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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Bergasyle an den gräflichen Stammsitz grenzen. Während sie bekeh-
rungssüchlig die Ketzer verfolgten, war es fast immer ihr Schicksal,
vom "Geist der Berge", der gewöhnlich in Gestalt eines wunderbar
schönen Mädchens auftrat, gefangen zu werden. Die Verbindungen,
die daraus entstehen, enden unglückselig, und eine waldenstsche Ahn¬
frau, die auf dem Todtenbette noch zur Ketzerei zurückkehrte, spukt im
Schlosse. Der selbsterzählende Held der Novelle war, aus Vorsicht,
in einem genuesischen Kloster erzogen und ein Muster von Frömmig¬
keit geworden. Doch ist diese Frömmigkeit eine tiefere und christlichere,
als sein Vater und die Pfaffen ihm einflößen wollten. Auch ihn
überkommt der Geist der Berge in der Gestalt Mormona's, allein er
ruft keinen innern Zwiespalt hervor bei dem Sohn der neuen Zeit.
Der junge Gras liebt und heirathet Mormona, ohne an seinem Glau¬
ben irre zu werden, oder mit argwöhnischen Eifer die Rechtgläubig¬
keit seiner Gemahlin zu bewachen. Nur am Starrsinn, an den un¬
glückseligen Erinnerungen seines Vaters und an der sorglos naiven
Heiterkeit der Waldenserin geht sein schönes Lebensglück zu Grunde-,
Mormona stirbt, aber auf dem Todtenbette ergibt sie sich, von dem
milden Sinn ihres Gatten bekehrt, aufrichtig der römischen Kirche.
Damit ist, für den alten Grafen, die Geistlichen und Domestiken,
der Fluch des Hauses gesühnt. Für uns und den jungen Grafen
lag die Sühne schon anfangs in dem überlegenen, echt menschlichen
Sinn, mit welchem dieser, vom katholischen Standpunkt aus, das
Verhältniß der Mutter Kirche zum Waldenserglauben auffaßt. Ihm
ist der letztere die Religion des kindlich heitern Natursinnes, der ge¬
nügsamen Einfalt, die Nichts weiß und wissen will von dem Sün-
denschmerz und Bußbedürfniß der verderbten Welt; die Waldenser be¬
ten auch nur zum lebenden und lehrenden, nicht zum peinvoll ster¬
benden Christus. Der Katholicismus ist ihm der Glaube des Men¬
schen, der auf höherer Lebens- und Entwicklungsstufe steht, der sich
zu reinigen hat von der Sünde oder doch von ihrem Anschauen. Ueber
diese Nothwendigkeit hinaus ist la Torre, als guter Katholik, noch
nicht gekommen, aber er verdammt den sinnlosen, pfäffischen Blut¬
durst, der aus Nnturkindern mit Gewalt bußfertige Ereaturen machen
will. -- Mormona selbst ist übrigens eine Figur von reizender Er¬
findung und bis zu Ende mit sehr feiner Hand gezeichnet.

-- Die Jesuitenfreunde in Luzern ernähren das Volk, ja kein
Veto gegen die Berufung von sieben Jesuiten zu erheben, weil die
Zahl Sieben eine heilige sei! Pius der Siebente habe den Orden der
Gesellschaft Jesu wieder eingesetzt, sieben Gaben besitze der heilige
Geist :c. (Sie vergessen das Sprichwort: Sieben ist eine Lüge.)
Solche Argumente beweisen nur, daß der Großrath von Luzern gewiß


Bergasyle an den gräflichen Stammsitz grenzen. Während sie bekeh-
rungssüchlig die Ketzer verfolgten, war es fast immer ihr Schicksal,
vom „Geist der Berge", der gewöhnlich in Gestalt eines wunderbar
schönen Mädchens auftrat, gefangen zu werden. Die Verbindungen,
die daraus entstehen, enden unglückselig, und eine waldenstsche Ahn¬
frau, die auf dem Todtenbette noch zur Ketzerei zurückkehrte, spukt im
Schlosse. Der selbsterzählende Held der Novelle war, aus Vorsicht,
in einem genuesischen Kloster erzogen und ein Muster von Frömmig¬
keit geworden. Doch ist diese Frömmigkeit eine tiefere und christlichere,
als sein Vater und die Pfaffen ihm einflößen wollten. Auch ihn
überkommt der Geist der Berge in der Gestalt Mormona's, allein er
ruft keinen innern Zwiespalt hervor bei dem Sohn der neuen Zeit.
Der junge Gras liebt und heirathet Mormona, ohne an seinem Glau¬
ben irre zu werden, oder mit argwöhnischen Eifer die Rechtgläubig¬
keit seiner Gemahlin zu bewachen. Nur am Starrsinn, an den un¬
glückseligen Erinnerungen seines Vaters und an der sorglos naiven
Heiterkeit der Waldenserin geht sein schönes Lebensglück zu Grunde-,
Mormona stirbt, aber auf dem Todtenbette ergibt sie sich, von dem
milden Sinn ihres Gatten bekehrt, aufrichtig der römischen Kirche.
Damit ist, für den alten Grafen, die Geistlichen und Domestiken,
der Fluch des Hauses gesühnt. Für uns und den jungen Grafen
lag die Sühne schon anfangs in dem überlegenen, echt menschlichen
Sinn, mit welchem dieser, vom katholischen Standpunkt aus, das
Verhältniß der Mutter Kirche zum Waldenserglauben auffaßt. Ihm
ist der letztere die Religion des kindlich heitern Natursinnes, der ge¬
nügsamen Einfalt, die Nichts weiß und wissen will von dem Sün-
denschmerz und Bußbedürfniß der verderbten Welt; die Waldenser be¬
ten auch nur zum lebenden und lehrenden, nicht zum peinvoll ster¬
benden Christus. Der Katholicismus ist ihm der Glaube des Men¬
schen, der auf höherer Lebens- und Entwicklungsstufe steht, der sich
zu reinigen hat von der Sünde oder doch von ihrem Anschauen. Ueber
diese Nothwendigkeit hinaus ist la Torre, als guter Katholik, noch
nicht gekommen, aber er verdammt den sinnlosen, pfäffischen Blut¬
durst, der aus Nnturkindern mit Gewalt bußfertige Ereaturen machen
will. — Mormona selbst ist übrigens eine Figur von reizender Er¬
findung und bis zu Ende mit sehr feiner Hand gezeichnet.

