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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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der deutschen Presse geworden sind, so will ich hier eines interessanten
Factums in der hiesigen Baumwollen-Industrie erwähnen. Die Wie¬
ner Baumwollen-Spinnereien, welche mit denen in der Banlieu an
fünfundfünfzigtausend Ballen jährlich verarbeiten, waren durch viele
Jahre Vasallen des Paschas von Aegypten. Diese Spinnereien be¬
zogen bisher lauter sogenannte Malo, d. h. ägyptische Wolle, da sie
ihnen sowohl durch die nähere Lage über Trieft, als durch das kräf¬
tigere Haar vortheilhafter als die amerikanische Baumwolle war. Aber
der Pascha, der bekanntlich das Monopol der Baumwolle in Aegyp¬
ten hat, stellte jährlich höhere Preise und lies) doch zu gleicher Zeit die
Baumwoll-Pflanzungen vernachlässigen, so daß die Wolle an Quali¬
tät immer mehr und mehr verlor. Die Folge war, daß die Wiener
Spinnfabriken der amerikanischen Wolle sich zuwendeten und in die¬
sem Augenblicke vier Fünftel Georgia, New-Orleans ?c. hier verarbeitet
werden, indessen nur ein Fünftel Malo noch verwendet wird. Die
ägyptische Baumwolle ist natürlich dadurch sehr gefallen, und der Pa¬
scha hat bereits die zweite Ernte absatzlos in seinen Lagern liegen, zu¬
mal im vorigen Jahre die amerikanische Ernte so beispiellos reich aus¬
gefallen ist. Die österreichischen Spinnereien, die noch vor wenigen
Jahren ein Schwindelgeschäft trieben, da sie trotz der hohen Zölle mit
dem Auslande nicht concurriren konnten, haben in letzterer Zeit an
Solidität und Ausdehnung sehr gewonnen. Das neue Zollgesetz, wel¬
ches den Zoll auf Garne von fünfzehn Gulden auf zwölf ein halb
und vom Februar 184.? auf zehn Gulden herabsetzte, bringt der ein¬
heimischen Garnindustrie statt eine gefährliche Concurrenz, wie man zu
befürchten glaubte, neues Leben und bereits erprobte Vortheile. Die
Schmuggler-Unternehmungen, welche in Böhmen auf einem sehr gro¬
ßen Fuß eingerichtet waren, stellten zur Zeit der hohen Zölle den ge¬
schmuggelten Centner Garn um die Hälfte wohlfeiler, als den verzoll¬
ten. Bei dem großen Absatz, den der Schmuggel dadurch fand, ren-
tirten sich seine gefahrvollen Unternehmungen, jetzt aber, wo er kaum
um ein Viertheil wohlfeiler, als die gesetzmäßig eingeführte Waare,
seine geschmuggelte liefern kann, ist die Gefahr zu wenig lohnend, und
der Fabrikant wendet sich daher lieber dem gefahrlosen Wege zu. Nun
erst steht die Wiener Garnspinnerei in einem gewissen Niveau mit der
ausländischen; mit dieser kann sie theilweise concurriren, mit dein
Schmuggel konnte sie es nie, doch spricht sich die Meinung der Sach¬
verständigen dahin aus, daß der Zollsatz von zehn Gulden per Cent¬
ner immer noch zu hoch ist, um den Schmuggel radical zu vernich¬
ten. Man braucht blos die Geschichte unserer Garnspinnereien zu be¬
obachten, und man wird finden: je niederer die Zölle sanken, desto
mehr Ausdehnung und Absatz fand die einheimische Industrie.


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der deutschen Presse geworden sind, so will ich hier eines interessanten
Factums in der hiesigen Baumwollen-Industrie erwähnen. Die Wie¬
ner Baumwollen-Spinnereien, welche mit denen in der Banlieu an
fünfundfünfzigtausend Ballen jährlich verarbeiten, waren durch viele
Jahre Vasallen des Paschas von Aegypten. Diese Spinnereien be¬
zogen bisher lauter sogenannte Malo, d. h. ägyptische Wolle, da sie
ihnen sowohl durch die nähere Lage über Trieft, als durch das kräf¬
tigere Haar vortheilhafter als die amerikanische Baumwolle war. Aber
der Pascha, der bekanntlich das Monopol der Baumwolle in Aegyp¬
ten hat, stellte jährlich höhere Preise und lies) doch zu gleicher Zeit die
Baumwoll-Pflanzungen vernachlässigen, so daß die Wolle an Quali¬
tät immer mehr und mehr verlor. Die Folge war, daß die Wiener
Spinnfabriken der amerikanischen Wolle sich zuwendeten und in die¬
sem Augenblicke vier Fünftel Georgia, New-Orleans ?c. hier verarbeitet
werden, indessen nur ein Fünftel Malo noch verwendet wird. Die
ägyptische Baumwolle ist natürlich dadurch sehr gefallen, und der Pa¬
scha hat bereits die zweite Ernte absatzlos in seinen Lagern liegen, zu¬
mal im vorigen Jahre die amerikanische Ernte so beispiellos reich aus¬
gefallen ist. Die österreichischen Spinnereien, die noch vor wenigen
Jahren ein Schwindelgeschäft trieben, da sie trotz der hohen Zölle mit
