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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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grünen Baum sitzen, seinen Kaffee, oder sein geliebtes Weißbier trin¬
ken und dazu noch für zwei Groschen ein schönes Concert hören
kann. Diese Gartenconcerte haben sich erst in den letzten Jahren zu
einem so charakteristischen Moment des hiesigen Lebens herausgebildet.
Man besuchte freilich auch früher schon diese Locale, aber man machte
noch nicht die großstädtischen Ansprüche an dieselben, man wollte eben
nur im Freien sein und begnügte sich daher ganz gemüthlich mit der
frischen Luft und einer ganz unerträglichen Musik. Man war noch
kleinstadtischer und harmloser. Das hat sich seit fünf oder sechs Jah¬
ren verändert. Dem täglich steigenden Luxus und der immer regen
Genußsucht kommt die Speculation entgegen, diese erzeugt wieder die
Concurrenz, und so hat denn Berlin eine Masse von Vergnügungen
erhalten, die es früher gar nicht gekannt hat. Schon genügen die
schönen Concerte, die rauschende Walzermusik der Steicrmärker, für
die man anfangs so schwärmte, nicht mehr, man will auch dabei al¬
lerhand glänzende Abwechslungen, prächtige Illuminationen, Feuer¬
werke und dergleichen haben, und täglich kündigen die öffentlichen
Blätter eine Masse derselben und immer etwas Neues und Glänzen¬
deres an. Dadurch, daß es nun Ton, eine Nothwendigkeit, ein Be¬
dürfniß geworden ist, diese Orte zu besuchen, haben sie eine bestimmte
Form, einen Charakter gewonnen, der für den Beobachter gar nicht
so uninteressant ist, als Mancher glauben mag. Denn wo soll man sonst
das aller weiteren Oeffentlichkeit entbehrende Leben einer deutschen Stadt an¬
ders kennen lernen, als an ihren öffentlichen Vergnügungsplätzen ? An der
ganzen Art und Weise, wie die Leute sich unterhalten, offenbart sich
gewöhnlich ihr eigentliches Wesen, freilich nur für denjenigen, der tie¬
fer in solche scheinbar "unwichtige" Dinge einzugehen und sociale Zu¬
stände nach allen ihren Seiten zu studiren weiß. Man hat noch ver¬
flucht wenig gesagt, wenn man von einem mit Hunderten von Men¬
schen angefüllten Orte blos mit der Bemerkung weggeht, daß man
sich da ennuyirt habe. Und nennt man die Leute "verrückt", daß sie
auf diese Weise sich unterhalten können, so muß man sich eben diese Ver¬
rücktheit aus ihrem Wesen und ihren Verhältnissen zu erklären su¬
chen, nicht aber das bloße Gefühl der persönlichen Unbehaglichkeit als
Maßstab an die Verhältnisse legen.

Die Berliner Vergnügungsplätze sind aber in der Thut interes¬
sant, und zwar nicht blos als Ausdruck des allgemeinen Wesens, son¬
dern auch durch eine Masse specieller Gesichter, die man da in der
Stille beobachten kann. Besonders ist in dieser Beziehung das sah^
Günther'sche Local mit seinen dunklen schattigen Laubgängen wich¬
tig, in denen sich hauptsächlich Abends Alles verbergen kann, was das
Auge und Ohr der Menschen nicht erreichen soll. Herr Günther war es,
der mit seinen schönen Concerten und Illuminationen, mit seinem
Eifer, die Bedürfnisse seines Publicums zu studiren und ihnen ent-


grünen Baum sitzen, seinen Kaffee, oder sein geliebtes Weißbier trin¬
ken und dazu noch für zwei Groschen ein schönes Concert hören
kann. Diese Gartenconcerte haben sich erst in den letzten Jahren zu
einem so charakteristischen Moment des hiesigen Lebens herausgebildet.
Man besuchte freilich auch früher schon diese Locale, aber man machte
noch nicht die großstädtischen Ansprüche an dieselben, man wollte eben
nur im Freien sein und begnügte sich daher ganz gemüthlich mit der
frischen Luft und einer ganz unerträglichen Musik. Man war noch
kleinstadtischer und harmloser. Das hat sich seit fünf oder sechs Jah¬
ren verändert. Dem täglich steigenden Luxus und der immer regen
Genußsucht kommt die Speculation entgegen, diese erzeugt wieder die
Concurrenz, und so hat denn Berlin eine Masse von Vergnügungen
erhalten, die es früher gar nicht gekannt hat. Schon genügen die
schönen Concerte, die rauschende Walzermusik der Steicrmärker, für
die man anfangs so schwärmte, nicht mehr, man will auch dabei al¬
lerhand glänzende Abwechslungen, prächtige Illuminationen, Feuer¬
werke und dergleichen haben, und täglich kündigen die öffentlichen
Blätter eine Masse derselben und immer etwas Neues und Glänzen¬
deres an. Dadurch, daß es nun Ton, eine Nothwendigkeit, ein Be¬
dürfniß geworden ist, diese Orte zu besuchen, haben sie eine bestimmte
Form, einen Charakter gewonnen, der für den Beobachter gar nicht
so uninteressant ist, als Mancher glauben mag. Denn wo soll man sonst
das aller weiteren Oeffentlichkeit entbehrende Leben einer deutschen Stadt an¬
ders kennen lernen, als an ihren öffentlichen Vergnügungsplätzen ? An der
ganzen Art und Weise, wie die Leute sich unterhalten, offenbart sich
gewöhnlich ihr eigentliches Wesen, freilich nur für denjenigen, der tie¬
fer in solche scheinbar „unwichtige" Dinge einzugehen und sociale Zu¬
stände nach allen ihren Seiten zu studiren weiß. Man hat noch ver¬
flucht wenig gesagt, wenn man von einem mit Hunderten von Men¬
schen angefüllten Orte blos mit der Bemerkung weggeht, daß man
sich da ennuyirt habe. Und nennt man die Leute „verrückt", daß sie
auf diese Weise sich unterhalten können, so muß man sich eben diese Ver¬
rücktheit aus ihrem Wesen und ihren Verhältnissen zu erklären su¬
chen, nicht aber das bloße Gefühl der persönlichen Unbehaglichkeit als
Maßstab an die Verhältnisse legen.

