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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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das ihnen hier begegnete. So blieb es viele Tage. Dann fuhren
sie weiter und immer weiter und gelangten endlich nach Italien in
die Vaterstadt ihres neuen Vaters, denn so mußten sie den Maestro
nennen, der gar zornig wurde, wenn sie ihrer guten Mutter oder des
alten strengen Vaters in seiner Gegenwart gedachten.

Als sie nun in der neuen Heimath waren, begann ein ganz
anderes Leben. Das Haus des Maestro war groß und düster und
außer den beiden Mohren und einer alten Haushälterin, die Fulvia
hieß, betrat Niemand seine Schwelle. Schon am ersten Abend setzte
der Maestro sich an ein Klavier und spielte lange Zeit und mancher¬
lei Weisen darauf. Neugierig betrachteten die Kinder den Kasten,
aus dem so herrliche Töne erklangen, und die tollen Fingersprünge
des Maestro. Endlich brach der Knabe, nachdem er lange in sprach¬
loser Wonne den neuen Klängen gelauscht, in die Frage aus, wie der
Maestro das mache? was das für ein Leierkasten sei? -- Der sagte
ihm, das sei kein Leierkasten, sondern ein Klavier, und Giovanni, so
nannte man den kleinen Hans jetzt, möge versuchen, ob er es
nachmachen könne, auf demselben zu spielen. Mehr verlangte der
Knabe nicht, und kaum verließ der Maestro das Zimmer, so stellte
Giovanni sich vor das Instrument und probirte immerfort, bis es
ihm gelang, auch hier, wie sonst auf seiner Weidenflöte, das Ge¬
hörte wiederzugeben.

Wie der Maestro das bemerkte, nahm er den Knaben, lehrte
ihn die Noten kennen und Tonleitern spielen und befahl ihm, täglich
zu bestimmter Stunde diese Uebungen zu machen und nicht eher da¬
mit aufzuhören, bis er selbst ihn davon abrufen würde. Giovanni
gehorchte. Täglich setzte er sich mit Lust an die Arbeit, aber eine
Stunde verging oft nach der andern, die kleinen Hände fingen dem
Kinde an weh zu thun, und der Maestro kam nicht, ihn abzuholen.
Das Schwesterchen durste nie im Zimmer bleiben, oft brach die
Dunkelheit herein, und dem Knaben ward dann so bange, daß helle
Thränen über seine Wangen liefen und die lebhafteste Sehnsucht in
ihm erwachte. Matt und traurig saß er fast immer da, wenn der
Maestro kam und ihn abrief, um ihn an die wohlbesetzte Tafel zu
führen, an der auch Marie ihrer wartete. Gewöhnlich sprach der
Maestro, der in der Heimath noch viel düsterer und sehr schweigsam
geworden, keine Silbe während der Mahlzeiten. Die Mohren ver-


das ihnen hier begegnete. So blieb es viele Tage. Dann fuhren
sie weiter und immer weiter und gelangten endlich nach Italien in
die Vaterstadt ihres neuen Vaters, denn so mußten sie den Maestro
nennen, der gar zornig wurde, wenn sie ihrer guten Mutter oder des
alten strengen Vaters in seiner Gegenwart gedachten.

Als sie nun in der neuen Heimath waren, begann ein ganz
anderes Leben. Das Haus des Maestro war groß und düster und
außer den beiden Mohren und einer alten Haushälterin, die Fulvia
hieß, betrat Niemand seine Schwelle. Schon am ersten Abend setzte
der Maestro sich an ein Klavier und spielte lange Zeit und mancher¬
lei Weisen darauf. Neugierig betrachteten die Kinder den Kasten,
aus dem so herrliche Töne erklangen, und die tollen Fingersprünge
des Maestro. Endlich brach der Knabe, nachdem er lange in sprach¬
loser Wonne den neuen Klängen gelauscht, in die Frage aus, wie der
Maestro das mache? was das für ein Leierkasten sei? — Der sagte
ihm, das sei kein Leierkasten, sondern ein Klavier, und Giovanni, so
nannte man den kleinen Hans jetzt, möge versuchen, ob er es
nachmachen könne, auf demselben zu spielen. Mehr verlangte der
Knabe nicht, und kaum verließ der Maestro das Zimmer, so stellte
Giovanni sich vor das Instrument und probirte immerfort, bis es
ihm gelang, auch hier, wie sonst auf seiner Weidenflöte, das Ge¬
hörte wiederzugeben.

