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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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prunkhaften Einflüsse des modernen Lebens haben, wie es scheint, in
ihm die demokratische Natur bis jetzt nicht ganzlich tilgen können.
Dies muß ihm auch, wenigstens in dieser Hinsicht, die Achtung sei¬
ner Gegner sichern. Daß er, gleich als er sich erhob und ehe er noch
ein Wort gesprochen, wie ein Schauspieler von Mehreren beklatscht
wurde, gefiel dem ruhigen Beobachter keineswegs. Dingelstedt ver¬
hielt sich schweigend. "Der Weg zum Hofcath" wird der Titel mei¬
ner nächsten Schrift sein. Hofrath zu heißen ist an sich gerade keine
Sünde, kann aber unter Umständen und im Gegensatz zu früher aus¬
gesprochenen unhofräthlichen Gesinnungen wohl ein Unglück, ein selbst¬
verschuldetes, also tragisches Mißgeschick genannt werden. Das mensch¬
liche und namentlich das deutsche Fleisch ist leider so schwach, der
deutsche Geist aber zu Allem willig, namentlich zu einem Titel. Ver¬
kennen wir indeß nicht, daß am Ende vielleicht mehr die "Frau Hof¬
räthin", als der "Herr Hofrath" zu einer solchen Katastrophe Veran¬
lassung gab. Zu welchen Zugeständnissen versteht sich der gute liebe
Deutsche nicht, wenn damit seiner zweiten besseren Hälfte ein Gefal¬
len geschieht!' So löst sich bei dem Deutschen zuletzt Alles in Liebe
und Freundschaft auf und beruht auf den tiefsten Sympathien der
Zärtlichkeit!


II.
Ans Berlin,
i.5.

Die Naturliebe der Berliner. -- steigende Genußsucht. -- Die Sommerconcertc.
-- Günther's Garten. -- Vergnügungen dert Armen. -- Kroll. -- Die Be¬
richterstatter über die Gewcrveciusstellung. -- Italienische Oper. -- Wiener's
"Waise von Lucca."

Der Herbst scheint doch etwas freundlicher zu werden, als der
Sommer war, und auch die hiesigen Sommervergnügungen scheinen
sich durch die günstigere Witterung noch einmal erholen zu wollen.
So wie die Sonne nur einmal ein freundlich Gesicht macht, gleich
sieht man auch ganze Massen von geputzten Spaziergängern den Tho¬
ren zuströmen. Die ungeheuern Steinmassen Berlins üben bei war¬
mem Wetter einen so niederdrückenden, ermattenden Einfluß aus, daß
es den Leuten nicht zu verargen ist, wenn sie mit so possiclicher Ge¬
schäftigkeit, mit so ernstem Pflichteifer gegen sich selber, einem Bis¬
chen frischerer Luft nachlaufen. Der Berliner liebt die Natur, er
wird gleich kindlich, naiv, wenn er einmal in's "Jrine" kommt, je¬
der Strauch, jeder Grashalm, jede Blume ist da für ihn eine ganz
kostbare Rarität. So ist er denn natürlich schon ganz seelenvergnügt,
wenn er Abends, nach gethaner Arbeit, oder wenigstens Sonntags
einmal durch eine grüne Allee gehen, oder gar nachher unter einem


prunkhaften Einflüsse des modernen Lebens haben, wie es scheint, in
ihm die demokratische Natur bis jetzt nicht ganzlich tilgen können.
Dies muß ihm auch, wenigstens in dieser Hinsicht, die Achtung sei¬
ner Gegner sichern. Daß er, gleich als er sich erhob und ehe er noch
ein Wort gesprochen, wie ein Schauspieler von Mehreren beklatscht
wurde, gefiel dem ruhigen Beobachter keineswegs. Dingelstedt ver¬
hielt sich schweigend. „Der Weg zum Hofcath" wird der Titel mei¬
ner nächsten Schrift sein. Hofrath zu heißen ist an sich gerade keine
Sünde, kann aber unter Umständen und im Gegensatz zu früher aus¬
gesprochenen unhofräthlichen Gesinnungen wohl ein Unglück, ein selbst¬
verschuldetes, also tragisches Mißgeschick genannt werden. Das mensch¬
liche und namentlich das deutsche Fleisch ist leider so schwach, der
deutsche Geist aber zu Allem willig, namentlich zu einem Titel. Ver¬
kennen wir indeß nicht, daß am Ende vielleicht mehr die „Frau Hof¬
räthin", als der „Herr Hofrath" zu einer solchen Katastrophe Veran¬
lassung gab. Zu welchen Zugeständnissen versteht sich der gute liebe
Deutsche nicht, wenn damit seiner zweiten besseren Hälfte ein Gefal¬
len geschieht!' So löst sich bei dem Deutschen zuletzt Alles in Liebe
und Freundschaft auf und beruht auf den tiefsten Sympathien der
Zärtlichkeit!


II.
Ans Berlin,
i.5.

Die Naturliebe der Berliner. — steigende Genußsucht. — Die Sommerconcertc.
— Günther's Garten. — Vergnügungen dert Armen. — Kroll. — Die Be¬
richterstatter über die Gewcrveciusstellung. — Italienische Oper. — Wiener's
„Waise von Lucca."

Der Herbst scheint doch etwas freundlicher zu werden, als der
Sommer war, und auch die hiesigen Sommervergnügungen scheinen
sich durch die günstigere Witterung noch einmal erholen zu wollen.
So wie die Sonne nur einmal ein freundlich Gesicht macht, gleich
sieht man auch ganze Massen von geputzten Spaziergängern den Tho¬
ren zuströmen. Die ungeheuern Steinmassen Berlins üben bei war¬
mem Wetter einen so niederdrückenden, ermattenden Einfluß aus, daß
es den Leuten nicht zu verargen ist, wenn sie mit so possiclicher Ge¬
schäftigkeit, mit so ernstem Pflichteifer gegen sich selber, einem Bis¬
chen frischerer Luft nachlaufen. Der Berliner liebt die Natur, er
wird gleich kindlich, naiv, wenn er einmal in's „Jrine" kommt, je¬
der Strauch, jeder Grashalm, jede Blume ist da für ihn eine ganz
kostbare Rarität. So ist er denn natürlich schon ganz seelenvergnügt,
wenn er Abends, nach gethaner Arbeit, oder wenigstens Sonntags
einmal durch eine grüne Allee gehen, oder gar nachher unter einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/41>, abgerufen am 05.12.2024.