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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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-- Geschichtschreiber und Geschichtsforscher streiten noch immer
über Schuld oder Unschuld des berühmten Friedländers; Förster für
diese, Mailath für jene. Die Beweise des Anklägers und Vertheidi¬
gers mögen gleich scharfsinnig sein. Es kommt aber gar nicht auf
die Thatsachen an, die WaUenstein zur Last gelegt werden. Wallen¬
stein mußte, in den Augen des Kaisers, schuldig, sein, wenn er sich
auch nicht mit Schweden oder Franzosen verband, so wie er in unse¬
ren modernen Augen unschuldig ist, denn WaUenstein war Nichts
weniger als eine Art Burschenschafter des siebzehnten Jahrhunderts.
Wer das nicht glaubt, lese Willkomm's "WaUenstein. Historischer
Roman" (vier Theile. Leipzig, Verlag von Chr. E. Kollmann, 1844);
die Ansichten und Absichten, die der gewaltige Feldherr da in kernigen
und scharfen Worten von Zeit zu Zeit ausspricht, sind ja "Gesinnun¬
gen und Tendenzen", die seit 184(), in etwas courmäßiger Einhüllung,
erlaubt geworden sind. Wallenstein will ein einiges Teutschland, mit
einem starken Kaiser an der Spitze, und sein Streben geht dahin, das
Liedlein "Fürsten zum Land hinaus" eigenmächtig auszuspielen. Wal¬
lenstein will bei Willkomm sogar eine deutsche Flotte. -- In allem
Ernst aber halten wir diese Partien im erwähnten Roman, wo der
Friedländer sich über das heilige römische Reich ausspricht und die
eigenen Plane durchschimmern läßt, bei Weitem für die besten, und
wir möchten nicht einmal mit dem Verfasser darüber rechten, daß er
zuweilen des kaiserlichen Generalissimus Ideen eben so modernisirc,
wie er seine Ausdrucksweise mit alterthümlicher Derbheit zugespitzt hat.
Komisch war uns nur, in einigen halbpolitischen Blattern jene Reden
Wallensteins aus dem Willkomm'schen Roman mit derselben gläubi¬
gen Bestimmtheit und dem Wink zur Darnachachtung citirt zu sehen,
als ob sie in dem Buch eines Geschichtsforschers gestanden hätten.--
Der Verfasser hat übrigens seinen Roman zwei Grafen von Walostein-
Wartenbcrg gewidmet. Möge das Buch sie trösten, falls sie den lang¬
wierigen Proceß, den sie als Erben des Friedländers um die confis-
cirten Güter desselben mit dem kaiserlichen Fiscus führen, verlieren
sollten.

-- Die Verdrehungskunst ist ein so allgemeines Laster geworden,
daß man ihr vor Allem in jenen großen Zeitungen begegnet, die sonst
auf die geschminkte Gewissenslosigkeit und französische Ungründlichkeit
der kleinen Blätter am rigorösesten zu sprechen sind. Wir müssen
dieses Mal ein Exempel aus der Augsburger Allgemeinen citiren.
Dort wirft ein Wiener Eiferer für Tengoboröki gegen.Wicsner so
beiläufig hin: ein Corrcspondenr der Grenzboten habe behauptet, "die
Russen hatten den Communismus erfunden." O Pater
Lamormain, wenn Sie künftig eine kleine Bosheit üben wollen, ma-


— Geschichtschreiber und Geschichtsforscher streiten noch immer
über Schuld oder Unschuld des berühmten Friedländers; Förster für
diese, Mailath für jene. Die Beweise des Anklägers und Vertheidi¬
gers mögen gleich scharfsinnig sein. Es kommt aber gar nicht auf
die Thatsachen an, die WaUenstein zur Last gelegt werden. Wallen¬
stein mußte, in den Augen des Kaisers, schuldig, sein, wenn er sich
auch nicht mit Schweden oder Franzosen verband, so wie er in unse¬
ren modernen Augen unschuldig ist, denn WaUenstein war Nichts
weniger als eine Art Burschenschafter des siebzehnten Jahrhunderts.
Wer das nicht glaubt, lese Willkomm's „WaUenstein. Historischer
Roman" (vier Theile. Leipzig, Verlag von Chr. E. Kollmann, 1844);
die Ansichten und Absichten, die der gewaltige Feldherr da in kernigen
und scharfen Worten von Zeit zu Zeit ausspricht, sind ja „Gesinnun¬
gen und Tendenzen", die seit 184(), in etwas courmäßiger Einhüllung,
erlaubt geworden sind. Wallenstein will ein einiges Teutschland, mit
einem starken Kaiser an der Spitze, und sein Streben geht dahin, das
Liedlein „Fürsten zum Land hinaus" eigenmächtig auszuspielen. Wal¬
lenstein will bei Willkomm sogar eine deutsche Flotte. — In allem
Ernst aber halten wir diese Partien im erwähnten Roman, wo der
Friedländer sich über das heilige römische Reich ausspricht und die
eigenen Plane durchschimmern läßt, bei Weitem für die besten, und
wir möchten nicht einmal mit dem Verfasser darüber rechten, daß er
zuweilen des kaiserlichen Generalissimus Ideen eben so modernisirc,
wie er seine Ausdrucksweise mit alterthümlicher Derbheit zugespitzt hat.
Komisch war uns nur, in einigen halbpolitischen Blattern jene Reden
Wallensteins aus dem Willkomm'schen Roman mit derselben gläubi¬
gen Bestimmtheit und dem Wink zur Darnachachtung citirt zu sehen,
als ob sie in dem Buch eines Geschichtsforschers gestanden hätten.—
Der Verfasser hat übrigens seinen Roman zwei Grafen von Walostein-
Wartenbcrg gewidmet. Möge das Buch sie trösten, falls sie den lang¬
wierigen Proceß, den sie als Erben des Friedländers um die confis-
cirten Güter desselben mit dem kaiserlichen Fiscus führen, verlieren
sollten.

