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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Jahre waren verschwunden seitdem. Ein bleicher, schwermüthi-
ger Künstler hatte Europa in allen Richtungen durchreist und mit
wonnevollem Schauer hatte die Menge, vor Allem die Frauen, sei¬
nen excentrischen Tönen gelauscht und die Räthsel zu enthüllen ge¬
strebt, die sich hinter seiner düsteren Stirne verbargen.

Was in jener Schreckensstunde in Paris vorgegangen, war ein
tiefes Geheimniß geblieben. Der Graf hatte geschwiegen, um das
Andenken seiner verstorbenen Gattin nicht dem Zweifel der Menge
preiszugeben. Er überließ den Mörder der Strafe seines Gewissens,
und noch an demselben Tage hatte Giovanni, wie von Furien ver¬
folgt, Paris verlassen.

Nicht Ruhmsucht oder Geldgier waren es, die ihn seitdem durch
die Welt führten. Er hatte nirgends Ruhe und eilte unstät vor¬
wärts, um, wo möglich, den Qualen seiner Seele zu entfliehen. Die
Bewunderung der Menge ließ ihn kalt, es gab keine Freude für ihn
auf Erden und nie sah man ein Lächeln über seine stillen Lippen
gleiten. Der Maestro, der ihn auch jetzt noch begleitete, denn Alles,
selbst die Gegenwart des Verhaßten, war ihm gleichgilttg, der Mae¬
stro besorgte seine Geschäfte und erntete wieder die Schätze, die Gio¬
vanni ihm sorglos überließ, wenn er sie nicht selbst verwendete, um
Noth zu lindern und zu helfen.

Sein Körper war dem langen geistigen Leiden unterlegen und
keine ärztliche Hilfe vermochte dem Hinsterben desselben Einhalt zu
thun. In England hatte man behauptet, die dicke Luft erzeuge bet
Giovanni den Spleen, und hatte ihm gerathen, ein milderes Klima
zu suchen; die deutschen Aerzte behaupteten, er erliege einem Nerven¬
leiden und nur die Seeluft könne ihn kräftigen.

Dieser Ausspruch war es, der ihn aus dem südlichen Deutsch¬
land wieder gen Norden führte, um die Wirkung des Meeres zu
erproben. Der Maestro hatte schleunig den Rath der Aerzte aus¬
geführt und Giovanni ließ ihn theilnahmlos gewähren. So hatten
sie sich im Frühjahre den Küsten der Nordsee genähert, als der Name
eines Fischerdorfes, durch das sie am Abende fuhren, Giovanni aus
seinem tiefen Brüten weckte.

Er war in der Heimath. Unter einer alten Weide, die der
Sturm auf die Seite geneigt, stand eine verfallene Hütte. Netze


Jahre waren verschwunden seitdem. Ein bleicher, schwermüthi-
ger Künstler hatte Europa in allen Richtungen durchreist und mit
wonnevollem Schauer hatte die Menge, vor Allem die Frauen, sei¬
nen excentrischen Tönen gelauscht und die Räthsel zu enthüllen ge¬
strebt, die sich hinter seiner düsteren Stirne verbargen.

Was in jener Schreckensstunde in Paris vorgegangen, war ein
tiefes Geheimniß geblieben. Der Graf hatte geschwiegen, um das
Andenken seiner verstorbenen Gattin nicht dem Zweifel der Menge
preiszugeben. Er überließ den Mörder der Strafe seines Gewissens,
und noch an demselben Tage hatte Giovanni, wie von Furien ver¬
folgt, Paris verlassen.

Nicht Ruhmsucht oder Geldgier waren es, die ihn seitdem durch
die Welt führten. Er hatte nirgends Ruhe und eilte unstät vor¬
wärts, um, wo möglich, den Qualen seiner Seele zu entfliehen. Die
Bewunderung der Menge ließ ihn kalt, es gab keine Freude für ihn
auf Erden und nie sah man ein Lächeln über seine stillen Lippen
gleiten. Der Maestro, der ihn auch jetzt noch begleitete, denn Alles,
selbst die Gegenwart des Verhaßten, war ihm gleichgilttg, der Mae¬
stro besorgte seine Geschäfte und erntete wieder die Schätze, die Gio¬
vanni ihm sorglos überließ, wenn er sie nicht selbst verwendete, um
Noth zu lindern und zu helfen.

