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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Gott und mit mir selbst, ich sehne mich nach Ruhe und möchte Verzei¬
hung erlangen und verzeihen -- nur Dir nicht. -Dir! nun und
nimmer! --

Mit den Worten verließ er das Zimmer, und der Maestro sah
ihm höhnisch und achselzuckend nach.




Aus dem Kirchhofe war es still und friedlich. Giovanni kniete
an dem Grabe seiner Mutter. Ein einfaches Kreuz mit den Wor¬
ten "Margarethe Klaus" bezeichnete die Stelle. Grüner Rasen deckte
den Hügel, auf dem die Schlüsselblumen blühten, und ein Fliedcr-
busch senkte seine süßduftenden Stauden darauf hin.

Die Sonne neigte sich zum Untergang und goß ein dunkelrothes
Flammenmeer über die Gegend. Feierlich läutete die Kirchenglocke
den Abendgruß, eine selige Ruhe herrschte in der Natur und zog
mit der tiefen Stille, die ihn umgab, auch in Giovanni's Seele ein.
Ruhe war seit Jahren der einzige Wunsch seines Herzens gewesen,
Friede und Ruhe hatte er gesucht durch die halbe Welt, hier hatte
er sie gefunden.

Seine stillen Thränen fielen auf den Rasen nieder. Wie ein
Kind, das nach langem Umherirren heimgekehrt zur Mutter, von sei¬
nem Leben erzählt und ihr keine seiner Thaten, ob gut oder böse,
verschweigt, so vertraute Giovanni dem kleinen Hügel, was er ge¬
hofft, gelitten und gethan; so klagte er sein Leid der Mutter, zu der
er sich hingesehnt schon in den frühen Tagen der Kindheit. -- Und
wie einstmals, neigte sich ihr Geist nieder zu ihm, um seiner Neue
Vergebung zu verkünden. Wie damals breitete sie ihre Hände seg¬
nend über ihn aus und verschwand, nachdem sie dem müden Sohne
Ruhe verheißen am Mutterherzen.

Beseligt sah er der Erscheinung nach. Ein Frieden, wie er ihn
nie gekannt, war in seinem Herzen und spiegelte sich in seinen Blicken,
als er, den Schöpfer anbetend, die heilige Schönheit der Natur be¬
trachtete, die ihm nicht schön gewesen seit der Schreckensthat. Sin¬
nend sah er dem Scheiden des Tages zu, seine Thränen waren ge¬
trocknet, er wollte umkehren zum Pfade der Tugend, er wollte Cor¬
nelius Schatten versöhnen. Aber bei dem Andenken an sie packten
die Furien der Gewissensangst ihn aufs Neue, er fuhr auf und als


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Gott und mit mir selbst, ich sehne mich nach Ruhe und möchte Verzei¬
hung erlangen und verzeihen — nur Dir nicht. -Dir! nun und
nimmer! —

Mit den Worten verließ er das Zimmer, und der Maestro sah
ihm höhnisch und achselzuckend nach.




Aus dem Kirchhofe war es still und friedlich. Giovanni kniete
an dem Grabe seiner Mutter. Ein einfaches Kreuz mit den Wor¬
ten „Margarethe Klaus" bezeichnete die Stelle. Grüner Rasen deckte
den Hügel, auf dem die Schlüsselblumen blühten, und ein Fliedcr-
busch senkte seine süßduftenden Stauden darauf hin.

Die Sonne neigte sich zum Untergang und goß ein dunkelrothes
Flammenmeer über die Gegend. Feierlich läutete die Kirchenglocke
den Abendgruß, eine selige Ruhe herrschte in der Natur und zog
mit der tiefen Stille, die ihn umgab, auch in Giovanni's Seele ein.
Ruhe war seit Jahren der einzige Wunsch seines Herzens gewesen,
Friede und Ruhe hatte er gesucht durch die halbe Welt, hier hatte
er sie gefunden.

