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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Gewalt, weit mehr aber erreichten die Gutsherren als Dorfobrigkei-
ten in kleineren Kreisen. Wie die Landesherren, so verfügten allmälig
auch die Gutsherren aus obrigkeitlicher Gewalt, als gesetzgebende
Herren über ursprünglich freie, nach eigenen Gesetzen sich regierende
Dorfgemeinden. Die Gerichte selbst wurden von den Schulzen und
Bauern besetzt, das Volk selbst nahm Theil an der Rechtsprechung.
Nach einer Urkunde von 1497 sollten alle freien Männer das Vog-
teigericht zu Kalbe besuchen. Im Jahre 156" haben die von Knese-
beck im Dorfe Dore "füren Kirchhofe üblicher Weise Gericht hal¬
ten und nach altem Herkommen lassen niedersetzen . . . durch
Schultheise und gemeine Pauren ist erkannt" .... Dann folgen
Gliede allgemeine Fragen, "darauf die niedergesetzten Schultheisen und
Pauren erkannt und gesprochen- Wo einer dem andern eine Föhre
Landes abpflügt, gibt der Uebertreter dem Junkherrn drei Pfund.
Wo jemand von gemeinem Plazze oder Landstraßen zu seinem Hofe
einen Fuß lang bezäunen oder nehmen würde, -- gibt dem Gerichts ¬
serm dreißig Schilling indisch, und wer mehr als einen Fuß einge¬
zäunet, gibt der Uebertreter von jedem Fuß einen Thaler. Wer Zak-
ken und Aeste von Eichenbohme auf der Straßen abhauet und übet
daran Gewalt da der Gerichtsherr zu strafen. Wo man Gericht sitze,
und durch die Kloaken die gemeinen Inwohner zu Dore darzu for¬
dert, wer alsdann ohne Ursachen und Entschuldigung außen bleibt,
gibt drei Schilling zur Strafe."

Das sind schwache Spuren der ehemaligen Autonomie, der ge¬
setzgebenden Gewalt, die in den Händen der Dorfgemeinde lag, die
die Gutsherren immer den Gemeinden zu entwinden und sich anzu¬
eignen wußten. "Fürin Kirchhofe" hat man Gericht gehalten und
durch die "Kloaken" sollen gemeine, d. h. sämmtliche Einwohner dazu
gerufen werden. Die Kirche, der Kirchhof erscheinen überhaupt häu¬
fig als Mittel- und Sammelpunkt der politischen Gemeinde. Die
Glocken riefen nicht blos zum Kirchendienst, sondern auch zur Ge¬
meindeversammlung. Von der Kanzel herab wurde der versammel¬
ten Gemeinde nicht blos das "Wort Gottes" verkündet, sondern was
ihr im Allgemeinen zu wissen nöthig. Dies der Ursprung der Auf¬
gebote. So heißt es in einer Gerichtsordnung von 1562: Die
Schulzen in den Dörfern sollen alle Sonntage nach der Predigt vor
dem Kirchhofe, dabei jeder Nachbar, d. h. jeder selbständige Gemeindege-


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Gewalt, weit mehr aber erreichten die Gutsherren als Dorfobrigkei-
ten in kleineren Kreisen. Wie die Landesherren, so verfügten allmälig
auch die Gutsherren aus obrigkeitlicher Gewalt, als gesetzgebende
Herren über ursprünglich freie, nach eigenen Gesetzen sich regierende
Dorfgemeinden. Die Gerichte selbst wurden von den Schulzen und
Bauern besetzt, das Volk selbst nahm Theil an der Rechtsprechung.
Nach einer Urkunde von 1497 sollten alle freien Männer das Vog-
teigericht zu Kalbe besuchen. Im Jahre 156» haben die von Knese-
beck im Dorfe Dore „füren Kirchhofe üblicher Weise Gericht hal¬
ten und nach altem Herkommen lassen niedersetzen . . . durch
Schultheise und gemeine Pauren ist erkannt" .... Dann folgen
Gliede allgemeine Fragen, „darauf die niedergesetzten Schultheisen und
Pauren erkannt und gesprochen- Wo einer dem andern eine Föhre
Landes abpflügt, gibt der Uebertreter dem Junkherrn drei Pfund.
Wo jemand von gemeinem Plazze oder Landstraßen zu seinem Hofe
einen Fuß lang bezäunen oder nehmen würde, — gibt dem Gerichts ¬
serm dreißig Schilling indisch, und wer mehr als einen Fuß einge¬
zäunet, gibt der Uebertreter von jedem Fuß einen Thaler. Wer Zak-
ken und Aeste von Eichenbohme auf der Straßen abhauet und übet
daran Gewalt da der Gerichtsherr zu strafen. Wo man Gericht sitze,
und durch die Kloaken die gemeinen Inwohner zu Dore darzu for¬
dert, wer alsdann ohne Ursachen und Entschuldigung außen bleibt,
gibt drei Schilling zur Strafe."

