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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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sten, schloß ihn, vor ihm niedergekniet, in ihre Arme und drückte
zärtlich ihren Mund auf seine bleichen Lippen. -- Plötzlich leuch¬
teten Fackeln durch die Nacht und die Gesellschaft stand vor der
kindlichen Gruppe.

-- Bei Gott! rief der Marchese lachend, Cornelia ist meine
rechte Tochter! Sehen Sie, meine Freunde, wie sie die Kunst in
dem jungen Künstler anbetet. Ich hätte das dem achtjährigen Kinde
nicht zugetraut.

Die Andern stimmten in das Lachen ein, man neckte Cornelia
damit, daß nach Jahren mancher Nobile den kleinen Giovanni um
diesen Augenblick beneiden werde, und beschämt, sie wußten nicht
weshalb, trennten sich die Kinder und schlichen davon.




Wie mit einem Zauberschlag drang jetzt die Nachricht von den
Wunderkindern des Maestro durch Italien. Schon nach wenigen
Tagen traten sie auf dem größten Theater der Stadt auf und er¬
regten auch hier die höchste Bewunderung. In jeder Zeitung er¬
scholl das Lob von Giovanni's und Maria's seltenem Talent; denn
der Enthusiasmus sür den Knaben war so groß, daß er die Leute
auch für Maria's mittelmäßige Leistungen bestach. Alle Welt sprach
von den Wunderkindern, die von der Natur gleichsam für die
Kunst prädestinirt worden, da Beide mit dem Zeichen der Lyra
auf der Brust geboren waren; überall wollte man sie sehen und
hören.

Das machte den zweiten Abschnitt in dem Leben der Geschwi¬
ster. Von jetzt ab zog der Maestro mit ihnen von Stadt zu
Stadt; wie im Fluge wurden die schönsten Gegenden Italiens
durcheilt. An jedem größern Orte wurde ein Instrument aufge¬
stellt, und Tag über mußten die Kinder üben, bis sie am Abend
irgend einer glänzenden Versammlung vorgeführt und mit Beifall
überschüttet wurden. Der Maestro häufte Schätze auf, aber
für diejenigen, die diese Schätze erwarben, erwuchs keine Freude
daraus.

Giovanni's scharfem Auge konnte es nicht verborgen bleiben, daß
andere Knaben seines Alters Kenntnisse besaßen, die ihm fehlten,
daß sie Vergnügungen kannten, die man ihm vorenthielt. Er ver-


sten, schloß ihn, vor ihm niedergekniet, in ihre Arme und drückte
zärtlich ihren Mund auf seine bleichen Lippen. — Plötzlich leuch¬
teten Fackeln durch die Nacht und die Gesellschaft stand vor der
kindlichen Gruppe.

— Bei Gott! rief der Marchese lachend, Cornelia ist meine
rechte Tochter! Sehen Sie, meine Freunde, wie sie die Kunst in
dem jungen Künstler anbetet. Ich hätte das dem achtjährigen Kinde
nicht zugetraut.

Die Andern stimmten in das Lachen ein, man neckte Cornelia
damit, daß nach Jahren mancher Nobile den kleinen Giovanni um
diesen Augenblick beneiden werde, und beschämt, sie wußten nicht
weshalb, trennten sich die Kinder und schlichen davon.




Wie mit einem Zauberschlag drang jetzt die Nachricht von den
Wunderkindern des Maestro durch Italien. Schon nach wenigen
Tagen traten sie auf dem größten Theater der Stadt auf und er¬
regten auch hier die höchste Bewunderung. In jeder Zeitung er¬
scholl das Lob von Giovanni's und Maria's seltenem Talent; denn
der Enthusiasmus sür den Knaben war so groß, daß er die Leute
auch für Maria's mittelmäßige Leistungen bestach. Alle Welt sprach
von den Wunderkindern, die von der Natur gleichsam für die
Kunst prädestinirt worden, da Beide mit dem Zeichen der Lyra
auf der Brust geboren waren; überall wollte man sie sehen und
hören.

Das machte den zweiten Abschnitt in dem Leben der Geschwi¬
ster. Von jetzt ab zog der Maestro mit ihnen von Stadt zu
Stadt; wie im Fluge wurden die schönsten Gegenden Italiens
durcheilt. An jedem größern Orte wurde ein Instrument aufge¬
stellt, und Tag über mußten die Kinder üben, bis sie am Abend
irgend einer glänzenden Versammlung vorgeführt und mit Beifall
überschüttet wurden. Der Maestro häufte Schätze auf, aber
für diejenigen, die diese Schätze erwarben, erwuchs keine Freude
daraus.

Giovanni's scharfem Auge konnte es nicht verborgen bleiben, daß
andere Knaben seines Alters Kenntnisse besaßen, die ihm fehlten,
daß sie Vergnügungen kannten, die man ihm vorenthielt. Er ver-


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[0464] sten, schloß ihn, vor ihm niedergekniet, in ihre Arme und drückte zärtlich ihren Mund auf seine bleichen Lippen. — Plötzlich leuch¬ teten Fackeln durch die Nacht und die Gesellschaft stand vor der kindlichen Gruppe. — Bei Gott! rief der Marchese lachend, Cornelia ist meine rechte Tochter! Sehen Sie, meine Freunde, wie sie die Kunst in dem jungen Künstler anbetet. Ich hätte das dem achtjährigen Kinde nicht zugetraut. Die Andern stimmten in das Lachen ein, man neckte Cornelia damit, daß nach Jahren mancher Nobile den kleinen Giovanni um diesen Augenblick beneiden werde, und beschämt, sie wußten nicht weshalb, trennten sich die Kinder und schlichen davon. Wie mit einem Zauberschlag drang jetzt die Nachricht von den Wunderkindern des Maestro durch Italien. Schon nach wenigen Tagen traten sie auf dem größten Theater der Stadt auf und er¬ regten auch hier die höchste Bewunderung. In jeder Zeitung er¬ scholl das Lob von Giovanni's und Maria's seltenem Talent; denn der Enthusiasmus sür den Knaben war so groß, daß er die Leute auch für Maria's mittelmäßige Leistungen bestach. Alle Welt sprach von den Wunderkindern, die von der Natur gleichsam für die Kunst prädestinirt worden, da Beide mit dem Zeichen der Lyra auf der Brust geboren waren; überall wollte man sie sehen und hören. Das machte den zweiten Abschnitt in dem Leben der Geschwi¬ ster. Von jetzt ab zog der Maestro mit ihnen von Stadt zu Stadt; wie im Fluge wurden die schönsten Gegenden Italiens durcheilt. An jedem größern Orte wurde ein Instrument aufge¬ stellt, und Tag über mußten die Kinder üben, bis sie am Abend irgend einer glänzenden Versammlung vorgeführt und mit Beifall überschüttet wurden. Der Maestro häufte Schätze auf, aber für diejenigen, die diese Schätze erwarben, erwuchs keine Freude daraus. Giovanni's scharfem Auge konnte es nicht verborgen bleiben, daß andere Knaben seines Alters Kenntnisse besaßen, die ihm fehlten, daß sie Vergnügungen kannten, die man ihm vorenthielt. Er ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/464>, abgerufen am 28.07.2024.