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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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klug fast bis zur Anbetung trieb, verlangte immer aufs Neue ihn
zu hören.

Und wiederenmalatteenglnzenderKreis um ihn ver¬
sammelt. Man harrte des jungen Künstlers, der freudig und steg¬
gewohnt eintrat und sich unter dem lauten Beifallklatschen der Menge
an dem Instrumente niederließ. Eine freie Phantasie sollte das
Publicum entzücken.

Undovanngeateesnenees,das gestern in
seinen Armen geruht, ihres flammenden Auges, ihres schwellenden
Mundes; und die unaussprechliche Wonne jener Stunde durchbebte
seine Nerven, daß, wie von Geistern belebt, seine Finger über die
Tasten flogen. Athemlos hörte die Menge ihm zu. süßes Liebes¬
geflüster und glühende Lust klangen aus den Tönen. Da, mitten
in dem Rausche der wollüstigsten Erinnerung, mitten in den bacchan¬
tischen Klängen, die er hervorrief, war es ihm plötzlich, als ob eine
unsichtbare Gewalt seine Hände leite, und unwillkürlich spielten seine
Finger ein.'einfaches Lied, wie die Schiffer es an den nordischen
Gestaden zu singen pflegen. Giovanni hielt überrascht inne. Die
Plötzliche Pause wirkte wunderbar auf seine Zuhörer. Ihm war,
als kenne er den Ton, als habe er das Lied gehört. Er fühlte sich
verwirrt, wollte zurückkehren zu der früheren Gedankenreihe, aber
wieder und immer wieder klang jene einfache Melodie an sein Ohr.
Und nochmals hielt er inne, Thränen perlten in seinen Augen, er
hatte, ohne es zu wollen, das Lied wieder gefunden, mit dem die
Mutter ihn in den Schlaf zu singen pflegte, in der kleinen Hütte
am Meere. Er hatte ihrer lange nicht gedacht. Jetzt stand sie°ver-
klärt an seiner Seite, sie selbst hatte ihm das Lied gesungen. Flü¬
sternd bat sie den Sohn, ihrer zu gedenken, sie beschwor ihn abzu¬
lassen von dem Pfade, den er betreten. Sie sprach ihm von den
fröhlichen Spielen seiner schuldlosen Kindheit und immer milder wur¬
den die Töne unter seinen Händen. Er hörte wieder das Brausen
des Wassers, er griff nach dem flüchtigen Schaume der Wellen, die
Unendlichkeit des Meeres bewegte sich vor seinen Augen, er blickte
aufwärts vom Meere zu dem Sternenhimmel und laut rief es in
seiner Seele: es lebt ein Gott, wir leben jenseit der Sterne! --
Und seine Mutter faltete fromm die Hände und legte sie' wie segnend
auf das Haupt ihres Sohnes.


GrmMcn 184i. II. 5g

klug fast bis zur Anbetung trieb, verlangte immer aufs Neue ihn
zu hören.

Und wiederenmalatteenglnzenderKreis um ihn ver¬
sammelt. Man harrte des jungen Künstlers, der freudig und steg¬
gewohnt eintrat und sich unter dem lauten Beifallklatschen der Menge
an dem Instrumente niederließ. Eine freie Phantasie sollte das
Publicum entzücken.

