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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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gleichzeitige Rittner, "haben die im freien Drömmling ihre Wehren
ergriffen, sich zusammengethan, Hauptleute unter sich aufgeworfen
und den Feind verjagt, ihnen sind die an der Biese und am Tan¬
ger gefolgt." Beim Einfalle der Schweden in die Mark 1674 grif¬
fen die Bauern der Altmark abermals zu den Waffen (nur von den
Bauern der Altmark melden gleichzeitige Berichte), zogen unter Füh¬
rung der Schützen mit Fahnen, deren eine noch heute in einer alt¬
märkischen Dorfkirche aufbewahrt wird, an die Elbe nach Werben,
um dort verschanzt den Schweden den Uebergang zu wehren. Wie
sie dem Feinde sich widersetzten, so auch der Einführung neuer Steu¬
ern durch den großen Kurfürsten. Ja, als durch die Gesindeordnüng
von 1620 ein Zwangdienen eingeführt werden sollte, erklärten viele
Bauern, daß sie eher Haus und Hof verlassen würden, als zuzuse¬
hen und zu verstatten, daß ihre Kinder dem Junker dienten. Schon
früher war in der von Alvensleben aus angemaßter gutsobrigkeit-
lichcr Machtvollkommenheit gegebenen Gerichtsordnung darüber ge¬
klagt, daß "die Mägde Niemand unterthänig und bedient sein wol¬
len." Es soll "hinfort dergleichen Leddiggängenschen keineswegs ge¬
duldet werden. Würde sich aber eine oder die andere im Gerichte
aufhalten, so soll dieselbe der Obrigkeit jedes Jahr einen Thaler ent¬
richten, wie denn wöchentlich einen Tag dienen." So maßte sich der
Adel ein Besteuerungsrecht an, das Recht, die Freiheit und Selb¬
ständigkeit zu besteuern, um zum Dienen zu zwingen. Solche ange¬
maßte Rechte nennt man heute "wohlerworbene Rechte". So wußte
der Adel allmälig den Zwangsdienst einzuführen, den Hofdienst aus¬
zudehnen und die uralte Bauernfreiheit mehr und mehr zu untergraben,
wiewohl der altmärkische Bauer immer Eigenthümer seines Hofes
blieb. Die Bauernordnung der Kurmark von 1683 in der Altmark
einzuführen, war "wegen allerhand Ursachen" unmöglich.

Die richterliche Gewalt lag nach der alten deutschen Verfassung
in den Händen des Volks, der freien Leute. Auch der ^altmärkische
Bauer war lange Zeit Beisitzer und Urtheilsfinder im Dorfgerichte,
wie im Landgerichte. Die Gerichtsherren hatten nur den Vorsitz und
die Gerichtseinkünfte, die Strafen und Sporteln, die sie als Vogtei-
inhaber oder sonst von den stets geldbedürftigen Regenten erkauft,
oder auch als Besitzer der Schulzengerichte weiter ausgedehnt. Die
Landesherren strebten als Landesobrigkeiten nach Ausdehnung ihrer


gleichzeitige Rittner, „haben die im freien Drömmling ihre Wehren
ergriffen, sich zusammengethan, Hauptleute unter sich aufgeworfen
und den Feind verjagt, ihnen sind die an der Biese und am Tan¬
ger gefolgt." Beim Einfalle der Schweden in die Mark 1674 grif¬
fen die Bauern der Altmark abermals zu den Waffen (nur von den
Bauern der Altmark melden gleichzeitige Berichte), zogen unter Füh¬
rung der Schützen mit Fahnen, deren eine noch heute in einer alt¬
märkischen Dorfkirche aufbewahrt wird, an die Elbe nach Werben,
um dort verschanzt den Schweden den Uebergang zu wehren. Wie
sie dem Feinde sich widersetzten, so auch der Einführung neuer Steu¬
ern durch den großen Kurfürsten. Ja, als durch die Gesindeordnüng
von 1620 ein Zwangdienen eingeführt werden sollte, erklärten viele
Bauern, daß sie eher Haus und Hof verlassen würden, als zuzuse¬
hen und zu verstatten, daß ihre Kinder dem Junker dienten. Schon
früher war in der von Alvensleben aus angemaßter gutsobrigkeit-
lichcr Machtvollkommenheit gegebenen Gerichtsordnung darüber ge¬
klagt, daß „die Mägde Niemand unterthänig und bedient sein wol¬
len." Es soll „hinfort dergleichen Leddiggängenschen keineswegs ge¬
duldet werden. Würde sich aber eine oder die andere im Gerichte
aufhalten, so soll dieselbe der Obrigkeit jedes Jahr einen Thaler ent¬
richten, wie denn wöchentlich einen Tag dienen." So maßte sich der
Adel ein Besteuerungsrecht an, das Recht, die Freiheit und Selb¬
ständigkeit zu besteuern, um zum Dienen zu zwingen. Solche ange¬
maßte Rechte nennt man heute „wohlerworbene Rechte". So wußte
der Adel allmälig den Zwangsdienst einzuführen, den Hofdienst aus¬
zudehnen und die uralte Bauernfreiheit mehr und mehr zu untergraben,
wiewohl der altmärkische Bauer immer Eigenthümer seines Hofes
blieb. Die Bauernordnung der Kurmark von 1683 in der Altmark
einzuführen, war „wegen allerhand Ursachen" unmöglich.

