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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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sang stand ein gleichzeitiger Proceß in einem anderen Lande. Aus
dem schauderhaften Jnquisitionsdunkel dieses Processes gingen Resul¬
tate hervor, die sich im Licht des 19. Jahrhunderts wunderbar aus-
nahmen und Entsetzen erregten; nämlich der schaudervolle Tod des
einen Inquisiten, der Wahnsinn des zweiten und der zerrüttete Ge¬
sundheitszustand Anderer. Dabei kam ein von Oben geleitetes
Spionirsystem an. den Tag, das an Niederträchtigkeit seines Glei¬
chen suchte.

"Aber waren denn die damaligen Gerichte so grausam?"

Ach nein; der Fehler lag in dem geheimen Jnquisttionsverfah-
ren; und gegen politische Verbrecher, diese entsetzlichen Ungeheuer,
glaubte man schon weniger Rücksicht nöthig zu haben, als gegen
Andere, die mitunter recht liberal behandelt wurden. So sprach z. B.
"in deutsches OberappellationSgericht einen Mörder, der seinem Opfer
einen Schlag und dann einen tödtlichen Schnitt in die Kehle bei¬
gebracht hatte, frei, weil la der Schlag vielleicht nicht tödtlich gewesen
sei, der Schnitt aber, vielleicht an einer Leiche verübt, keine Absicht
zu tödten voraussetze. -- Wäre der Kerl ein politischer Verbrecher
gewesen, der nur von der Möglichkeit gesprochen hätte, dem Despo¬
tismus einen Schlag zu versetzen oder einen Schnitt beizubringen, er
wäre vielleicht so gut nicht weggekommen. --

"Aber' waren denn die Blicke, die man seit Voltaire'S Schrift über
den an Calas begangenen Justizmord in die schaudervollen Abgründe
der geheimen Criminaljustiz gethan, nicht abschreckend genug gewesen,
um dieses Verfahren zu verlassen und an die Stelle der geheimen
Inquisition Oeffentlichkeit und Mündltchkeit des gerichtlichen Verfah¬
rens zu setzen?" --

Die deutschen Beamten waren damals noch durch jahrhundert¬
lange Observanz so sehr an das Geheime gewohnt, daß sie bei der
bloßen Vorstellung von Oeffentlichkeit und Mündlichkeit wie vor
einem Gespenste erschracken und den Untergang alles Rechts und
aller Gerechtigkeit darin sahen, wenn das Ungewaschene Maul des
Volks in einer Jury sich öffnen und ein Urtheil aussprechen sollte.
Man fürchtete damals die Publicität in jeder Beziehung, und viele
Beamte, die Nichts we'inger als Volksfreunde waren, mochten auch
wohl Ursache haben, sie zu fürchten.


sang stand ein gleichzeitiger Proceß in einem anderen Lande. Aus
dem schauderhaften Jnquisitionsdunkel dieses Processes gingen Resul¬
tate hervor, die sich im Licht des 19. Jahrhunderts wunderbar aus-
nahmen und Entsetzen erregten; nämlich der schaudervolle Tod des
einen Inquisiten, der Wahnsinn des zweiten und der zerrüttete Ge¬
sundheitszustand Anderer. Dabei kam ein von Oben geleitetes
Spionirsystem an. den Tag, das an Niederträchtigkeit seines Glei¬
chen suchte.

„Aber waren denn die damaligen Gerichte so grausam?"

Ach nein; der Fehler lag in dem geheimen Jnquisttionsverfah-
ren; und gegen politische Verbrecher, diese entsetzlichen Ungeheuer,
glaubte man schon weniger Rücksicht nöthig zu haben, als gegen
Andere, die mitunter recht liberal behandelt wurden. So sprach z. B.
«in deutsches OberappellationSgericht einen Mörder, der seinem Opfer
einen Schlag und dann einen tödtlichen Schnitt in die Kehle bei¬
gebracht hatte, frei, weil la der Schlag vielleicht nicht tödtlich gewesen
sei, der Schnitt aber, vielleicht an einer Leiche verübt, keine Absicht
zu tödten voraussetze. — Wäre der Kerl ein politischer Verbrecher
gewesen, der nur von der Möglichkeit gesprochen hätte, dem Despo¬
tismus einen Schlag zu versetzen oder einen Schnitt beizubringen, er
wäre vielleicht so gut nicht weggekommen. —

