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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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lernten Schöngeister dasteht. Selbst für die poetischen Bestellungen
scheint ihm der Zwirn ausgegangen zu sein, denn er veranstaltet be¬
reits eine Ausgabe seiner sämmtlichen Werke in einem Bande, auf
die natürlich seine zahlreiche Bekanntschaft subscribiren muß. Welcher
Contrast zwischen diesem duftenden Freitag'schen Wasser und dem
würzigen Gedankenweine Friedrich's von Salt et, an den wir dieser
Tage wieder lebendig durch ein Schriftchen erinnert wurden! Es tragt
den Titel: Zur Erläuterung des zweiten Theiles vom Göthe'schen
Faust, für Frauen geschrieben von Friedrich von Sattel. Breslau,
Verlag von August Schulz. Des Dichters noch lebende Gattin, Cq-
roline von Sattel, für welche die Erklärung im Jahre I84t1 geschrie¬
ben wurde, hat die Blätter der Oeffentlichkeit übergeben. Obgleich die
Zeilen nur als eine Ansprache des Dichters an seine Braut betrachtet
werden können und deshalb hie und da zu sehr in's Detail gehen,
indeß sie über Anderes leichtfüßig hinweghüpfen, so heißen wir sie doch
auf dem Markte der Literatur willkommen, weil sie uns theils einen
nicht unwesentlichen Beitrag zur Charakteristik des Dichters, theils
auch wirklich interessante Aufschlüsse über des Allvaters mysteriöses
Werk bringen. Wie beziehungsreich ist z. B. das, was er über die
Scene sagt, wo Helena, die Schönheit, erscheint, "dem Faust"
heißt es Seite It, "ist es der heiligste Ernst, dem vornehmen Hofe
(der beim monte) nur ein Spektakelstück. Wie ungeheuer wahr ist
dieser Zug! Das Gesindel (namentlich das in den oberen Regio¬
nen) will sich eben amüsiren, und auch dazu stellt es sich sehr albern
an, wie Göthe dies in dieser Stelle an der seichten, das Schöne in
den Koth der Gemeinheit herabziehenden Auffassung des hohen Pub-
licums mit beißendem Witze gezeigt hat. Diese Scene ist ihm hoch
anzurechnen, weil er sonst eher geneigt ist, der Vornehmigkeit zu schmei¬
cheln. Hier aber läßt er sie in ihrer ganzen Unwissenheit um alles
Tiefe und Gediegene, in ihrer ganzen, mit dem Zuckerkand der soge¬
nannten Bildung dünn überstrichenen Roheit erscheinen." Diese Stelle
paßt auch sehr gut auf Sattel und seine innige und wahre Begeisterung
und auf jene literarischen Producenten, welche ihr Lichtstümpchen mit
vieler Mühe zum Glimmen bringen, nur um zarten Baumwollen-
strümpfen durch den Koth des alltäglichen Lebens zu leuchten. --
Sonst wüßt' ich Ihnen, was die Belletristik betrifft, nichts Nennens-
werrhes mehr anzuführen. Unser Theater lahmt unter der Direction
des Herrn von Holtei ganz gewaltig. Es sind Stücke zur Aufführung
gekommen, welche besstt reponirt worden wären, z. B. der Deinhard-
stein'sche "Motesens", ein wahres Rattengift für das Theaterpubli-
cum. Wie sollte aber auch ein Bühnendichter die Arbeit eines ande¬
ren richtig beurtheilen können! -- Was gegenwärtig die allgemeine
Aufmerksamkeit der Bres'lauer beschäftigt, ist der Ronge'sche Brief und
die Provinzialsynode. Die Sensation, welche die energische Apostrophe


Grenzboten 1844. II.