Die richterliche Gewalt lag nach der alten deutschen Verfassung
in den Händen des Volks, der freien Leute. Auch der ^altmärkische
Bauer war lange Zeit Beisitzer und Urtheilsfinder im Dorfgerichte,
wie im Landgerichte. Die Gerichtsherren hatten nur den Vorsitz und
die Gerichtseinkünfte, die Strafen und Sporteln, die sie als Vogtei-
inhaber oder sonst von den stets geldbedürftigen Regenten erkauft,
oder auch als Besitzer der Schulzengerichte weiter ausgedehnt. Die
Landesherren strebten als Landesobrigkeiten nach Ausdehnung ihrer


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[0406] gleichzeitige Rittner, „haben die im freien Drömmling ihre Wehren ergriffen, sich zusammengethan, Hauptleute unter sich aufgeworfen und den Feind verjagt, ihnen sind die an der Biese und am Tan¬ ger gefolgt." Beim Einfalle der Schweden in die Mark 1674 grif¬ fen die Bauern der Altmark abermals zu den Waffen (nur von den Bauern der Altmark melden gleichzeitige Berichte), zogen unter Füh¬ rung der Schützen mit Fahnen, deren eine noch heute in einer alt¬ märkischen Dorfkirche aufbewahrt wird, an die Elbe nach Werben, um dort verschanzt den Schweden den Uebergang zu wehren. Wie sie dem Feinde sich widersetzten, so auch der Einführung neuer Steu¬ ern durch den großen Kurfürsten. Ja, als durch die Gesindeordnüng von 1620 ein Zwangdienen eingeführt werden sollte, erklärten viele Bauern, daß sie eher Haus und Hof verlassen würden, als zuzuse¬ hen und zu verstatten, daß ihre Kinder dem Junker dienten. Schon früher war in der von Alvensleben aus angemaßter gutsobrigkeit- lichcr Machtvollkommenheit gegebenen Gerichtsordnung darüber ge¬ klagt, daß „die Mägde Niemand unterthänig und bedient sein wol¬ len." Es soll „hinfort dergleichen Leddiggängenschen keineswegs ge¬ duldet werden. Würde sich aber eine oder die andere im Gerichte aufhalten, so soll dieselbe der Obrigkeit jedes Jahr einen Thaler ent¬ richten, wie denn wöchentlich einen Tag dienen." So maßte sich der Adel ein Besteuerungsrecht an, das Recht, die Freiheit und Selb¬ ständigkeit zu besteuern, um zum Dienen zu zwingen. Solche ange¬ maßte Rechte nennt man heute „wohlerworbene Rechte". So wußte der Adel allmälig den Zwangsdienst einzuführen, den Hofdienst aus¬ zudehnen und die uralte Bauernfreiheit mehr und mehr zu untergraben, wiewohl der altmärkische Bauer immer Eigenthümer seines Hofes blieb. Die Bauernordnung der Kurmark von 1683 in der Altmark einzuführen, war „wegen allerhand Ursachen" unmöglich. Die richterliche Gewalt lag nach der alten deutschen Verfassung in den Händen des Volks, der freien Leute. Auch der ^altmärkische Bauer war lange Zeit Beisitzer und Urtheilsfinder im Dorfgerichte, wie im Landgerichte. Die Gerichtsherren hatten nur den Vorsitz und die Gerichtseinkünfte, die Strafen und Sporteln, die sie als Vogtei- inhaber oder sonst von den stets geldbedürftigen Regenten erkauft, oder auch als Besitzer der Schulzengerichte weiter ausgedehnt. Die Landesherren strebten als Landesobrigkeiten nach Ausdehnung ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/406>, abgerufen am 28.07.2024.