Undovanngeateesnenees,das gestern in
seinen Armen geruht, ihres flammenden Auges, ihres schwellenden
Mundes; und die unaussprechliche Wonne jener Stunde durchbebte
seine Nerven, daß, wie von Geistern belebt, seine Finger über die
Tasten flogen. Athemlos hörte die Menge ihm zu. süßes Liebes¬
geflüster und glühende Lust klangen aus den Tönen. Da, mitten
in dem Rausche der wollüstigsten Erinnerung, mitten in den bacchan¬
tischen Klängen, die er hervorrief, war es ihm plötzlich, als ob eine
unsichtbare Gewalt seine Hände leite, und unwillkürlich spielten seine
Finger ein.'einfaches Lied, wie die Schiffer es an den nordischen
Gestaden zu singen pflegen. Giovanni hielt überrascht inne. Die
Plötzliche Pause wirkte wunderbar auf seine Zuhörer. Ihm war,
als kenne er den Ton, als habe er das Lied gehört. Er fühlte sich
verwirrt, wollte zurückkehren zu der früheren Gedankenreihe, aber
wieder und immer wieder klang jene einfache Melodie an sein Ohr.
Und nochmals hielt er inne, Thränen perlten in seinen Augen, er
hatte, ohne es zu wollen, das Lied wieder gefunden, mit dem die
Mutter ihn in den Schlaf zu singen pflegte, in der kleinen Hütte
am Meere. Er hatte ihrer lange nicht gedacht. Jetzt stand sie°ver-
klärt an seiner Seite, sie selbst hatte ihm das Lied gesungen. Flü¬
sternd bat sie den Sohn, ihrer zu gedenken, sie beschwor ihn abzu¬
lassen von dem Pfade, den er betreten. Sie sprach ihm von den
fröhlichen Spielen seiner schuldlosen Kindheit und immer milder wur¬
den die Töne unter seinen Händen. Er hörte wieder das Brausen
des Wassers, er griff nach dem flüchtigen Schaume der Wellen, die
Unendlichkeit des Meeres bewegte sich vor seinen Augen, er blickte
aufwärts vom Meere zu dem Sternenhimmel und laut rief es in
seiner Seele: es lebt ein Gott, wir leben jenseit der Sterne! —
Und seine Mutter faltete fromm die Hände und legte sie' wie segnend
auf das Haupt ihres Sohnes.


GrmMcn 184i. II. 5g
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[0469] klug fast bis zur Anbetung trieb, verlangte immer aufs Neue ihn zu hören. Und wiederenmalatteenglnzenderKreis um ihn ver¬ sammelt. Man harrte des jungen Künstlers, der freudig und steg¬ gewohnt eintrat und sich unter dem lauten Beifallklatschen der Menge an dem Instrumente niederließ. Eine freie Phantasie sollte das Publicum entzücken. Undovanngeateesnenees,das gestern in seinen Armen geruht, ihres flammenden Auges, ihres schwellenden Mundes; und die unaussprechliche Wonne jener Stunde durchbebte seine Nerven, daß, wie von Geistern belebt, seine Finger über die Tasten flogen. Athemlos hörte die Menge ihm zu. süßes Liebes¬ geflüster und glühende Lust klangen aus den Tönen. Da, mitten in dem Rausche der wollüstigsten Erinnerung, mitten in den bacchan¬ tischen Klängen, die er hervorrief, war es ihm plötzlich, als ob eine unsichtbare Gewalt seine Hände leite, und unwillkürlich spielten seine Finger ein.'einfaches Lied, wie die Schiffer es an den nordischen Gestaden zu singen pflegen. Giovanni hielt überrascht inne. Die Plötzliche Pause wirkte wunderbar auf seine Zuhörer. Ihm war, als kenne er den Ton, als habe er das Lied gehört. Er fühlte sich verwirrt, wollte zurückkehren zu der früheren Gedankenreihe, aber wieder und immer wieder klang jene einfache Melodie an sein Ohr. Und nochmals hielt er inne, Thränen perlten in seinen Augen, er hatte, ohne es zu wollen, das Lied wieder gefunden, mit dem die Mutter ihn in den Schlaf zu singen pflegte, in der kleinen Hütte am Meere. Er hatte ihrer lange nicht gedacht. Jetzt stand sie°ver- klärt an seiner Seite, sie selbst hatte ihm das Lied gesungen. Flü¬ sternd bat sie den Sohn, ihrer zu gedenken, sie beschwor ihn abzu¬ lassen von dem Pfade, den er betreten. Sie sprach ihm von den fröhlichen Spielen seiner schuldlosen Kindheit und immer milder wur¬ den die Töne unter seinen Händen. Er hörte wieder das Brausen des Wassers, er griff nach dem flüchtigen Schaume der Wellen, die Unendlichkeit des Meeres bewegte sich vor seinen Augen, er blickte aufwärts vom Meere zu dem Sternenhimmel und laut rief es in seiner Seele: es lebt ein Gott, wir leben jenseit der Sterne! — Und seine Mutter faltete fromm die Hände und legte sie' wie segnend auf das Haupt ihres Sohnes. GrmMcn 184i. II. 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/469>, abgerufen am 28.07.2024.