— Die Jesuitenfreunde in Luzern ernähren das Volk, ja kein
Veto gegen die Berufung von sieben Jesuiten zu erheben, weil die
Zahl Sieben eine heilige sei! Pius der Siebente habe den Orden der
Gesellschaft Jesu wieder eingesetzt, sieben Gaben besitze der heilige
Geist :c. (Sie vergessen das Sprichwort: Sieben ist eine Lüge.)
Solche Argumente beweisen nur, daß der Großrath von Luzern gewiß


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[0434] Bergasyle an den gräflichen Stammsitz grenzen. Während sie bekeh- rungssüchlig die Ketzer verfolgten, war es fast immer ihr Schicksal, vom „Geist der Berge", der gewöhnlich in Gestalt eines wunderbar schönen Mädchens auftrat, gefangen zu werden. Die Verbindungen, die daraus entstehen, enden unglückselig, und eine waldenstsche Ahn¬ frau, die auf dem Todtenbette noch zur Ketzerei zurückkehrte, spukt im Schlosse. Der selbsterzählende Held der Novelle war, aus Vorsicht, in einem genuesischen Kloster erzogen und ein Muster von Frömmig¬ keit geworden. Doch ist diese Frömmigkeit eine tiefere und christlichere, als sein Vater und die Pfaffen ihm einflößen wollten. Auch ihn überkommt der Geist der Berge in der Gestalt Mormona's, allein er ruft keinen innern Zwiespalt hervor bei dem Sohn der neuen Zeit. Der junge Gras liebt und heirathet Mormona, ohne an seinem Glau¬ ben irre zu werden, oder mit argwöhnischen Eifer die Rechtgläubig¬ keit seiner Gemahlin zu bewachen. Nur am Starrsinn, an den un¬ glückseligen Erinnerungen seines Vaters und an der sorglos naiven Heiterkeit der Waldenserin geht sein schönes Lebensglück zu Grunde-, Mormona stirbt, aber auf dem Todtenbette ergibt sie sich, von dem milden Sinn ihres Gatten bekehrt, aufrichtig der römischen Kirche. Damit ist, für den alten Grafen, die Geistlichen und Domestiken, der Fluch des Hauses gesühnt. Für uns und den jungen Grafen lag die Sühne schon anfangs in dem überlegenen, echt menschlichen Sinn, mit welchem dieser, vom katholischen Standpunkt aus, das Verhältniß der Mutter Kirche zum Waldenserglauben auffaßt. Ihm ist der letztere die Religion des kindlich heitern Natursinnes, der ge¬ nügsamen Einfalt, die Nichts weiß und wissen will von dem Sün- denschmerz und Bußbedürfniß der verderbten Welt; die Waldenser be¬ ten auch nur zum lebenden und lehrenden, nicht zum peinvoll ster¬ benden Christus. Der Katholicismus ist ihm der Glaube des Men¬ schen, der auf höherer Lebens- und Entwicklungsstufe steht, der sich zu reinigen hat von der Sünde oder doch von ihrem Anschauen. Ueber diese Nothwendigkeit hinaus ist la Torre, als guter Katholik, noch nicht gekommen, aber er verdammt den sinnlosen, pfäffischen Blut¬ durst, der aus Nnturkindern mit Gewalt bußfertige Ereaturen machen will. — Mormona selbst ist übrigens eine Figur von reizender Er¬ findung und bis zu Ende mit sehr feiner Hand gezeichnet. — Die Jesuitenfreunde in Luzern ernähren das Volk, ja kein Veto gegen die Berufung von sieben Jesuiten zu erheben, weil die Zahl Sieben eine heilige sei! Pius der Siebente habe den Orden der Gesellschaft Jesu wieder eingesetzt, sieben Gaben besitze der heilige Geist :c. (Sie vergessen das Sprichwort: Sieben ist eine Lüge.) Solche Argumente beweisen nur, daß der Großrath von Luzern gewiß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/434>, abgerufen am 27.07.2024.