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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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man daraus den Höheren Wunsch entnehmen kann, die deutschen Büh¬
nen mochten recht bald dem von Wien und Berlin gegebenen rühm¬
lichen Beispiele folgen, zumal die kleinen Höfe sonst immer so bil¬
dungsstolz thun und sich in jüngster Zeit anstellen, als hielten nur
unvermeidliche Rücksichten aus die Wünsche der größeren Höfe sie von
eitemäßenReormen ab.

zgAus Ungarn vernimmt man, der populärste Sänger der magya¬
rischen Poesie, Alexander Kisfaludy, sei auf seinem Landgute gestor¬
ben; er war immer einer der Ersten, welche den von Bürgerkrieg und
türkischer Barbarei verwüsteten ungarischen Parnaß bepflanzten und
die leisen Regungen des Nationalbewußtseins in poetische Obhut nahmen.
Seine glühenden Liebesgesange, die er unter dem Titel: "Himfy's Lie¬
besklagen" herausgab, und die auch in's Deutsche übertragen wurden,
erfreuen sich im ungarischen Volke einer ungemeinen Verbreitung und
oft schallen aus den verklebten Fenstern einer Haidcschenke, die Lenau
so unübertrefflich zu schildern versteht, in den stillen Mondnächten, die
über den ungarischen Savannen strahlen, die Stanzen des magyarischen
etrarka.

Der Name Lenau erweckt in mir ein schmerzliches Gefühl, das
gewiß von allen Denen getheilt wird, welchen seine herrlichen Gedichte
genußreiche Stunden verschafft haben. Seine Freunde hegten hier >chon
lange traurige Besorgnisse für den phantasievollen Dichter, dessen Ner¬
vensystem augenscheinlich sehr angegriffen war; aus diesen physischen
Ursachen möchten wohl auch die jüngsten Productionen Lenau's zu er¬
klären sein und der mystische Hauch, der "Savonarola" und die "Albi-
genser", auch mitunter seinen Faust durchweht. Die Werke des heili¬
gen Augustinus beschäftigten unseren Dichter lange Zeit sehr angele¬
gentlich und die mystischen Bücher des Mittelalters waren ihm sehr
interessant. Die letzten Nachrichten aus Stuttgart lauten wieder be¬
ruhigender und Lenau wird der Dichtkunst und seinen Freunden wie¬
der geschenkt werden, ob ohne Rückfall, das kann nur die Zukunft
lehren. Lenau ist Willens, sich in der romantischen Brühl bei Möd-
ling anzukaufen und steht mit dem Baron Bayer, der unter dem Namen
Rupertus poetischen Dilettantismus betreibt, wegen seines hübschen
Landhauses in Unterhandlung. Der Lustspieldichter Feldmann in Mün¬
chen läßt bei Wallishauser seine dramatischen Arbeiten drucken und so
eben ist der erste Band erschienen, welcher die Lustspiele: Die schöne
Athenienserin, das Porträt der Geliebten, der Sohn auf Reisen, die
Kirschen und die freie Wahl enthält und sicher sein Publicum finden
wird, denn was auch die Kritik wider Feldmann vorgebracht hat, der
Erfolg ist für ihn und die Theaterbesucher werden auch seine Leser
werden. Feldmann ist ein Miniatur-Kotzebue, besitzt drollige Erfin¬
dung und einen leichten Dialog und das reicht bei der Unsrucht-


man daraus den Höheren Wunsch entnehmen kann, die deutschen Büh¬
nen mochten recht bald dem von Wien und Berlin gegebenen rühm¬
lichen Beispiele folgen, zumal die kleinen Höfe sonst immer so bil¬
dungsstolz thun und sich in jüngster Zeit anstellen, als hielten nur
unvermeidliche Rücksichten aus die Wünsche der größeren Höfe sie von
eitemäßenReormen ab.

zgAus Ungarn vernimmt man, der populärste Sänger der magya¬
rischen Poesie, Alexander Kisfaludy, sei auf seinem Landgute gestor¬
ben; er war immer einer der Ersten, welche den von Bürgerkrieg und
türkischer Barbarei verwüsteten ungarischen Parnaß bepflanzten und
die leisen Regungen des Nationalbewußtseins in poetische Obhut nahmen.
Seine glühenden Liebesgesange, die er unter dem Titel: „Himfy's Lie¬
besklagen" herausgab, und die auch in's Deutsche übertragen wurden,
erfreuen sich im ungarischen Volke einer ungemeinen Verbreitung und
oft schallen aus den verklebten Fenstern einer Haidcschenke, die Lenau
so unübertrefflich zu schildern versteht, in den stillen Mondnächten, die
über den ungarischen Savannen strahlen, die Stanzen des magyarischen
etrarka.

