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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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richteten still ihren Dienst, die alte Haushälterin schnitt den Kindern
ihre Portionen vor, und sie bekamen, so oft sie wollten, von dem feu¬
rigen Weine zu trinken. Dann, wenn man von der Mahlzeit aufgestan¬
den war, ging man in das finstere Nebenzimmer, und hier feste sich
der Maestro an den Kamin, in dem, wie einst in der Hütte am
Meere, auf seinen bloßen Wink, ein Helles Feuer aufloderte. Dort
schob die alte Fulvia den Kindern einen Schemel zurecht und hieß
sie darauf niedersitzen und schweigen, um den Herrn nicht in seinen
Gedanken zu stören.

Marie, die täglich nur eine kurze Zeit am Klaviere zuzubringen
brauchte, lief die übrige Zeit mit der guten Haushälterin, die ihr
bald von Herzen zugethan war, durch Küche und Keller, lernte von
ihr mancherlei nützliche Arbeit verrichten, ließ sich schöne Märchen
von frommen Kindern und guten Engeln erzählen und gedieh fröh¬
lich und blühend in kindlicher Unschuld. Der Maestro, der es gleich
gewahr worden, daß Mariens Anlagen denen ihres Bruders nicht
im entferntesten zu vergleichen waren, kümmerte sich außer den Uebungs¬
stunden nur wenig um sie und schien es nicht zu beachten, daß sie
fast jeden Abend einschlief und von Fulvia fortgeführt wurde, wenn
die Abendstunde am Kamine kaum begonnen hatte. Sie war dann
müde vom Laufen und Springen, das ihr Fulvia am Tage verstat¬
tete, und schlief ruhig bis zum Morgen, von Engeln und Heiligen
träumend.

So glücklich war Giovanni nicht. Wenn er fast Tag über allein
am Klavier saß, suchte sein reger Geist nach Nahrung, seine Phan¬
tasie bevölkerte die Einsamkeit mit tausendfachen Gestalten und wenn
die Schauerstunde am Kamin sich nahte, schlug sein Herz in angst¬
vollen Schlägen. Der Maestro, den er fürchtete, saß ihm stumm ge¬
genüber, blickte bald den Knaben, bald das Feuer an und wie die¬
ses bei jedem Blick des Maestro Heller aufknisterte, so traten in der
Seele des Knaben immer wilder verworrene Gestalten hervor, so oft
jener ihn mit den kleinen stechenden Augen ansah.

Was aber dem Knaben besonders entsetzlich schien, das war
ein großer schwarzer Kater, der Liebling des Maestro, den er Abends
immer auf den Knieen tun!t und dem helle Funken entsprühten, so¬
bald der Herr nur streichelnd sein Fell berührte. Oft, wenn Gio¬
vanni besonders fleißig gewesen, im Laufe des Tages, oft brach dann


richteten still ihren Dienst, die alte Haushälterin schnitt den Kindern
ihre Portionen vor, und sie bekamen, so oft sie wollten, von dem feu¬
rigen Weine zu trinken. Dann, wenn man von der Mahlzeit aufgestan¬
den war, ging man in das finstere Nebenzimmer, und hier feste sich
der Maestro an den Kamin, in dem, wie einst in der Hütte am
Meere, auf seinen bloßen Wink, ein Helles Feuer aufloderte. Dort
schob die alte Fulvia den Kindern einen Schemel zurecht und hieß
sie darauf niedersitzen und schweigen, um den Herrn nicht in seinen
Gedanken zu stören.

Marie, die täglich nur eine kurze Zeit am Klaviere zuzubringen
brauchte, lief die übrige Zeit mit der guten Haushälterin, die ihr
bald von Herzen zugethan war, durch Küche und Keller, lernte von
ihr mancherlei nützliche Arbeit verrichten, ließ sich schöne Märchen
von frommen Kindern und guten Engeln erzählen und gedieh fröh¬
lich und blühend in kindlicher Unschuld. Der Maestro, der es gleich
gewahr worden, daß Mariens Anlagen denen ihres Bruders nicht
im entferntesten zu vergleichen waren, kümmerte sich außer den Uebungs¬
stunden nur wenig um sie und schien es nicht zu beachten, daß sie
fast jeden Abend einschlief und von Fulvia fortgeführt wurde, wenn
die Abendstunde am Kamine kaum begonnen hatte. Sie war dann
müde vom Laufen und Springen, das ihr Fulvia am Tage verstat¬
tete, und schlief ruhig bis zum Morgen, von Engeln und Heiligen
träumend.

