngen. Frei¬
sinnige Lehrer wurden entfernt oder doch in ihren Norträgen beschränkt
und beaufsichtiget. Der geistige Vorkämpfer in dem deutschen Be¬
freiungskriege, Arndt, mußte verstummen, der Historiker Luden durfte
keine Politik, der Philosoph Fries keine Philosophie vortragen. So
Mg die einzige Freiheit, welche seit Jahrhunderten in Deutschland



*) Stourdza.

„Aber viele der damaligen Regenten waren doch durch ihre
Volkssreundlichkeit bekannt und liebten ihre Unterthanen wie ein Va^
ter seine Kinder."

Das war eben das Unglück. Der Grund gar vieler beschrän¬
kenden Maßregeln lag in der übergroßen Sorgfalt der damaligen
Regierungen für ihre Unterthanen, die man wie unmündige Kinder
hegte und pflegte und, damit sie nicht straucheln und fallen möchten,
überall mit den Leitbändern büreaukratischer Formen gängelte und
durch eine hundertäugige Gouvernante, Polizei genannt, beaufsichtigte.
Wie Eltern und Erzieher in Ansehung der Nahrung eines Kindes
sehr strenge sind, so machten sich die deutschen Regierungen eine
gleiche Strenge in Bezug auf die geistige Nahrung ihrer Landeskin-
der zur Pflicht und suchten Alles zu entfernen, Was böse Säfte ma¬
chen konnte oder schwer verdaulich schien. Diese abgemessene geistige
Diät hielt man besonders für nothwendig wegen der krankhaften Zu¬
stände der Zeit, von welchen man überall Symptome zu sehen glaubte.
Man fürchtete überall die Fortschritte einer bösen Influenza, mit de¬
ren Gift die politische Atmosphäre geschwängert sein sollte. Deswe¬
gen errichtete man häufig Cordons und Schlagbäume und verordnete
Grenz-, Thor- und Mundsperren gegen das Einathmen der bösen
Luft. Ein wallachischer Bojar war nach Deutschland gekommen
und hatte die Entdeckung gemacht, daß die deutschen Universitäten,
diese alten befestigten Colonialstädte der Reformation, die Laboratorien
wären, wo eine revolutionäre Knallluft bereitet würde; und er grün¬
dete darauf eine incriminirende Denunciation dieser Anstalten, die
auch wirklich bei den hohen Kuratoren derselben Eingang fand. Er¬
schrocken über diese unerwartete Entdeckung, beeilte man sich dem
wilden, ungezähnten, akademischen Pegasus einen tüchtigen Kappzaum
anzulegen, damit er ablasse von seinen bedenklichen Sprüngen. Frei¬
sinnige Lehrer wurden entfernt oder doch in ihren Norträgen beschränkt
und beaufsichtiget. Der geistige Vorkämpfer in dem deutschen Be¬
freiungskriege, Arndt, mußte verstummen, der Historiker Luden durfte
keine Politik, der Philosoph Fries keine Philosophie vortragen. So
Mg die einzige Freiheit, welche seit Jahrhunderten in Deutschland



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[0531] „Aber viele der damaligen Regenten waren doch durch ihre Volkssreundlichkeit bekannt und liebten ihre Unterthanen wie ein Va^ ter seine Kinder." Das war eben das Unglück. Der Grund gar vieler beschrän¬ kenden Maßregeln lag in der übergroßen Sorgfalt der damaligen Regierungen für ihre Unterthanen, die man wie unmündige Kinder hegte und pflegte und, damit sie nicht straucheln und fallen möchten, überall mit den Leitbändern büreaukratischer Formen gängelte und durch eine hundertäugige Gouvernante, Polizei genannt, beaufsichtigte. Wie Eltern und Erzieher in Ansehung der Nahrung eines Kindes sehr strenge sind, so machten sich die deutschen Regierungen eine gleiche Strenge in Bezug auf die geistige Nahrung ihrer Landeskin- der zur Pflicht und suchten Alles zu entfernen, Was böse Säfte ma¬ chen konnte oder schwer verdaulich schien. Diese abgemessene geistige Diät hielt man besonders für nothwendig wegen der krankhaften Zu¬ stände der Zeit, von welchen man überall Symptome zu sehen glaubte. Man fürchtete überall die Fortschritte einer bösen Influenza, mit de¬ ren Gift die politische Atmosphäre geschwängert sein sollte. Deswe¬ gen errichtete man häufig Cordons und Schlagbäume und verordnete Grenz-, Thor- und Mundsperren gegen das Einathmen der bösen Luft. Ein wallachischer Bojar war nach Deutschland gekommen und hatte die Entdeckung gemacht, daß die deutschen Universitäten, diese alten befestigten Colonialstädte der Reformation, die Laboratorien wären, wo eine revolutionäre Knallluft bereitet würde; und er grün¬ dete darauf eine incriminirende Denunciation dieser Anstalten, die auch wirklich bei den hohen Kuratoren derselben Eingang fand. Er¬ schrocken über diese unerwartete Entdeckung, beeilte man sich dem wilden, ungezähnten, akademischen Pegasus einen tüchtigen Kappzaum anzulegen, damit er ablasse von seinen bedenklichen Sprüngen. Frei¬ sinnige Lehrer wurden entfernt oder doch in ihren Norträgen beschränkt und beaufsichtiget. Der geistige Vorkämpfer in dem deutschen Be¬ freiungskriege, Arndt, mußte verstummen, der Historiker Luden durfte keine Politik, der Philosoph Fries keine Philosophie vortragen. So Mg die einzige Freiheit, welche seit Jahrhunderten in Deutschland *) Stourdza.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/531>, abgerufen am 01.09.2024.