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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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seinen Eltern wollte er fliehen oder zu ihr; und allmächtig erwachte
in ihm der Wunsch, sich zu befreien.

Mit dem Muth eines Mannes trat er vor den Maestro und
erklärte ihm, wie er das ganze Lügengewebe zerreißen, es aufdecken
werde, daß er nicht der Sohn des Maestro, nicht mit der Lyra ge¬
weiht, geboren sei, und daß er fort wolle zu der Heimath seiner
Eltern.

Da flammte der Zorn des Maestro empor, doch er bezwang
ihn und sprach mit höhnender Freundlichkeit: Gemach, gemach, mein
Söhnchen! weißt Du denn auch, daß Deine zärtlichen Eltern Dich
und Marie verkauft, daß sie Euch, um sieben Säcke Goldes, für
ewig zu meinem Eigenthum gegeben haben?

Giovanni erbebte, aber sein Muth verließ ihn nicht. So werde
ich durch meine Kunst die Mittel mir erwerben, mich und Marie
loszukaufen von Euerer Tyrannei, sagte er fest.

-- Deine Kunst? mein Söhnchen, die Kunst ist mein, weil
ich sie Dich lehrte, Deinen Körper hat man mir verkauft, sieh selbst
hier den Contract, den Dein Vater unterzeichnet -- und was Du
jetzt bist, das ist mein Werk, und darum mein. Auch wird Dir
Niemand glauben, daß Du nicht mein Sohn bist; denn noch in diesem
Moment verbrenne ich den Contract, den einzigen Beweis deS Ge¬
gentheils; und Marie wird Dir nicht folgen. Sie ist zufrieden mit
ihrem Geschick und hat die Eltern vergessen, weil Fulvia ihr Mut¬
ter ist.

-- So führt mich wenigstens in die Heimath, laßt mich nur
einmal die theuere Mutter umarmen, flehte der Jüngling.

-- Deine Mutter starb aus Gram über Euere Entfernung;
Dein Vater hat sich selbst den Tod geholt, Dank dem fröhlichen Le¬
ben, das die sieben Säcke Goldes ihm bereiteten; Du wirst also
schon ferner bei mir bleiben müssen, denn Deine Heimath ist fern
und ich bin Dein Herr und Deine Welt. --

Giovanni starrte vor sich nieder. Ein tiefer Schmerz zuckte
durch seine Brust. Es war, wie der Maestro gesagt. Seine Eltern
waren todt und er war verkauft, das Eigenthum, der Sklave eines
Andern. Dieser Gedanke drückte ihn fast zu Boden und verleidete
ihm Alles, besonders die Ausübung der Kunst, weil der Maestro L"
ihn gelehrt, den er haßte. Weder die Vorstellungen, noch die Drob-


seinen Eltern wollte er fliehen oder zu ihr; und allmächtig erwachte
in ihm der Wunsch, sich zu befreien.

Mit dem Muth eines Mannes trat er vor den Maestro und
erklärte ihm, wie er das ganze Lügengewebe zerreißen, es aufdecken
werde, daß er nicht der Sohn des Maestro, nicht mit der Lyra ge¬
weiht, geboren sei, und daß er fort wolle zu der Heimath seiner
Eltern.

Da flammte der Zorn des Maestro empor, doch er bezwang
ihn und sprach mit höhnender Freundlichkeit: Gemach, gemach, mein
Söhnchen! weißt Du denn auch, daß Deine zärtlichen Eltern Dich
und Marie verkauft, daß sie Euch, um sieben Säcke Goldes, für
ewig zu meinem Eigenthum gegeben haben?

Giovanni erbebte, aber sein Muth verließ ihn nicht. So werde
ich durch meine Kunst die Mittel mir erwerben, mich und Marie
loszukaufen von Euerer Tyrannei, sagte er fest.

