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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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würfe der Illegalität, daß sie einige Theilnahme an dem Geschick
dieser edeln Männer gezeigt hatte. -- Man witterte in jener Zeit
überall Demagogen und politische Himmelsstürmer, und an die Stelle
der ehemaligen Herenprocesse traten die politischen Processe. Wie
man sonst eine Here an rothen Augen erkannte, so glaubte
man einen Demagogen oder Revolutionär an einem freien Blick,
der, die gleisnerische Oberfläche durchdringend, auf den Grund der
Wahrheit hinschaute, und an seiner freien Sprache zu erkennen, und
die Liste der Verdächtigen wurde sogleich mit einem neuen Exemplare
vermehrt. In dem dritten Jahrzehend des 19. Jahrhunderts bestand
in Deutschland eine Centralcommission, welche die politischen Ver¬
gehen von 1800--2000 Angeschuldigten ermitteln und bestrafen sollte.
Unsäglicher Jammer wurde durch diese Maßregel in vielen achtbaren
Familien verbreitet und gar manches Lebensglück, manches herrliche
Talent ging unter im Dunkel der Kerkernacht.

Um die wirklichen oder vermeintlichen politischen Verbrecher der
Willkür der Regierungen nicht zu entziehen, wurde nicht mehr ver¬
stattet, auf auswärtigen Universitäten über ihre Vergehen erkennen zu
lassen; dafür wurden sie Richtern übergeben, die von vornherein von
ihrer Schuld überzeugt waren und einen Ehrenpunkt darein setzten,
sie durch Qualen aller Art zum Geständnisse zu bringen.

"Unglaublich, wird man sagen; die Folter war ja damals schon
längst abgeschafft." --

Allerdings, sährt nach unserer Voraussetzung der Referent fort;
die Folter war mit den Ketzergerichten und Herenprocessen abgeschafft,
an deren Stelle traten aber die Tendenzprocesse mit ihrer moralischen
Jnquisitionstortur und der physischen Kerkerfolter. Ein solcher Proceß
machte gegen die Mitte des Jahrhunderts fast in ganz Europa und
selbst in Amerika Aufsehen, nämlich der gegen einen Mann der sich um das
konstitutionelle Leben seines Vaterlandes große Verdienste erworben, aber
eben dadurch und durch seine rücksichtslose Offenheit bei seiner Regierung
verhaßt gemacht hatte. Deshalb wurde er ausdem Grund einer unterlassener
Denunciation angeklagt und vorläufig in den Kerker geworfen, bis
man nach fünf Jahren in den Aussagen von Verbrechern und Schur¬
ken, die man durch Geld und Straflosigkeit zu Zeugen erkauft hatte,
seine Schuld bewiesen zu haben glaubte. Mit diesem im Zusammen-


würfe der Illegalität, daß sie einige Theilnahme an dem Geschick
dieser edeln Männer gezeigt hatte. — Man witterte in jener Zeit
überall Demagogen und politische Himmelsstürmer, und an die Stelle
der ehemaligen Herenprocesse traten die politischen Processe. Wie
man sonst eine Here an rothen Augen erkannte, so glaubte
man einen Demagogen oder Revolutionär an einem freien Blick,
der, die gleisnerische Oberfläche durchdringend, auf den Grund der
Wahrheit hinschaute, und an seiner freien Sprache zu erkennen, und
die Liste der Verdächtigen wurde sogleich mit einem neuen Exemplare
vermehrt. In dem dritten Jahrzehend des 19. Jahrhunderts bestand
in Deutschland eine Centralcommission, welche die politischen Ver¬
gehen von 1800—2000 Angeschuldigten ermitteln und bestrafen sollte.
Unsäglicher Jammer wurde durch diese Maßregel in vielen achtbaren
Familien verbreitet und gar manches Lebensglück, manches herrliche
Talent ging unter im Dunkel der Kerkernacht.

Um die wirklichen oder vermeintlichen politischen Verbrecher der
Willkür der Regierungen nicht zu entziehen, wurde nicht mehr ver¬
stattet, auf auswärtigen Universitäten über ihre Vergehen erkennen zu
lassen; dafür wurden sie Richtern übergeben, die von vornherein von
ihrer Schuld überzeugt waren und einen Ehrenpunkt darein setzten,
sie durch Qualen aller Art zum Geständnisse zu bringen.