Die Berliner Vergnügungsplätze sind aber in der Thut interes¬
sant, und zwar nicht blos als Ausdruck des allgemeinen Wesens, son¬
dern auch durch eine Masse specieller Gesichter, die man da in der
Stille beobachten kann. Besonders ist in dieser Beziehung das sah^
Günther'sche Local mit seinen dunklen schattigen Laubgängen wich¬
tig, in denen sich hauptsächlich Abends Alles verbergen kann, was das
Auge und Ohr der Menschen nicht erreichen soll. Herr Günther war es,
der mit seinen schönen Concerten und Illuminationen, mit seinem
Eifer, die Bedürfnisse seines Publicums zu studiren und ihnen ent-


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[0042] grünen Baum sitzen, seinen Kaffee, oder sein geliebtes Weißbier trin¬ ken und dazu noch für zwei Groschen ein schönes Concert hören kann. Diese Gartenconcerte haben sich erst in den letzten Jahren zu einem so charakteristischen Moment des hiesigen Lebens herausgebildet. Man besuchte freilich auch früher schon diese Locale, aber man machte noch nicht die großstädtischen Ansprüche an dieselben, man wollte eben nur im Freien sein und begnügte sich daher ganz gemüthlich mit der frischen Luft und einer ganz unerträglichen Musik. Man war noch kleinstadtischer und harmloser. Das hat sich seit fünf oder sechs Jah¬ ren verändert. Dem täglich steigenden Luxus und der immer regen Genußsucht kommt die Speculation entgegen, diese erzeugt wieder die Concurrenz, und so hat denn Berlin eine Masse von Vergnügungen erhalten, die es früher gar nicht gekannt hat. Schon genügen die schönen Concerte, die rauschende Walzermusik der Steicrmärker, für die man anfangs so schwärmte, nicht mehr, man will auch dabei al¬ lerhand glänzende Abwechslungen, prächtige Illuminationen, Feuer¬ werke und dergleichen haben, und täglich kündigen die öffentlichen Blätter eine Masse derselben und immer etwas Neues und Glänzen¬ deres an. Dadurch, daß es nun Ton, eine Nothwendigkeit, ein Be¬ dürfniß geworden ist, diese Orte zu besuchen, haben sie eine bestimmte Form, einen Charakter gewonnen, der für den Beobachter gar nicht so uninteressant ist, als Mancher glauben mag. Denn wo soll man sonst das aller weiteren Oeffentlichkeit entbehrende Leben einer deutschen Stadt an¬ ders kennen lernen, als an ihren öffentlichen Vergnügungsplätzen ? An der ganzen Art und Weise, wie die Leute sich unterhalten, offenbart sich gewöhnlich ihr eigentliches Wesen, freilich nur für denjenigen, der tie¬ fer in solche scheinbar „unwichtige" Dinge einzugehen und sociale Zu¬ stände nach allen ihren Seiten zu studiren weiß. Man hat noch ver¬ flucht wenig gesagt, wenn man von einem mit Hunderten von Men¬ schen angefüllten Orte blos mit der Bemerkung weggeht, daß man sich da ennuyirt habe. Und nennt man die Leute „verrückt", daß sie auf diese Weise sich unterhalten können, so muß man sich eben diese Ver¬ rücktheit aus ihrem Wesen und ihren Verhältnissen zu erklären su¬ chen, nicht aber das bloße Gefühl der persönlichen Unbehaglichkeit als Maßstab an die Verhältnisse legen. Die Berliner Vergnügungsplätze sind aber in der Thut interes¬ sant, und zwar nicht blos als Ausdruck des allgemeinen Wesens, son¬ dern auch durch eine Masse specieller Gesichter, die man da in der Stille beobachten kann. Besonders ist in dieser Beziehung das sah^ Günther'sche Local mit seinen dunklen schattigen Laubgängen wich¬ tig, in denen sich hauptsächlich Abends Alles verbergen kann, was das Auge und Ohr der Menschen nicht erreichen soll. Herr Günther war es, der mit seinen schönen Concerten und Illuminationen, mit seinem Eifer, die Bedürfnisse seines Publicums zu studiren und ihnen ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/42>, abgerufen am 01.09.2024.