— Deine Kunst? mein Söhnchen, die Kunst ist mein, weil
ich sie Dich lehrte, Deinen Körper hat man mir verkauft, sieh selbst
hier den Contract, den Dein Vater unterzeichnet — und was Du
jetzt bist, das ist mein Werk, und darum mein. Auch wird Dir
Niemand glauben, daß Du nicht mein Sohn bist; denn noch in diesem
Moment verbrenne ich den Contract, den einzigen Beweis deS Ge¬
gentheils; und Marie wird Dir nicht folgen. Sie ist zufrieden mit
ihrem Geschick und hat die Eltern vergessen, weil Fulvia ihr Mut¬
ter ist.

— So führt mich wenigstens in die Heimath, laßt mich nur
einmal die theuere Mutter umarmen, flehte der Jüngling.

— Deine Mutter starb aus Gram über Euere Entfernung;
Dein Vater hat sich selbst den Tod geholt, Dank dem fröhlichen Le¬
ben, das die sieben Säcke Goldes ihm bereiteten; Du wirst also
schon ferner bei mir bleiben müssen, denn Deine Heimath ist fern
und ich bin Dein Herr und Deine Welt. —

Giovanni starrte vor sich nieder. Ein tiefer Schmerz zuckte
durch seine Brust. Es war, wie der Maestro gesagt. Seine Eltern
waren todt und er war verkauft, das Eigenthum, der Sklave eines
Andern. Dieser Gedanke drückte ihn fast zu Boden und verleidete
ihm Alles, besonders die Ausübung der Kunst, weil der Maestro L«
ihn gelehrt, den er haßte. Weder die Vorstellungen, noch die Drob-


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[0466] seinen Eltern wollte er fliehen oder zu ihr; und allmächtig erwachte in ihm der Wunsch, sich zu befreien. Mit dem Muth eines Mannes trat er vor den Maestro und erklärte ihm, wie er das ganze Lügengewebe zerreißen, es aufdecken werde, daß er nicht der Sohn des Maestro, nicht mit der Lyra ge¬ weiht, geboren sei, und daß er fort wolle zu der Heimath seiner Eltern. Da flammte der Zorn des Maestro empor, doch er bezwang ihn und sprach mit höhnender Freundlichkeit: Gemach, gemach, mein Söhnchen! weißt Du denn auch, daß Deine zärtlichen Eltern Dich und Marie verkauft, daß sie Euch, um sieben Säcke Goldes, für ewig zu meinem Eigenthum gegeben haben? Giovanni erbebte, aber sein Muth verließ ihn nicht. So werde ich durch meine Kunst die Mittel mir erwerben, mich und Marie loszukaufen von Euerer Tyrannei, sagte er fest. — Deine Kunst? mein Söhnchen, die Kunst ist mein, weil ich sie Dich lehrte, Deinen Körper hat man mir verkauft, sieh selbst hier den Contract, den Dein Vater unterzeichnet — und was Du jetzt bist, das ist mein Werk, und darum mein. Auch wird Dir Niemand glauben, daß Du nicht mein Sohn bist; denn noch in diesem Moment verbrenne ich den Contract, den einzigen Beweis deS Ge¬ gentheils; und Marie wird Dir nicht folgen. Sie ist zufrieden mit ihrem Geschick und hat die Eltern vergessen, weil Fulvia ihr Mut¬ ter ist. — So führt mich wenigstens in die Heimath, laßt mich nur einmal die theuere Mutter umarmen, flehte der Jüngling. — Deine Mutter starb aus Gram über Euere Entfernung; Dein Vater hat sich selbst den Tod geholt, Dank dem fröhlichen Le¬ ben, das die sieben Säcke Goldes ihm bereiteten; Du wirst also schon ferner bei mir bleiben müssen, denn Deine Heimath ist fern und ich bin Dein Herr und Deine Welt. — Giovanni starrte vor sich nieder. Ein tiefer Schmerz zuckte durch seine Brust. Es war, wie der Maestro gesagt. Seine Eltern waren todt und er war verkauft, das Eigenthum, der Sklave eines Andern. Dieser Gedanke drückte ihn fast zu Boden und verleidete ihm Alles, besonders die Ausübung der Kunst, weil der Maestro L« ihn gelehrt, den er haßte. Weder die Vorstellungen, noch die Drob-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/466>, abgerufen am 28.07.2024.