„Unglaublich, wird man sagen; die Folter war ja damals schon
längst abgeschafft." —

Allerdings, sährt nach unserer Voraussetzung der Referent fort;
die Folter war mit den Ketzergerichten und Herenprocessen abgeschafft,
an deren Stelle traten aber die Tendenzprocesse mit ihrer moralischen
Jnquisitionstortur und der physischen Kerkerfolter. Ein solcher Proceß
machte gegen die Mitte des Jahrhunderts fast in ganz Europa und
selbst in Amerika Aufsehen, nämlich der gegen einen Mann der sich um das
konstitutionelle Leben seines Vaterlandes große Verdienste erworben, aber
eben dadurch und durch seine rücksichtslose Offenheit bei seiner Regierung
verhaßt gemacht hatte. Deshalb wurde er ausdem Grund einer unterlassener
Denunciation angeklagt und vorläufig in den Kerker geworfen, bis
man nach fünf Jahren in den Aussagen von Verbrechern und Schur¬
ken, die man durch Geld und Straflosigkeit zu Zeugen erkauft hatte,
seine Schuld bewiesen zu haben glaubte. Mit diesem im Zusammen-


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[0529] würfe der Illegalität, daß sie einige Theilnahme an dem Geschick dieser edeln Männer gezeigt hatte. — Man witterte in jener Zeit überall Demagogen und politische Himmelsstürmer, und an die Stelle der ehemaligen Herenprocesse traten die politischen Processe. Wie man sonst eine Here an rothen Augen erkannte, so glaubte man einen Demagogen oder Revolutionär an einem freien Blick, der, die gleisnerische Oberfläche durchdringend, auf den Grund der Wahrheit hinschaute, und an seiner freien Sprache zu erkennen, und die Liste der Verdächtigen wurde sogleich mit einem neuen Exemplare vermehrt. In dem dritten Jahrzehend des 19. Jahrhunderts bestand in Deutschland eine Centralcommission, welche die politischen Ver¬ gehen von 1800—2000 Angeschuldigten ermitteln und bestrafen sollte. Unsäglicher Jammer wurde durch diese Maßregel in vielen achtbaren Familien verbreitet und gar manches Lebensglück, manches herrliche Talent ging unter im Dunkel der Kerkernacht. Um die wirklichen oder vermeintlichen politischen Verbrecher der Willkür der Regierungen nicht zu entziehen, wurde nicht mehr ver¬ stattet, auf auswärtigen Universitäten über ihre Vergehen erkennen zu lassen; dafür wurden sie Richtern übergeben, die von vornherein von ihrer Schuld überzeugt waren und einen Ehrenpunkt darein setzten, sie durch Qualen aller Art zum Geständnisse zu bringen. „Unglaublich, wird man sagen; die Folter war ja damals schon längst abgeschafft." — Allerdings, sährt nach unserer Voraussetzung der Referent fort; die Folter war mit den Ketzergerichten und Herenprocessen abgeschafft, an deren Stelle traten aber die Tendenzprocesse mit ihrer moralischen Jnquisitionstortur und der physischen Kerkerfolter. Ein solcher Proceß machte gegen die Mitte des Jahrhunderts fast in ganz Europa und selbst in Amerika Aufsehen, nämlich der gegen einen Mann der sich um das konstitutionelle Leben seines Vaterlandes große Verdienste erworben, aber eben dadurch und durch seine rücksichtslose Offenheit bei seiner Regierung verhaßt gemacht hatte. Deshalb wurde er ausdem Grund einer unterlassener Denunciation angeklagt und vorläufig in den Kerker geworfen, bis man nach fünf Jahren in den Aussagen von Verbrechern und Schur¬ ken, die man durch Geld und Straflosigkeit zu Zeugen erkauft hatte, seine Schuld bewiesen zu haben glaubte. Mit diesem im Zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/529>, abgerufen am 28.07.2024.