Sein Körper war dem langen geistigen Leiden unterlegen und
keine ärztliche Hilfe vermochte dem Hinsterben desselben Einhalt zu
thun. In England hatte man behauptet, die dicke Luft erzeuge bet
Giovanni den Spleen, und hatte ihm gerathen, ein milderes Klima
zu suchen; die deutschen Aerzte behaupteten, er erliege einem Nerven¬
leiden und nur die Seeluft könne ihn kräftigen.

Dieser Ausspruch war es, der ihn aus dem südlichen Deutsch¬
land wieder gen Norden führte, um die Wirkung des Meeres zu
erproben. Der Maestro hatte schleunig den Rath der Aerzte aus¬
geführt und Giovanni ließ ihn theilnahmlos gewähren. So hatten
sie sich im Frühjahre den Küsten der Nordsee genähert, als der Name
eines Fischerdorfes, durch das sie am Abende fuhren, Giovanni aus
seinem tiefen Brüten weckte.

Er war in der Heimath. Unter einer alten Weide, die der
Sturm auf die Seite geneigt, stand eine verfallene Hütte. Netze


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[0492] Jahre waren verschwunden seitdem. Ein bleicher, schwermüthi- ger Künstler hatte Europa in allen Richtungen durchreist und mit wonnevollem Schauer hatte die Menge, vor Allem die Frauen, sei¬ nen excentrischen Tönen gelauscht und die Räthsel zu enthüllen ge¬ strebt, die sich hinter seiner düsteren Stirne verbargen. Was in jener Schreckensstunde in Paris vorgegangen, war ein tiefes Geheimniß geblieben. Der Graf hatte geschwiegen, um das Andenken seiner verstorbenen Gattin nicht dem Zweifel der Menge preiszugeben. Er überließ den Mörder der Strafe seines Gewissens, und noch an demselben Tage hatte Giovanni, wie von Furien ver¬ folgt, Paris verlassen. Nicht Ruhmsucht oder Geldgier waren es, die ihn seitdem durch die Welt führten. Er hatte nirgends Ruhe und eilte unstät vor¬ wärts, um, wo möglich, den Qualen seiner Seele zu entfliehen. Die Bewunderung der Menge ließ ihn kalt, es gab keine Freude für ihn auf Erden und nie sah man ein Lächeln über seine stillen Lippen gleiten. Der Maestro, der ihn auch jetzt noch begleitete, denn Alles, selbst die Gegenwart des Verhaßten, war ihm gleichgilttg, der Mae¬ stro besorgte seine Geschäfte und erntete wieder die Schätze, die Gio¬ vanni ihm sorglos überließ, wenn er sie nicht selbst verwendete, um Noth zu lindern und zu helfen. Sein Körper war dem langen geistigen Leiden unterlegen und keine ärztliche Hilfe vermochte dem Hinsterben desselben Einhalt zu thun. In England hatte man behauptet, die dicke Luft erzeuge bet Giovanni den Spleen, und hatte ihm gerathen, ein milderes Klima zu suchen; die deutschen Aerzte behaupteten, er erliege einem Nerven¬ leiden und nur die Seeluft könne ihn kräftigen. Dieser Ausspruch war es, der ihn aus dem südlichen Deutsch¬ land wieder gen Norden führte, um die Wirkung des Meeres zu erproben. Der Maestro hatte schleunig den Rath der Aerzte aus¬ geführt und Giovanni ließ ihn theilnahmlos gewähren. So hatten sie sich im Frühjahre den Küsten der Nordsee genähert, als der Name eines Fischerdorfes, durch das sie am Abende fuhren, Giovanni aus seinem tiefen Brüten weckte. Er war in der Heimath. Unter einer alten Weide, die der Sturm auf die Seite geneigt, stand eine verfallene Hütte. Netze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/492>, abgerufen am 01.09.2024.