„Aber' waren denn die Blicke, die man seit Voltaire'S Schrift über
den an Calas begangenen Justizmord in die schaudervollen Abgründe
der geheimen Criminaljustiz gethan, nicht abschreckend genug gewesen,
um dieses Verfahren zu verlassen und an die Stelle der geheimen
Inquisition Oeffentlichkeit und Mündltchkeit des gerichtlichen Verfah¬
rens zu setzen?" —

Die deutschen Beamten waren damals noch durch jahrhundert¬
lange Observanz so sehr an das Geheime gewohnt, daß sie bei der
bloßen Vorstellung von Oeffentlichkeit und Mündlichkeit wie vor
einem Gespenste erschracken und den Untergang alles Rechts und
aller Gerechtigkeit darin sahen, wenn das Ungewaschene Maul des
Volks in einer Jury sich öffnen und ein Urtheil aussprechen sollte.
Man fürchtete damals die Publicität in jeder Beziehung, und viele
Beamte, die Nichts we'inger als Volksfreunde waren, mochten auch
wohl Ursache haben, sie zu fürchten.


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[0530] sang stand ein gleichzeitiger Proceß in einem anderen Lande. Aus dem schauderhaften Jnquisitionsdunkel dieses Processes gingen Resul¬ tate hervor, die sich im Licht des 19. Jahrhunderts wunderbar aus- nahmen und Entsetzen erregten; nämlich der schaudervolle Tod des einen Inquisiten, der Wahnsinn des zweiten und der zerrüttete Ge¬ sundheitszustand Anderer. Dabei kam ein von Oben geleitetes Spionirsystem an. den Tag, das an Niederträchtigkeit seines Glei¬ chen suchte. „Aber waren denn die damaligen Gerichte so grausam?" Ach nein; der Fehler lag in dem geheimen Jnquisttionsverfah- ren; und gegen politische Verbrecher, diese entsetzlichen Ungeheuer, glaubte man schon weniger Rücksicht nöthig zu haben, als gegen Andere, die mitunter recht liberal behandelt wurden. So sprach z. B. «in deutsches OberappellationSgericht einen Mörder, der seinem Opfer einen Schlag und dann einen tödtlichen Schnitt in die Kehle bei¬ gebracht hatte, frei, weil la der Schlag vielleicht nicht tödtlich gewesen sei, der Schnitt aber, vielleicht an einer Leiche verübt, keine Absicht zu tödten voraussetze. — Wäre der Kerl ein politischer Verbrecher gewesen, der nur von der Möglichkeit gesprochen hätte, dem Despo¬ tismus einen Schlag zu versetzen oder einen Schnitt beizubringen, er wäre vielleicht so gut nicht weggekommen. — „Aber' waren denn die Blicke, die man seit Voltaire'S Schrift über den an Calas begangenen Justizmord in die schaudervollen Abgründe der geheimen Criminaljustiz gethan, nicht abschreckend genug gewesen, um dieses Verfahren zu verlassen und an die Stelle der geheimen Inquisition Oeffentlichkeit und Mündltchkeit des gerichtlichen Verfah¬ rens zu setzen?" — Die deutschen Beamten waren damals noch durch jahrhundert¬ lange Observanz so sehr an das Geheime gewohnt, daß sie bei der bloßen Vorstellung von Oeffentlichkeit und Mündlichkeit wie vor einem Gespenste erschracken und den Untergang alles Rechts und aller Gerechtigkeit darin sahen, wenn das Ungewaschene Maul des Volks in einer Jury sich öffnen und ein Urtheil aussprechen sollte. Man fürchtete damals die Publicität in jeder Beziehung, und viele Beamte, die Nichts we'inger als Volksfreunde waren, mochten auch wohl Ursache haben, sie zu fürchten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/530>, abgerufen am 28.07.2024.