dem Auslande nicht concurriren konnten, haben in letzterer Zeit an
Solidität und Ausdehnung sehr gewonnen. Das neue Zollgesetz, wel¬
ches den Zoll auf Garne von fünfzehn Gulden auf zwölf ein halb
und vom Februar 184.? auf zehn Gulden herabsetzte, bringt der ein¬
heimischen Garnindustrie statt eine gefährliche Concurrenz, wie man zu
befürchten glaubte, neues Leben und bereits erprobte Vortheile. Die
Schmuggler-Unternehmungen, welche in Böhmen auf einem sehr gro¬
ßen Fuß eingerichtet waren, stellten zur Zeit der hohen Zölle den ge¬
schmuggelten Centner Garn um die Hälfte wohlfeiler, als den verzoll¬
ten. Bei dem großen Absatz, den der Schmuggel dadurch fand, ren-
tirten sich seine gefahrvollen Unternehmungen, jetzt aber, wo er kaum
um ein Viertheil wohlfeiler, als die gesetzmäßig eingeführte Waare,
seine geschmuggelte liefern kann, ist die Gefahr zu wenig lohnend, und
der Fabrikant wendet sich daher lieber dem gefahrlosen Wege zu. Nun
erst steht die Wiener Garnspinnerei in einem gewissen Niveau mit der
ausländischen; mit dieser kann sie theilweise concurriren, mit dein
Schmuggel konnte sie es nie, doch spricht sich die Meinung der Sach¬
verständigen dahin aus, daß der Zollsatz von zehn Gulden per Cent¬
ner immer noch zu hoch ist, um den Schmuggel radical zu vernich¬
ten. Man braucht blos die Geschichte unserer Garnspinnereien zu be¬
obachten, und man wird finden: je niederer die Zölle sanken, desto
mehr Ausdehnung und Absatz fand die einheimische Industrie.


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[0422] der deutschen Presse geworden sind, so will ich hier eines interessanten Factums in der hiesigen Baumwollen-Industrie erwähnen. Die Wie¬ ner Baumwollen-Spinnereien, welche mit denen in der Banlieu an fünfundfünfzigtausend Ballen jährlich verarbeiten, waren durch viele Jahre Vasallen des Paschas von Aegypten. Diese Spinnereien be¬ zogen bisher lauter sogenannte Malo, d. h. ägyptische Wolle, da sie ihnen sowohl durch die nähere Lage über Trieft, als durch das kräf¬ tigere Haar vortheilhafter als die amerikanische Baumwolle war. Aber der Pascha, der bekanntlich das Monopol der Baumwolle in Aegyp¬ ten hat, stellte jährlich höhere Preise und lies) doch zu gleicher Zeit die Baumwoll-Pflanzungen vernachlässigen, so daß die Wolle an Quali¬ tät immer mehr und mehr verlor. Die Folge war, daß die Wiener Spinnfabriken der amerikanischen Wolle sich zuwendeten und in die¬ sem Augenblicke vier Fünftel Georgia, New-Orleans ?c. hier verarbeitet werden, indessen nur ein Fünftel Malo noch verwendet wird. Die ägyptische Baumwolle ist natürlich dadurch sehr gefallen, und der Pa¬ scha hat bereits die zweite Ernte absatzlos in seinen Lagern liegen, zu¬ mal im vorigen Jahre die amerikanische Ernte so beispiellos reich aus¬ gefallen ist. Die österreichischen Spinnereien, die noch vor wenigen Jahren ein Schwindelgeschäft trieben, da sie trotz der hohen Zölle mit dem Auslande nicht concurriren konnten, haben in letzterer Zeit an Solidität und Ausdehnung sehr gewonnen. Das neue Zollgesetz, wel¬ ches den Zoll auf Garne von fünfzehn Gulden auf zwölf ein halb und vom Februar 184.? auf zehn Gulden herabsetzte, bringt der ein¬ heimischen Garnindustrie statt eine gefährliche Concurrenz, wie man zu befürchten glaubte, neues Leben und bereits erprobte Vortheile. Die Schmuggler-Unternehmungen, welche in Böhmen auf einem sehr gro¬ ßen Fuß eingerichtet waren, stellten zur Zeit der hohen Zölle den ge¬ schmuggelten Centner Garn um die Hälfte wohlfeiler, als den verzoll¬ ten. Bei dem großen Absatz, den der Schmuggel dadurch fand, ren- tirten sich seine gefahrvollen Unternehmungen, jetzt aber, wo er kaum um ein Viertheil wohlfeiler, als die gesetzmäßig eingeführte Waare, seine geschmuggelte liefern kann, ist die Gefahr zu wenig lohnend, und der Fabrikant wendet sich daher lieber dem gefahrlosen Wege zu. Nun erst steht die Wiener Garnspinnerei in einem gewissen Niveau mit der ausländischen; mit dieser kann sie theilweise concurriren, mit dein Schmuggel konnte sie es nie, doch spricht sich die Meinung der Sach¬ verständigen dahin aus, daß der Zollsatz von zehn Gulden per Cent¬ ner immer noch zu hoch ist, um den Schmuggel radical zu vernich¬ ten. Man braucht blos die Geschichte unserer Garnspinnereien zu be¬ obachten, und man wird finden: je niederer die Zölle sanken, desto mehr Ausdehnung und Absatz fand die einheimische Industrie. 5 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/422>, abgerufen am 01.09.2024.