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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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das in natürlichen Locken herabfiel, gab den bleichen, aber regel¬
mäßig schönen Zügen des Knaben eine seltene Bedeutsamkeit. Gio¬
vanni war mit einem feurigen Geiste und mit dem regsten Gefühl
geboren. Die unaufhörliche Beschäftigung mit der Kunst, die seine
Nerven erregte, das einsame Leben in dem unheimlichen Hause und
die furchtbaren Märchen des Maestro, das Alles hatte ihn noch
empfindlicher gemacht und seine Phantasie geweckt und überreizt. Das
war es aber grade, was der Maestro beabsichtigt hatte; und mit
Freuden sah er, wie Giovanni erbebte und zugleich vor Wonne
leuchtete, bei der Nachricht, daß er und Marie, an einem der näch¬
sten Abende, in den Sälen des Marchese San Severino erscheinen
und dort spielen sollten.

Der Marchese war ein Kenner der Kunst, ein Beschützer der
Künstler, und der Maestro hatte es erlangt, daß seine Kinder, denn
dafür galten Giovanni und Marie jetzt allgemein, dort zuerst Pro¬
ben ihres Talentes ablegen durften, ehe sie dem großen Publicum
vorgestellt wurden. Die beiden Tage, welche dem wichtigen Ereig-
niß vorangingen, mußte Giovanni fast ganz am Klaviere zubringen,
und todtmüde und erschöpft legte er, als der Abend herankam, seine
neue Kleidung an und stieg mit dem Maestro und Marie in den
Wagen, der ihn in die Wohnung des Marchese führen sollte.

Eine große Versammlung erwartete die Kinder dqrt. Helle
Gircmdolen strahlten ihr Licht von den Marmorwändcn wider, schöne
Frauen im glänzendsten Schmucke saßen im Kreise umher, und ganz
betäubt von der ungewohnten Umgebung setzte sich Giovanni an daS
Instrument.

Gleich die erste Piece, die er spielte, rief stürmischen Beifall
hervor, der in der Seele des Knaben ein ungekanntes, belebendes
Gefühl erweckte. Man verlangte dringend ihn gleich noch ein Mal
zu hören, und die Furcht vor dem Maestro, die ganze Versammlung
vergessend, berauscht von dem Glanz, der ihn umgab, von dem Bei¬
fall der Zuhörer begeistert, berührte der Knabe abermals die Tasten
und strömte in freien Phantasien die Gefühle aus, die ihn bewegten.
Da kannte der Enthusiasmus der Versammlung keine Grenzen. Man
pries den Vater glücklich, diesen Sohn zu besitzen; man weissagte
dem Knaben die glänzendste Zukunft; die schönsten Frauen küßten
Augen und Hände des Knaben, der glühend dem Zimmer errante


das in natürlichen Locken herabfiel, gab den bleichen, aber regel¬
mäßig schönen Zügen des Knaben eine seltene Bedeutsamkeit. Gio¬
vanni war mit einem feurigen Geiste und mit dem regsten Gefühl
geboren. Die unaufhörliche Beschäftigung mit der Kunst, die seine
Nerven erregte, das einsame Leben in dem unheimlichen Hause und
die furchtbaren Märchen des Maestro, das Alles hatte ihn noch
empfindlicher gemacht und seine Phantasie geweckt und überreizt. Das
war es aber grade, was der Maestro beabsichtigt hatte; und mit
Freuden sah er, wie Giovanni erbebte und zugleich vor Wonne
leuchtete, bei der Nachricht, daß er und Marie, an einem der näch¬
sten Abende, in den Sälen des Marchese San Severino erscheinen
und dort spielen sollten.

Der Marchese war ein Kenner der Kunst, ein Beschützer der
Künstler, und der Maestro hatte es erlangt, daß seine Kinder, denn
dafür galten Giovanni und Marie jetzt allgemein, dort zuerst Pro¬
ben ihres Talentes ablegen durften, ehe sie dem großen Publicum
vorgestellt wurden. Die beiden Tage, welche dem wichtigen Ereig-
niß vorangingen, mußte Giovanni fast ganz am Klaviere zubringen,
und todtmüde und erschöpft legte er, als der Abend herankam, seine
neue Kleidung an und stieg mit dem Maestro und Marie in den
Wagen, der ihn in die Wohnung des Marchese führen sollte.