So glücklich war Giovanni nicht. Wenn er fast Tag über allein
am Klavier saß, suchte sein reger Geist nach Nahrung, seine Phan¬
tasie bevölkerte die Einsamkeit mit tausendfachen Gestalten und wenn
die Schauerstunde am Kamin sich nahte, schlug sein Herz in angst¬
vollen Schlägen. Der Maestro, den er fürchtete, saß ihm stumm ge¬
genüber, blickte bald den Knaben, bald das Feuer an und wie die¬
ses bei jedem Blick des Maestro Heller aufknisterte, so traten in der
Seele des Knaben immer wilder verworrene Gestalten hervor, so oft
jener ihn mit den kleinen stechenden Augen ansah.

Was aber dem Knaben besonders entsetzlich schien, das war
ein großer schwarzer Kater, der Liebling des Maestro, den er Abends
immer auf den Knieen tun!t und dem helle Funken entsprühten, so¬
bald der Herr nur streichelnd sein Fell berührte. Oft, wenn Gio¬
vanni besonders fleißig gewesen, im Laufe des Tages, oft brach dann


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[0460] richteten still ihren Dienst, die alte Haushälterin schnitt den Kindern ihre Portionen vor, und sie bekamen, so oft sie wollten, von dem feu¬ rigen Weine zu trinken. Dann, wenn man von der Mahlzeit aufgestan¬ den war, ging man in das finstere Nebenzimmer, und hier feste sich der Maestro an den Kamin, in dem, wie einst in der Hütte am Meere, auf seinen bloßen Wink, ein Helles Feuer aufloderte. Dort schob die alte Fulvia den Kindern einen Schemel zurecht und hieß sie darauf niedersitzen und schweigen, um den Herrn nicht in seinen Gedanken zu stören. Marie, die täglich nur eine kurze Zeit am Klaviere zuzubringen brauchte, lief die übrige Zeit mit der guten Haushälterin, die ihr bald von Herzen zugethan war, durch Küche und Keller, lernte von ihr mancherlei nützliche Arbeit verrichten, ließ sich schöne Märchen von frommen Kindern und guten Engeln erzählen und gedieh fröh¬ lich und blühend in kindlicher Unschuld. Der Maestro, der es gleich gewahr worden, daß Mariens Anlagen denen ihres Bruders nicht im entferntesten zu vergleichen waren, kümmerte sich außer den Uebungs¬ stunden nur wenig um sie und schien es nicht zu beachten, daß sie fast jeden Abend einschlief und von Fulvia fortgeführt wurde, wenn die Abendstunde am Kamine kaum begonnen hatte. Sie war dann müde vom Laufen und Springen, das ihr Fulvia am Tage verstat¬ tete, und schlief ruhig bis zum Morgen, von Engeln und Heiligen träumend. So glücklich war Giovanni nicht. Wenn er fast Tag über allein am Klavier saß, suchte sein reger Geist nach Nahrung, seine Phan¬ tasie bevölkerte die Einsamkeit mit tausendfachen Gestalten und wenn die Schauerstunde am Kamin sich nahte, schlug sein Herz in angst¬ vollen Schlägen. Der Maestro, den er fürchtete, saß ihm stumm ge¬ genüber, blickte bald den Knaben, bald das Feuer an und wie die¬ ses bei jedem Blick des Maestro Heller aufknisterte, so traten in der Seele des Knaben immer wilder verworrene Gestalten hervor, so oft jener ihn mit den kleinen stechenden Augen ansah. Was aber dem Knaben besonders entsetzlich schien, das war ein großer schwarzer Kater, der Liebling des Maestro, den er Abends immer auf den Knieen tun!t und dem helle Funken entsprühten, so¬ bald der Herr nur streichelnd sein Fell berührte. Oft, wenn Gio¬ vanni besonders fleißig gewesen, im Laufe des Tages, oft brach dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/460>, abgerufen am 28.07.2024.