Seine stillen Thränen fielen auf den Rasen nieder. Wie ein
Kind, das nach langem Umherirren heimgekehrt zur Mutter, von sei¬
nem Leben erzählt und ihr keine seiner Thaten, ob gut oder böse,
verschweigt, so vertraute Giovanni dem kleinen Hügel, was er ge¬
hofft, gelitten und gethan; so klagte er sein Leid der Mutter, zu der
er sich hingesehnt schon in den frühen Tagen der Kindheit. — Und
wie einstmals, neigte sich ihr Geist nieder zu ihm, um seiner Neue
Vergebung zu verkünden. Wie damals breitete sie ihre Hände seg¬
nend über ihn aus und verschwand, nachdem sie dem müden Sohne
Ruhe verheißen am Mutterherzen.

Beseligt sah er der Erscheinung nach. Ein Frieden, wie er ihn
nie gekannt, war in seinem Herzen und spiegelte sich in seinen Blicken,
als er, den Schöpfer anbetend, die heilige Schönheit der Natur be¬
trachtete, die ihm nicht schön gewesen seit der Schreckensthat. Sin¬
nend sah er dem Scheiden des Tages zu, seine Thränen waren ge¬
trocknet, er wollte umkehren zum Pfade der Tugend, er wollte Cor¬
nelius Schatten versöhnen. Aber bei dem Andenken an sie packten
die Furien der Gewissensangst ihn aufs Neue, er fuhr auf und als


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[0495] Gott und mit mir selbst, ich sehne mich nach Ruhe und möchte Verzei¬ hung erlangen und verzeihen — nur Dir nicht. -Dir! nun und nimmer! — Mit den Worten verließ er das Zimmer, und der Maestro sah ihm höhnisch und achselzuckend nach. Aus dem Kirchhofe war es still und friedlich. Giovanni kniete an dem Grabe seiner Mutter. Ein einfaches Kreuz mit den Wor¬ ten „Margarethe Klaus" bezeichnete die Stelle. Grüner Rasen deckte den Hügel, auf dem die Schlüsselblumen blühten, und ein Fliedcr- busch senkte seine süßduftenden Stauden darauf hin. Die Sonne neigte sich zum Untergang und goß ein dunkelrothes Flammenmeer über die Gegend. Feierlich läutete die Kirchenglocke den Abendgruß, eine selige Ruhe herrschte in der Natur und zog mit der tiefen Stille, die ihn umgab, auch in Giovanni's Seele ein. Ruhe war seit Jahren der einzige Wunsch seines Herzens gewesen, Friede und Ruhe hatte er gesucht durch die halbe Welt, hier hatte er sie gefunden. Seine stillen Thränen fielen auf den Rasen nieder. Wie ein Kind, das nach langem Umherirren heimgekehrt zur Mutter, von sei¬ nem Leben erzählt und ihr keine seiner Thaten, ob gut oder böse, verschweigt, so vertraute Giovanni dem kleinen Hügel, was er ge¬ hofft, gelitten und gethan; so klagte er sein Leid der Mutter, zu der er sich hingesehnt schon in den frühen Tagen der Kindheit. — Und wie einstmals, neigte sich ihr Geist nieder zu ihm, um seiner Neue Vergebung zu verkünden. Wie damals breitete sie ihre Hände seg¬ nend über ihn aus und verschwand, nachdem sie dem müden Sohne Ruhe verheißen am Mutterherzen. Beseligt sah er der Erscheinung nach. Ein Frieden, wie er ihn nie gekannt, war in seinem Herzen und spiegelte sich in seinen Blicken, als er, den Schöpfer anbetend, die heilige Schönheit der Natur be¬ trachtete, die ihm nicht schön gewesen seit der Schreckensthat. Sin¬ nend sah er dem Scheiden des Tages zu, seine Thränen waren ge¬ trocknet, er wollte umkehren zum Pfade der Tugend, er wollte Cor¬ nelius Schatten versöhnen. Aber bei dem Andenken an sie packten die Furien der Gewissensangst ihn aufs Neue, er fuhr auf und als 62 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/495>, abgerufen am 28.07.2024.