lernten Schöngeister dasteht. Selbst für die poetischen Bestellungen
scheint ihm der Zwirn ausgegangen zu sein, denn er veranstaltet be¬
reits eine Ausgabe seiner sämmtlichen Werke in einem Bande, auf
die natürlich seine zahlreiche Bekanntschaft subscribiren muß. Welcher
Contrast zwischen diesem duftenden Freitag'schen Wasser und dem
würzigen Gedankenweine Friedrich's von Salt et, an den wir dieser
Tage wieder lebendig durch ein Schriftchen erinnert wurden! Es tragt
den Titel: Zur Erläuterung des zweiten Theiles vom Göthe'schen
Faust, für Frauen geschrieben von Friedrich von Sattel. Breslau,
Verlag von August Schulz. Des Dichters noch lebende Gattin, Cq-
roline von Sattel, für welche die Erklärung im Jahre I84t1 geschrie¬
ben wurde, hat die Blätter der Oeffentlichkeit übergeben. Obgleich die
Zeilen nur als eine Ansprache des Dichters an seine Braut betrachtet
werden können und deshalb hie und da zu sehr in's Detail gehen,
indeß sie über Anderes leichtfüßig hinweghüpfen, so heißen wir sie doch
auf dem Markte der Literatur willkommen, weil sie uns theils einen
nicht unwesentlichen Beitrag zur Charakteristik des Dichters, theils
auch wirklich interessante Aufschlüsse über des Allvaters mysteriöses
Werk bringen. Wie beziehungsreich ist z. B. das, was er über die
Scene sagt, wo Helena, die Schönheit, erscheint, „dem Faust"
heißt es Seite It, „ist es der heiligste Ernst, dem vornehmen Hofe
(der beim monte) nur ein Spektakelstück. Wie ungeheuer wahr ist
dieser Zug! Das Gesindel (namentlich das in den oberen Regio¬
nen) will sich eben amüsiren, und auch dazu stellt es sich sehr albern
an, wie Göthe dies in dieser Stelle an der seichten, das Schöne in
den Koth der Gemeinheit herabziehenden Auffassung des hohen Pub-
licums mit beißendem Witze gezeigt hat. Diese Scene ist ihm hoch
anzurechnen, weil er sonst eher geneigt ist, der Vornehmigkeit zu schmei¬
cheln. Hier aber läßt er sie in ihrer ganzen Unwissenheit um alles
Tiefe und Gediegene, in ihrer ganzen, mit dem Zuckerkand der soge¬
nannten Bildung dünn überstrichenen Roheit erscheinen." Diese Stelle
paßt auch sehr gut auf Sattel und seine innige und wahre Begeisterung
und auf jene literarischen Producenten, welche ihr Lichtstümpchen mit
vieler Mühe zum Glimmen bringen, nur um zarten Baumwollen-
strümpfen durch den Koth des alltäglichen Lebens zu leuchten. —
Sonst wüßt' ich Ihnen, was die Belletristik betrifft, nichts Nennens-
werrhes mehr anzuführen. Unser Theater lahmt unter der Direction
des Herrn von Holtei ganz gewaltig. Es sind Stücke zur Aufführung
gekommen, welche besstt reponirt worden wären, z. B. der Deinhard-
stein'sche „Motesens", ein wahres Rattengift für das Theaterpubli-
cum. Wie sollte aber auch ein Bühnendichter die Arbeit eines ande¬
ren richtig beurtheilen können! — Was gegenwärtig die allgemeine
Aufmerksamkeit der Bres'lauer beschäftigt, ist der Ronge'sche Brief und
die Provinzialsynode. Die Sensation, welche die energische Apostrophe


Grenzboten 1844. II.
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[0517] lernten Schöngeister dasteht. Selbst für die poetischen Bestellungen scheint ihm der Zwirn ausgegangen zu sein, denn er veranstaltet be¬ reits eine Ausgabe seiner sämmtlichen Werke in einem Bande, auf die natürlich seine zahlreiche Bekanntschaft subscribiren muß. Welcher Contrast zwischen diesem duftenden Freitag'schen Wasser und dem würzigen Gedankenweine Friedrich's von Salt et, an den wir dieser Tage wieder lebendig durch ein Schriftchen erinnert wurden! Es tragt den Titel: Zur Erläuterung des zweiten Theiles vom Göthe'schen Faust, für Frauen geschrieben von Friedrich von Sattel. Breslau, Verlag von August Schulz. Des Dichters noch lebende Gattin, Cq- roline von Sattel, für welche die Erklärung im Jahre I84t1 geschrie¬ ben wurde, hat die Blätter der Oeffentlichkeit übergeben. Obgleich die Zeilen nur als eine Ansprache des Dichters an seine Braut betrachtet werden können und deshalb hie und da zu sehr in's Detail gehen, indeß sie über Anderes leichtfüßig hinweghüpfen, so heißen wir sie doch auf dem Markte der Literatur willkommen, weil sie uns theils einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Charakteristik des Dichters, theils auch wirklich interessante Aufschlüsse über des Allvaters mysteriöses Werk bringen. Wie beziehungsreich ist z. B. das, was er über die Scene sagt, wo Helena, die Schönheit, erscheint, „dem Faust" heißt es Seite It, „ist es der heiligste Ernst, dem vornehmen Hofe (der beim monte) nur ein Spektakelstück. Wie ungeheuer wahr ist dieser Zug! Das Gesindel (namentlich das in den oberen Regio¬ nen) will sich eben amüsiren, und auch dazu stellt es sich sehr albern an, wie Göthe dies in dieser Stelle an der seichten, das Schöne in den Koth der Gemeinheit herabziehenden Auffassung des hohen Pub- licums mit beißendem Witze gezeigt hat. Diese Scene ist ihm hoch anzurechnen, weil er sonst eher geneigt ist, der Vornehmigkeit zu schmei¬ cheln. Hier aber läßt er sie in ihrer ganzen Unwissenheit um alles Tiefe und Gediegene, in ihrer ganzen, mit dem Zuckerkand der soge¬ nannten Bildung dünn überstrichenen Roheit erscheinen." Diese Stelle paßt auch sehr gut auf Sattel und seine innige und wahre Begeisterung und auf jene literarischen Producenten, welche ihr Lichtstümpchen mit vieler Mühe zum Glimmen bringen, nur um zarten Baumwollen- strümpfen durch den Koth des alltäglichen Lebens zu leuchten. — Sonst wüßt' ich Ihnen, was die Belletristik betrifft, nichts Nennens- werrhes mehr anzuführen. Unser Theater lahmt unter der Direction des Herrn von Holtei ganz gewaltig. Es sind Stücke zur Aufführung gekommen, welche besstt reponirt worden wären, z. B. der Deinhard- stein'sche „Motesens", ein wahres Rattengift für das Theaterpubli- cum. Wie sollte aber auch ein Bühnendichter die Arbeit eines ande¬ ren richtig beurtheilen können! — Was gegenwärtig die allgemeine Aufmerksamkeit der Bres'lauer beschäftigt, ist der Ronge'sche Brief und die Provinzialsynode. Die Sensation, welche die energische Apostrophe Grenzboten 1844. II.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/517>, abgerufen am 01.09.2024.