— Die Verdrehungskunst ist ein so allgemeines Laster geworden,
daß man ihr vor Allem in jenen großen Zeitungen begegnet, die sonst
auf die geschminkte Gewissenslosigkeit und französische Ungründlichkeit
der kleinen Blätter am rigorösesten zu sprechen sind. Wir müssen
dieses Mal ein Exempel aus der Augsburger Allgemeinen citiren.
Dort wirft ein Wiener Eiferer für Tengoboröki gegen.Wicsner so
beiläufig hin: ein Corrcspondenr der Grenzboten habe behauptet, „die
Russen hatten den Communismus erfunden." O Pater
Lamormain, wenn Sie künftig eine kleine Bosheit üben wollen, ma-


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[0520] — Geschichtschreiber und Geschichtsforscher streiten noch immer über Schuld oder Unschuld des berühmten Friedländers; Förster für diese, Mailath für jene. Die Beweise des Anklägers und Vertheidi¬ gers mögen gleich scharfsinnig sein. Es kommt aber gar nicht auf die Thatsachen an, die WaUenstein zur Last gelegt werden. Wallen¬ stein mußte, in den Augen des Kaisers, schuldig, sein, wenn er sich auch nicht mit Schweden oder Franzosen verband, so wie er in unse¬ ren modernen Augen unschuldig ist, denn WaUenstein war Nichts weniger als eine Art Burschenschafter des siebzehnten Jahrhunderts. Wer das nicht glaubt, lese Willkomm's „WaUenstein. Historischer Roman" (vier Theile. Leipzig, Verlag von Chr. E. Kollmann, 1844); die Ansichten und Absichten, die der gewaltige Feldherr da in kernigen und scharfen Worten von Zeit zu Zeit ausspricht, sind ja „Gesinnun¬ gen und Tendenzen", die seit 184(), in etwas courmäßiger Einhüllung, erlaubt geworden sind. Wallenstein will ein einiges Teutschland, mit einem starken Kaiser an der Spitze, und sein Streben geht dahin, das Liedlein „Fürsten zum Land hinaus" eigenmächtig auszuspielen. Wal¬ lenstein will bei Willkomm sogar eine deutsche Flotte. — In allem Ernst aber halten wir diese Partien im erwähnten Roman, wo der Friedländer sich über das heilige römische Reich ausspricht und die eigenen Plane durchschimmern läßt, bei Weitem für die besten, und wir möchten nicht einmal mit dem Verfasser darüber rechten, daß er zuweilen des kaiserlichen Generalissimus Ideen eben so modernisirc, wie er seine Ausdrucksweise mit alterthümlicher Derbheit zugespitzt hat. Komisch war uns nur, in einigen halbpolitischen Blattern jene Reden Wallensteins aus dem Willkomm'schen Roman mit derselben gläubi¬ gen Bestimmtheit und dem Wink zur Darnachachtung citirt zu sehen, als ob sie in dem Buch eines Geschichtsforschers gestanden hätten.— Der Verfasser hat übrigens seinen Roman zwei Grafen von Walostein- Wartenbcrg gewidmet. Möge das Buch sie trösten, falls sie den lang¬ wierigen Proceß, den sie als Erben des Friedländers um die confis- cirten Güter desselben mit dem kaiserlichen Fiscus führen, verlieren sollten. — Die Verdrehungskunst ist ein so allgemeines Laster geworden, daß man ihr vor Allem in jenen großen Zeitungen begegnet, die sonst auf die geschminkte Gewissenslosigkeit und französische Ungründlichkeit der kleinen Blätter am rigorösesten zu sprechen sind. Wir müssen dieses Mal ein Exempel aus der Augsburger Allgemeinen citiren. Dort wirft ein Wiener Eiferer für Tengoboröki gegen.Wicsner so beiläufig hin: ein Corrcspondenr der Grenzboten habe behauptet, „die Russen hatten den Communismus erfunden." O Pater Lamormain, wenn Sie künftig eine kleine Bosheit üben wollen, ma-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/520>, abgerufen am 28.07.2024.