Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schiffer von den Ufern der Nordsee hätte schwerlich die Liebe der
stolzen Cornelia Bastiani beglückt.

Mit einem Schrei des Schmerzes sprang Giovanni empor und
packte den Maestro an der Brust. Der aber schleuderte ihn mit
starker Hand von sich, und Giovanni fiel erschöpft von der Aufregung
nieder auf die Bank, auf der er vorhin gesessen. Eine bange Pause
entstand. Der Maestro rauchte, als ob Nichts vorgefallen wäre,
ruhig seine Cigarre. Der alte Küster stand an der Thüre, ein bestürzter
Zeuge dieser Scene, während in Giovanni's Seele die Folterqualen
des Gewissens tobten, die der Maestro durch den Namen der
gemordeten Cornelia mit erneuter Gewalt in ihm heraufbeschwo¬
ren hatte.

Brütend starrte Giovanni vor sich nieder. Tiefes Schweigen
war in der Hütte. Der Abend brach herein, es dunkelte in der
Stube, deren kleine Scheiben nur sparsam das Licht der sinkenden
Sonne eindringen ließen.

Da erhob sich Giovanni langsam und fragte den Küster: Kennt
man das Grab meiner Mutter noch?

-- Ja, lieber Herr! antwortete der Alle. Der verstorbene
Pfarrer, der sich Ihrer Mutter angenommen seit ihrer Kindheit, weil
sie ein gar so liebes Gemüth gehabt, der hat ihr ein Kreuz errich-
ten und ein Paar Bäume an ihrem Hügel pflanzen lassen, als sie
gestorben war.

-- So führet mich hin, bat Giovanni; und zum Maestro, der
ihm folgen wollte, sprach er befehlend: Du bleibst zurück! An dem
Grabe meiner Mutter sollst Du nicht stehen, der ihren Sohn so
elend gemacht. Du warst es, der die Phantasie des Kindes über¬
reizt in Deinem spukhaften Hause -- Du hast meine Jugend ver¬
giftet und mich die Sünde kennen gelehrt in ihrer lockendsten Gestalt.
Du haft mich gezwungen, die Göttergaben, die mir die Natur ver¬
liehen, zu mißbrauchen; Deiner Habsucht mußten sie dienen und mir
die Mittel geben zu schnöder Lust. Statt mich zur Tugend zu füh¬
ren und zu Gott, hast Du all meinen Leidenschaften schändlich ge¬
stöhnt, um mich an Dich zu ketten und mich taub zu machen gegen
die innere Stimme, die mich immer von Dir scheiden hieß. Du
warst es endlich, der den Mordgedanken in mir weckte, der den
Dolch in meine Hände spielte! -- Ich möchte Frieden machen mit


Schiffer von den Ufern der Nordsee hätte schwerlich die Liebe der
stolzen Cornelia Bastiani beglückt.

Mit einem Schrei des Schmerzes sprang Giovanni empor und
packte den Maestro an der Brust. Der aber schleuderte ihn mit
starker Hand von sich, und Giovanni fiel erschöpft von der Aufregung
nieder auf die Bank, auf der er vorhin gesessen. Eine bange Pause
entstand. Der Maestro rauchte, als ob Nichts vorgefallen wäre,
ruhig seine Cigarre. Der alte Küster stand an der Thüre, ein bestürzter
Zeuge dieser Scene, während in Giovanni's Seele die Folterqualen
des Gewissens tobten, die der Maestro durch den Namen der
gemordeten Cornelia mit erneuter Gewalt in ihm heraufbeschwo¬
ren hatte.

Brütend starrte Giovanni vor sich nieder. Tiefes Schweigen
war in der Hütte. Der Abend brach herein, es dunkelte in der
Stube, deren kleine Scheiben nur sparsam das Licht der sinkenden
Sonne eindringen ließen.

Da erhob sich Giovanni langsam und fragte den Küster: Kennt
man das Grab meiner Mutter noch?

— Ja, lieber Herr! antwortete der Alle. Der verstorbene
Pfarrer, der sich Ihrer Mutter angenommen seit ihrer Kindheit, weil
sie ein gar so liebes Gemüth gehabt, der hat ihr ein Kreuz errich-
ten und ein Paar Bäume an ihrem Hügel pflanzen lassen, als sie
gestorben war.