Eine große Versammlung erwartete die Kinder dqrt. Helle
Gircmdolen strahlten ihr Licht von den Marmorwändcn wider, schöne
Frauen im glänzendsten Schmucke saßen im Kreise umher, und ganz
betäubt von der ungewohnten Umgebung setzte sich Giovanni an daS
Instrument.

Gleich die erste Piece, die er spielte, rief stürmischen Beifall
hervor, der in der Seele des Knaben ein ungekanntes, belebendes
Gefühl erweckte. Man verlangte dringend ihn gleich noch ein Mal
zu hören, und die Furcht vor dem Maestro, die ganze Versammlung
vergessend, berauscht von dem Glanz, der ihn umgab, von dem Bei¬
fall der Zuhörer begeistert, berührte der Knabe abermals die Tasten
und strömte in freien Phantasien die Gefühle aus, die ihn bewegten.
Da kannte der Enthusiasmus der Versammlung keine Grenzen. Man
pries den Vater glücklich, diesen Sohn zu besitzen; man weissagte
dem Knaben die glänzendste Zukunft; die schönsten Frauen küßten
Augen und Hände des Knaben, der glühend dem Zimmer errante


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[0462] das in natürlichen Locken herabfiel, gab den bleichen, aber regel¬ mäßig schönen Zügen des Knaben eine seltene Bedeutsamkeit. Gio¬ vanni war mit einem feurigen Geiste und mit dem regsten Gefühl geboren. Die unaufhörliche Beschäftigung mit der Kunst, die seine Nerven erregte, das einsame Leben in dem unheimlichen Hause und die furchtbaren Märchen des Maestro, das Alles hatte ihn noch empfindlicher gemacht und seine Phantasie geweckt und überreizt. Das war es aber grade, was der Maestro beabsichtigt hatte; und mit Freuden sah er, wie Giovanni erbebte und zugleich vor Wonne leuchtete, bei der Nachricht, daß er und Marie, an einem der näch¬ sten Abende, in den Sälen des Marchese San Severino erscheinen und dort spielen sollten. Der Marchese war ein Kenner der Kunst, ein Beschützer der Künstler, und der Maestro hatte es erlangt, daß seine Kinder, denn dafür galten Giovanni und Marie jetzt allgemein, dort zuerst Pro¬ ben ihres Talentes ablegen durften, ehe sie dem großen Publicum vorgestellt wurden. Die beiden Tage, welche dem wichtigen Ereig- niß vorangingen, mußte Giovanni fast ganz am Klaviere zubringen, und todtmüde und erschöpft legte er, als der Abend herankam, seine neue Kleidung an und stieg mit dem Maestro und Marie in den Wagen, der ihn in die Wohnung des Marchese führen sollte. Eine große Versammlung erwartete die Kinder dqrt. Helle Gircmdolen strahlten ihr Licht von den Marmorwändcn wider, schöne Frauen im glänzendsten Schmucke saßen im Kreise umher, und ganz betäubt von der ungewohnten Umgebung setzte sich Giovanni an daS Instrument. Gleich die erste Piece, die er spielte, rief stürmischen Beifall hervor, der in der Seele des Knaben ein ungekanntes, belebendes Gefühl erweckte. Man verlangte dringend ihn gleich noch ein Mal zu hören, und die Furcht vor dem Maestro, die ganze Versammlung vergessend, berauscht von dem Glanz, der ihn umgab, von dem Bei¬ fall der Zuhörer begeistert, berührte der Knabe abermals die Tasten und strömte in freien Phantasien die Gefühle aus, die ihn bewegten. Da kannte der Enthusiasmus der Versammlung keine Grenzen. Man pries den Vater glücklich, diesen Sohn zu besitzen; man weissagte dem Knaben die glänzendste Zukunft; die schönsten Frauen küßten Augen und Hände des Knaben, der glühend dem Zimmer errante

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/462>, abgerufen am 01.09.2024.