Das sind schwache Spuren der ehemaligen Autonomie, der ge¬
setzgebenden Gewalt, die in den Händen der Dorfgemeinde lag, die
die Gutsherren immer den Gemeinden zu entwinden und sich anzu¬
eignen wußten. „Fürin Kirchhofe" hat man Gericht gehalten und
durch die „Kloaken" sollen gemeine, d. h. sämmtliche Einwohner dazu
gerufen werden. Die Kirche, der Kirchhof erscheinen überhaupt häu¬
fig als Mittel- und Sammelpunkt der politischen Gemeinde. Die
Glocken riefen nicht blos zum Kirchendienst, sondern auch zur Ge¬
meindeversammlung. Von der Kanzel herab wurde der versammel¬
ten Gemeinde nicht blos das „Wort Gottes" verkündet, sondern was
ihr im Allgemeinen zu wissen nöthig. Dies der Ursprung der Auf¬
gebote. So heißt es in einer Gerichtsordnung von 1562: Die
Schulzen in den Dörfern sollen alle Sonntage nach der Predigt vor
dem Kirchhofe, dabei jeder Nachbar, d. h. jeder selbständige Gemeindege-


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[0407] Gewalt, weit mehr aber erreichten die Gutsherren als Dorfobrigkei- ten in kleineren Kreisen. Wie die Landesherren, so verfügten allmälig auch die Gutsherren aus obrigkeitlicher Gewalt, als gesetzgebende Herren über ursprünglich freie, nach eigenen Gesetzen sich regierende Dorfgemeinden. Die Gerichte selbst wurden von den Schulzen und Bauern besetzt, das Volk selbst nahm Theil an der Rechtsprechung. Nach einer Urkunde von 1497 sollten alle freien Männer das Vog- teigericht zu Kalbe besuchen. Im Jahre 156» haben die von Knese- beck im Dorfe Dore „füren Kirchhofe üblicher Weise Gericht hal¬ ten und nach altem Herkommen lassen niedersetzen . . . durch Schultheise und gemeine Pauren ist erkannt" .... Dann folgen Gliede allgemeine Fragen, „darauf die niedergesetzten Schultheisen und Pauren erkannt und gesprochen- Wo einer dem andern eine Föhre Landes abpflügt, gibt der Uebertreter dem Junkherrn drei Pfund. Wo jemand von gemeinem Plazze oder Landstraßen zu seinem Hofe einen Fuß lang bezäunen oder nehmen würde, — gibt dem Gerichts ¬ serm dreißig Schilling indisch, und wer mehr als einen Fuß einge¬ zäunet, gibt der Uebertreter von jedem Fuß einen Thaler. Wer Zak- ken und Aeste von Eichenbohme auf der Straßen abhauet und übet daran Gewalt da der Gerichtsherr zu strafen. Wo man Gericht sitze, und durch die Kloaken die gemeinen Inwohner zu Dore darzu for¬ dert, wer alsdann ohne Ursachen und Entschuldigung außen bleibt, gibt drei Schilling zur Strafe." Das sind schwache Spuren der ehemaligen Autonomie, der ge¬ setzgebenden Gewalt, die in den Händen der Dorfgemeinde lag, die die Gutsherren immer den Gemeinden zu entwinden und sich anzu¬ eignen wußten. „Fürin Kirchhofe" hat man Gericht gehalten und durch die „Kloaken" sollen gemeine, d. h. sämmtliche Einwohner dazu gerufen werden. Die Kirche, der Kirchhof erscheinen überhaupt häu¬ fig als Mittel- und Sammelpunkt der politischen Gemeinde. Die Glocken riefen nicht blos zum Kirchendienst, sondern auch zur Ge¬ meindeversammlung. Von der Kanzel herab wurde der versammel¬ ten Gemeinde nicht blos das „Wort Gottes" verkündet, sondern was ihr im Allgemeinen zu wissen nöthig. Dies der Ursprung der Auf¬ gebote. So heißt es in einer Gerichtsordnung von 1562: Die Schulzen in den Dörfern sollen alle Sonntage nach der Predigt vor dem Kirchhofe, dabei jeder Nachbar, d. h. jeder selbständige Gemeindege- 51 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/407>, abgerufen am 28.07.2024.