— So führet mich hin, bat Giovanni; und zum Maestro, der
ihm folgen wollte, sprach er befehlend: Du bleibst zurück! An dem
Grabe meiner Mutter sollst Du nicht stehen, der ihren Sohn so
elend gemacht. Du warst es, der die Phantasie des Kindes über¬
reizt in Deinem spukhaften Hause — Du hast meine Jugend ver¬
giftet und mich die Sünde kennen gelehrt in ihrer lockendsten Gestalt.
Du haft mich gezwungen, die Göttergaben, die mir die Natur ver¬
liehen, zu mißbrauchen; Deiner Habsucht mußten sie dienen und mir
die Mittel geben zu schnöder Lust. Statt mich zur Tugend zu füh¬
ren und zu Gott, hast Du all meinen Leidenschaften schändlich ge¬
stöhnt, um mich an Dich zu ketten und mich taub zu machen gegen
die innere Stimme, die mich immer von Dir scheiden hieß. Du
warst es endlich, der den Mordgedanken in mir weckte, der den
Dolch in meine Hände spielte! — Ich möchte Frieden machen mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181678"/>
            <p xml:id="ID_1418" prev="#ID_1417"> Schiffer von den Ufern der Nordsee hätte schwerlich die Liebe der<lb/>
stolzen Cornelia Bastiani beglückt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1419"> Mit einem Schrei des Schmerzes sprang Giovanni empor und<lb/>
packte den Maestro an der Brust. Der aber schleuderte ihn mit<lb/>
starker Hand von sich, und Giovanni fiel erschöpft von der Aufregung<lb/>
nieder auf die Bank, auf der er vorhin gesessen. Eine bange Pause<lb/>
entstand. Der Maestro rauchte, als ob Nichts vorgefallen wäre,<lb/>
ruhig seine Cigarre. Der alte Küster stand an der Thüre, ein bestürzter<lb/>
Zeuge dieser Scene, während in Giovanni's Seele die Folterqualen<lb/>
des Gewissens tobten, die der Maestro durch den Namen der<lb/>
gemordeten Cornelia mit erneuter Gewalt in ihm heraufbeschwo¬<lb/>
ren hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1420"> Brütend starrte Giovanni vor sich nieder. Tiefes Schweigen<lb/>
war in der Hütte. Der Abend brach herein, es dunkelte in der<lb/>
Stube, deren kleine Scheiben nur sparsam das Licht der sinkenden<lb/>
Sonne eindringen ließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1421"> Da erhob sich Giovanni langsam und fragte den Küster: Kennt<lb/>
man das Grab meiner Mutter noch?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1422"> &#x2014; Ja, lieber Herr! antwortete der Alle. Der verstorbene<lb/>
Pfarrer, der sich Ihrer Mutter angenommen seit ihrer Kindheit, weil<lb/>
sie ein gar so liebes Gemüth gehabt, der hat ihr ein Kreuz errich-<lb/>
ten und ein Paar Bäume an ihrem Hügel pflanzen lassen, als sie<lb/>
gestorben war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1423" next="#ID_1424"> &#x2014; So führet mich hin, bat Giovanni; und zum Maestro, der<lb/>
ihm folgen wollte, sprach er befehlend: Du bleibst zurück! An dem<lb/>
Grabe meiner Mutter sollst Du nicht stehen, der ihren Sohn so<lb/>
elend gemacht. Du warst es, der die Phantasie des Kindes über¬<lb/>
reizt in Deinem spukhaften Hause &#x2014; Du hast meine Jugend ver¬<lb/>
giftet und mich die Sünde kennen gelehrt in ihrer lockendsten Gestalt.<lb/>
Du haft mich gezwungen, die Göttergaben, die mir die Natur ver¬<lb/>
liehen, zu mißbrauchen; Deiner Habsucht mußten sie dienen und mir<lb/>
die Mittel geben zu schnöder Lust. Statt mich zur Tugend zu füh¬<lb/>
ren und zu Gott, hast Du all meinen Leidenschaften schändlich ge¬<lb/>
stöhnt, um mich an Dich zu ketten und mich taub zu machen gegen<lb/>
die innere Stimme, die mich immer von Dir scheiden hieß. Du<lb/>
warst es endlich, der den Mordgedanken in mir weckte, der den<lb/>
Dolch in meine Hände spielte! &#x2014; Ich möchte Frieden machen mit</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] Schiffer von den Ufern der Nordsee hätte schwerlich die Liebe der stolzen Cornelia Bastiani beglückt. Mit einem Schrei des Schmerzes sprang Giovanni empor und packte den Maestro an der Brust. Der aber schleuderte ihn mit starker Hand von sich, und Giovanni fiel erschöpft von der Aufregung nieder auf die Bank, auf der er vorhin gesessen. Eine bange Pause entstand. Der Maestro rauchte, als ob Nichts vorgefallen wäre, ruhig seine Cigarre. Der alte Küster stand an der Thüre, ein bestürzter Zeuge dieser Scene, während in Giovanni's Seele die Folterqualen des Gewissens tobten, die der Maestro durch den Namen der gemordeten Cornelia mit erneuter Gewalt in ihm heraufbeschwo¬ ren hatte. Brütend starrte Giovanni vor sich nieder. Tiefes Schweigen war in der Hütte. Der Abend brach herein, es dunkelte in der Stube, deren kleine Scheiben nur sparsam das Licht der sinkenden Sonne eindringen ließen. Da erhob sich Giovanni langsam und fragte den Küster: Kennt man das Grab meiner Mutter noch? — Ja, lieber Herr! antwortete der Alle. Der verstorbene Pfarrer, der sich Ihrer Mutter angenommen seit ihrer Kindheit, weil sie ein gar so liebes Gemüth gehabt, der hat ihr ein Kreuz errich- ten und ein Paar Bäume an ihrem Hügel pflanzen lassen, als sie gestorben war. — So führet mich hin, bat Giovanni; und zum Maestro, der ihm folgen wollte, sprach er befehlend: Du bleibst zurück! An dem Grabe meiner Mutter sollst Du nicht stehen, der ihren Sohn so elend gemacht. Du warst es, der die Phantasie des Kindes über¬ reizt in Deinem spukhaften Hause — Du hast meine Jugend ver¬ giftet und mich die Sünde kennen gelehrt in ihrer lockendsten Gestalt. Du haft mich gezwungen, die Göttergaben, die mir die Natur ver¬ liehen, zu mißbrauchen; Deiner Habsucht mußten sie dienen und mir die Mittel geben zu schnöder Lust. Statt mich zur Tugend zu füh¬ ren und zu Gott, hast Du all meinen Leidenschaften schändlich ge¬ stöhnt, um mich an Dich zu ketten und mich taub zu machen gegen die innere Stimme, die mich immer von Dir scheiden hieß. Du warst es endlich, der den Mordgedanken in mir weckte, der den Dolch in meine Hände spielte! — Ich möchte Frieden machen mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/494>, abgerufen am 28.07.2024.