Wie der Maestro das bemerkte, nahm er den Knaben, lehrte
ihn die Noten kennen und Tonleitern spielen und befahl ihm, täglich
zu bestimmter Stunde diese Uebungen zu machen und nicht eher da¬
mit aufzuhören, bis er selbst ihn davon abrufen würde. Giovanni
gehorchte. Täglich setzte er sich mit Lust an die Arbeit, aber eine
Stunde verging oft nach der andern, die kleinen Hände fingen dem
Kinde an weh zu thun, und der Maestro kam nicht, ihn abzuholen.
Das Schwesterchen durste nie im Zimmer bleiben, oft brach die
Dunkelheit herein, und dem Knaben ward dann so bange, daß helle
Thränen über seine Wangen liefen und die lebhafteste Sehnsucht in
ihm erwachte. Matt und traurig saß er fast immer da, wenn der
Maestro kam und ihn abrief, um ihn an die wohlbesetzte Tafel zu
führen, an der auch Marie ihrer wartete. Gewöhnlich sprach der
Maestro, der in der Heimath noch viel düsterer und sehr schweigsam
geworden, keine Silbe während der Mahlzeiten. Die Mohren ver-


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[0459] das ihnen hier begegnete. So blieb es viele Tage. Dann fuhren sie weiter und immer weiter und gelangten endlich nach Italien in die Vaterstadt ihres neuen Vaters, denn so mußten sie den Maestro nennen, der gar zornig wurde, wenn sie ihrer guten Mutter oder des alten strengen Vaters in seiner Gegenwart gedachten. Als sie nun in der neuen Heimath waren, begann ein ganz anderes Leben. Das Haus des Maestro war groß und düster und außer den beiden Mohren und einer alten Haushälterin, die Fulvia hieß, betrat Niemand seine Schwelle. Schon am ersten Abend setzte der Maestro sich an ein Klavier und spielte lange Zeit und mancher¬ lei Weisen darauf. Neugierig betrachteten die Kinder den Kasten, aus dem so herrliche Töne erklangen, und die tollen Fingersprünge des Maestro. Endlich brach der Knabe, nachdem er lange in sprach¬ loser Wonne den neuen Klängen gelauscht, in die Frage aus, wie der Maestro das mache? was das für ein Leierkasten sei? — Der sagte ihm, das sei kein Leierkasten, sondern ein Klavier, und Giovanni, so nannte man den kleinen Hans jetzt, möge versuchen, ob er es nachmachen könne, auf demselben zu spielen. Mehr verlangte der Knabe nicht, und kaum verließ der Maestro das Zimmer, so stellte Giovanni sich vor das Instrument und probirte immerfort, bis es ihm gelang, auch hier, wie sonst auf seiner Weidenflöte, das Ge¬ hörte wiederzugeben. Wie der Maestro das bemerkte, nahm er den Knaben, lehrte ihn die Noten kennen und Tonleitern spielen und befahl ihm, täglich zu bestimmter Stunde diese Uebungen zu machen und nicht eher da¬ mit aufzuhören, bis er selbst ihn davon abrufen würde. Giovanni gehorchte. Täglich setzte er sich mit Lust an die Arbeit, aber eine Stunde verging oft nach der andern, die kleinen Hände fingen dem Kinde an weh zu thun, und der Maestro kam nicht, ihn abzuholen. Das Schwesterchen durste nie im Zimmer bleiben, oft brach die Dunkelheit herein, und dem Knaben ward dann so bange, daß helle Thränen über seine Wangen liefen und die lebhafteste Sehnsucht in ihm erwachte. Matt und traurig saß er fast immer da, wenn der Maestro kam und ihn abrief, um ihn an die wohlbesetzte Tafel zu führen, an der auch Marie ihrer wartete. Gewöhnlich sprach der Maestro, der in der Heimath noch viel düsterer und sehr schweigsam geworden, keine Silbe während der Mahlzeiten. Die Mohren ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/459>, abgerufen am 28.07.2024.