Der Name Lenau erweckt in mir ein schmerzliches Gefühl, das
gewiß von allen Denen getheilt wird, welchen seine herrlichen Gedichte
genußreiche Stunden verschafft haben. Seine Freunde hegten hier >chon
lange traurige Besorgnisse für den phantasievollen Dichter, dessen Ner¬
vensystem augenscheinlich sehr angegriffen war; aus diesen physischen
Ursachen möchten wohl auch die jüngsten Productionen Lenau's zu er¬
klären sein und der mystische Hauch, der „Savonarola" und die „Albi-
genser", auch mitunter seinen Faust durchweht. Die Werke des heili¬
gen Augustinus beschäftigten unseren Dichter lange Zeit sehr angele¬
gentlich und die mystischen Bücher des Mittelalters waren ihm sehr
interessant. Die letzten Nachrichten aus Stuttgart lauten wieder be¬
ruhigender und Lenau wird der Dichtkunst und seinen Freunden wie¬
der geschenkt werden, ob ohne Rückfall, das kann nur die Zukunft
lehren. Lenau ist Willens, sich in der romantischen Brühl bei Möd-
ling anzukaufen und steht mit dem Baron Bayer, der unter dem Namen
Rupertus poetischen Dilettantismus betreibt, wegen seines hübschen
Landhauses in Unterhandlung. Der Lustspieldichter Feldmann in Mün¬
chen läßt bei Wallishauser seine dramatischen Arbeiten drucken und so
eben ist der erste Band erschienen, welcher die Lustspiele: Die schöne
Athenienserin, das Porträt der Geliebten, der Sohn auf Reisen, die
Kirschen und die freie Wahl enthält und sicher sein Publicum finden
wird, denn was auch die Kritik wider Feldmann vorgebracht hat, der
Erfolg ist für ihn und die Theaterbesucher werden auch seine Leser
werden. Feldmann ist ein Miniatur-Kotzebue, besitzt drollige Erfin¬
dung und einen leichten Dialog und das reicht bei der Unsrucht-


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[0474] man daraus den Höheren Wunsch entnehmen kann, die deutschen Büh¬ nen mochten recht bald dem von Wien und Berlin gegebenen rühm¬ lichen Beispiele folgen, zumal die kleinen Höfe sonst immer so bil¬ dungsstolz thun und sich in jüngster Zeit anstellen, als hielten nur unvermeidliche Rücksichten aus die Wünsche der größeren Höfe sie von eitemäßenReormen ab. zgAus Ungarn vernimmt man, der populärste Sänger der magya¬ rischen Poesie, Alexander Kisfaludy, sei auf seinem Landgute gestor¬ ben; er war immer einer der Ersten, welche den von Bürgerkrieg und türkischer Barbarei verwüsteten ungarischen Parnaß bepflanzten und die leisen Regungen des Nationalbewußtseins in poetische Obhut nahmen. Seine glühenden Liebesgesange, die er unter dem Titel: „Himfy's Lie¬ besklagen" herausgab, und die auch in's Deutsche übertragen wurden, erfreuen sich im ungarischen Volke einer ungemeinen Verbreitung und oft schallen aus den verklebten Fenstern einer Haidcschenke, die Lenau so unübertrefflich zu schildern versteht, in den stillen Mondnächten, die über den ungarischen Savannen strahlen, die Stanzen des magyarischen etrarka. Der Name Lenau erweckt in mir ein schmerzliches Gefühl, das gewiß von allen Denen getheilt wird, welchen seine herrlichen Gedichte genußreiche Stunden verschafft haben. Seine Freunde hegten hier >chon lange traurige Besorgnisse für den phantasievollen Dichter, dessen Ner¬ vensystem augenscheinlich sehr angegriffen war; aus diesen physischen Ursachen möchten wohl auch die jüngsten Productionen Lenau's zu er¬ klären sein und der mystische Hauch, der „Savonarola" und die „Albi- genser", auch mitunter seinen Faust durchweht. Die Werke des heili¬ gen Augustinus beschäftigten unseren Dichter lange Zeit sehr angele¬ gentlich und die mystischen Bücher des Mittelalters waren ihm sehr interessant. Die letzten Nachrichten aus Stuttgart lauten wieder be¬ ruhigender und Lenau wird der Dichtkunst und seinen Freunden wie¬ der geschenkt werden, ob ohne Rückfall, das kann nur die Zukunft lehren. Lenau ist Willens, sich in der romantischen Brühl bei Möd- ling anzukaufen und steht mit dem Baron Bayer, der unter dem Namen Rupertus poetischen Dilettantismus betreibt, wegen seines hübschen Landhauses in Unterhandlung. Der Lustspieldichter Feldmann in Mün¬ chen läßt bei Wallishauser seine dramatischen Arbeiten drucken und so eben ist der erste Band erschienen, welcher die Lustspiele: Die schöne Athenienserin, das Porträt der Geliebten, der Sohn auf Reisen, die Kirschen und die freie Wahl enthält und sicher sein Publicum finden wird, denn was auch die Kritik wider Feldmann vorgebracht hat, der Erfolg ist für ihn und die Theaterbesucher werden auch seine Leser werden. Feldmann ist ein Miniatur-Kotzebue, besitzt drollige Erfin¬ dung und einen leichten Dialog und das reicht bei der Unsrucht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/474>, abgerufen am 27.07.2024.